Unsere Pension war von einfachster Art: ein kleines Zimmer
von ca. 10-12 Quadratmetern mit einer Kleiderstange und zwei Betten, eins groß,
eins klein. Wir merkten auch sofort, dass wir in den Tropen sind: Als das Licht
eingeschaltet war, verzogen sich zwei Kakerlaken blitzartig in eine Ecke unters
Bett, das Badezimmer (eher „Klo mit Duschgelegenheit“) wartete mit einem
weiteren Artgenossen auf, den aber bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Es war völlig ausreichend. Trotz allem war für
uns, und nicht zuletzt für Cristina klar, dass man hier für geringes Geld mehr
ein wenig schöner wohnen kann.
Max schlief noch, als wir uns anderntags auf den Weg
machten, um das Dorf zu erkunden und nach einer anderen, ein wenig ansprechenderen
Pension schauten. Man wird sofort fündig, vor allem direkt am Strand scheint es
drei unterschiedliche Arten an Häusern zu geben: Restaurants/Cafés,
Übernachtungsmöglichkeiten oder Tauchschulen. Alle drei klapperten Cristina und
ich in diesen Morgenstunden ab um einen Überblick über das Dorf zu bekommen.
Schlussendlich entschieden wir uns für eine Herberge, in der wir für ein
paar Euro mehr eine eigene Terrasse hatten, die de facto direkt in den Strand
überging. Morgens war ein Frühstück dabei, Zimmer und Betten waren doppelt so
groß, es wurde einmal am Tag geputzt – alles nicht unbedingt notwendig, aber
sowohl in der relativen Preissteigerung als auch im absoluten Betrag wirklich
verkraftbar.
Als nächstes stand die Frage an, wie man die nächsten Tage
verbringen sollte. Die Optionen schienen allesamt verlockend:
- ein Kayak mieten und zu den umliegenden Inseln paddeln
- mit einem gemieteten Boot die umliegenden Inseln erkunden und dort schnorcheln
- auf eigene Faust losziehen, die Gegend und verborgene Strände entdecken
- einen Schnuppertauchgang machen
- einen Roller mieten und Palawan über Land entdecken
- auf die umliegenden Vulkangesteinberge klettern und von oben die Aussicht auf die Lagune und das türkisblaue, glasklare Meer genießen
Für mich stand sehr schnell fest, ich wollte mindestens
einmal tauchen gehen. Tauchen war ein Traum von mir, seit meinem fünften
Lebensjahr: Ich entdeckte bei meinem alten Freund Niki das Buch „WAS IST WAS?
Wale und Delphine“. Zwei Jahre später zeigte mir Tante Tessa, übrigens auch
eine zertifizierte Taucherin, bei einem Besuch in Hamburg eine Ausstellung zum
Thema Wale und Delphine und schenkte mir einen tollen Bildband dazu, den ich
bis heute habe und mir immer noch gerne anschaue. Ich war infiziert und wollte
selbstverständlich Meeresbiologe werden – das ebbte später ab, aber Naturfilme
zum Thema Korallenriffe oder Meeresfische fand ich immer noch hochinteressant.
Cristina und ich klapperten also alle Tauchschulen ab, die
wir finden konnten (und es gab eine Menge) bis wir beim Franzosen Florent
landeten, der einerseits sympathisch und erfahren schien und dessen Preise
andererseits sehr in Ordnung waren. Max wurde bei einem köstlichen Frühstück
(Mango-Joghurt-Shake mit selbstgebackenem Brot, selbstgemachter Marmelade und
zwei köstlichen, selbstgelegten Eiern) von unseren Plänen informiert, stimmte
voll und ganz zu und so buchten wir unseren Tauchtrip für den nächsten Tag. Ich
war aufgeregt!
Nun wollten wir die Umgebung des Dorfes erkunden. In El Nido
selber ist am Strand noch „relativ“ viel los (ein paar Jungs tragen
Sauerstoffflaschen zu Booten, ein paar Touristen tapsen nach einem Ausflug vom
Auslegerboot zum Strand, zwei Hunde raufen sich und dergleichen mehr) – das
ändert sich, wenn man 5 Minuten außerhalb ist. Hier sind lediglich kleine
Hütten, in denen die Bootsbauer leben, die die Auslegerboote bauen. Der Strand,
an dem wir den Nachmittag verbrachten, war komplett einsam gelegen; nur hin und
wieder kommt ein freundlich grüßender Pinoy des Wegs, der eine martialisch
aussehende Machete mit sich rumträgt. Ich habe das noch nicht erwähnt – in dem
Moment, in dem wir Manila verließen, änderte sich die Atmosphäre schlagartig:
die Leute lächeln, sind hilfsbereit und offen. Natürlich sehen sie einen immer
noch zuerst als geldverteilenden Sonnenbrand, aber ich hatte nicht dieses
Gefühl latenter Unsicherheit von Manila, dass ich vorher nur aus Städten wie
Nairobi kannte.
Der Rest des Tages ist schnell erzählt: wir dümpelten im
warmen Wasser, lasen Bücher, machten einen Workout am Strand, öffneten eine
gefundene Kokosnuss (Survival Skill des Tages) und genossen Sonne und frische
Luft nach Peking’s Smog, Wärme nach Peking’s Kälte, den unglaublichen Ausblick
auf die Lagune und die Natur die uns überall umgab nach der monatelangen
Betonwüste.
Mit Meeresrauschen sanft eingeschlafen wurden wir früh vom Kling-kling
der Sauerstoffflaschen geweckt, die über den Strand zu den Booten gebracht
wurden – nach dem Frühstück in der neuen Pension ging es fix zu Florent’s
Strandhütte, in dem fleißige Pinoys schon die Sauerstoffflaschen
bereitstellten. Am Abend davor hatten wir noch Neoprenanzüge und die restliche
Ausrüstung anprobiert und angepasst, so dass wir heute morgen sofort
abfahrtbereit waren. Aufs Boot kam noch ein Mittagessen und wir waren unterwegs:
Ronald (philippinischer Tauchlehrer), Florent, wir drei und noch drei weitere
Gäste. Drei weitere Pinoys waren auf dem Boot, die sich um den Rest kümmern:
Das Boot steuern, beim Anlegen helfen, Kochen, helfen die Ausrüstung anzulegen,
Sauerstoffflaschen wechseln, etc.
Wir fuhren aus dem Stadtbereich von El Nido heraus durch
eine Meerenge zwischen zwei Inseln. Vor uns öffnete sich die große Lagune, die
nicht im eigentlichen Sinne eine Lagune ist, sondern ein durch verschiedene,
recht große vorgelagerte Inseln geschützter Meeresbereich ist, der sich durch
ruhigeren Seegang und wunderschöne Tauchreviere auszeichnet. Der Bereich hat
einen Durchmesser von geschätzten 5-10 Kilometern, so dass man ca. eine halbe,
dreiviertel Stunde unterwegs ist bis zum ersten Tauchplatz.
Unser hart arbeitender Tauchlehrer Florent gönnt sich ein Nickerchen, während wir durch die Lagune von El Nido schippern |
Auf der Fahrt zwängten wir uns in die Neoprenanzüge und
bekamen ein letztes Briefing: Hier einatmen, dort die Schwimmweste aufblasen,
so und so läuft der Tauchgang ab.
Als Ronald im Wasser ist, bin ich an der Reihe. Ich stehe
auf, wanke unter dem Gewicht von Sauerstoffflasche und Bleigewichten, Florent prüft
meine Ausrüstung ein letztes Mal mit kritischem Blick, ich lasse Pressluft in
die Schwimmweste, setze die Tauchbrille auf, atme durch das Mundstück und mache
einen großen Schritt ins Wasser. Testweise atme ich vorsichtig durch das
Mundstück als mein Kopf unter Wasser ist – entgegen aller Befürchtungen
funktioniert es ganz ausgezeichnet! Es hört sich zwar an wie wahlweise Darth
Vader aus Star Wars oder eine Beatmungsmaschine im Krankenhaus, aber ich kann
unter Wasser atmen. Max und Cristina sind mittlerweile auch drin und das Gefühl
ist unbeschreiblich – wir sind an der Schwelle zu einer ganz neuen Welt, zu der
wir davor aufgrund unserer körperlichen Beschränkungen einfach keinen Zugang
hatten.
Wie wir es gelernt haben, lassen wir auf Geheiß von Ronald
die Luft aus unseren Schwimmwesten und atmen langsam aus. Während der Körper
langsam unter Wasser gleitet habe ich noch ein letztes Mal das Gefühl, an der
Oberfläche nach Luft schnappen zu müssen – das gibt sich aber, sobald man
bemerkt wie einfach, mühelos und angenehm man unter Wasser atmen kann.
Umgeben von Fischen, oberhalb eines weitläufigen, abfallenden
Riffes, das ca. 5 Meter tief lag, dümpelten wir herum und genossen das Gefühl,
zu schweben. Ungewohnt ist, dass man von der Dünung sanft hin- und
hergeschaukelt wird und anfangs mit jedem Atemzug unkontrolliert aufsteigt bzw.
absinkt. Nach ein paar Minuten treffen wir uns alle auf dem Meeresboden und
versammeln uns um Ronald, der uns ein paar sicherheitsrelevante Übungen
vormacht – wie verhalten wir uns, wenn wir unser Mundstück verloren haben? Was
machen wir, wenn Wasser in die Tauchbrille fließt und wir nichts mehr sehen
können? Was ist die richtige Reaktion, wenn es Probleme mit der Luftzufuhr
gibt? All solche Fragen beantwortet er im learning-by-doing-Verfahren unter
Wasser. Als wir alle Aufgaben zu seiner Zufriedenheit geschafft haben, geht es
los. Langsam gleiten wir immer das Riff entlang in tiefere Regionen: 8 Meter, 9
Meter und um uns eröffnet sich eine Welt, wie ich sie noch nie gesehen habe:
Wälder an Korallen, Fische und andere Meerestiere überall, Korallen von einer unglaublichen
Größe und Farbenfreude, sogenannte Korallen-„Tische“ mit einem Durchmesser bis
zu 4 Metern – die wachsen nur 1 cm pro Jahr, so mit ist das Alter leicht
geschätzt und umso beeindruckender. In ihnen wohnen kleine Fische in Symbiose,
die das Korallengeäst auch nicht verlassen. Wie Bienen im sommerlichen Lavendel
sausen sie zwischen den Korallenästen herum und halten diese sauber.
Clownfische, seit dem Film „Findet Nemo“ weithin bekannt, sitzen in Anemonen
und verteidigen diese trotz ihrer geringen Größe umso entschlossener - selbst
in Anbetracht unserer nicht ignorierbaren körperlichen Größe. 30 Zentimeter
lange, sehr farbenfrohe aber hochgiftige (wenn man sie essen würde)
Seeschlangen lugen aus ihren Wohnlöchern heraus. 40cm breite Muscheln, die fest
mit dem Korallenriff verwachsen sind, haben ihren Spalt ein paar Zentimeter
geöffnet und zucken erschrocken zusammen, wenn sie die Wirbel unserer Flossen
merken. Territoriale Fische sind ein interessantes Phänomen: Da gleitet man
ganz friedlich, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und langsam mit den
Füßen schlagend ca. 1 Meter über die Korallen hinweg, dann fühlt man auf
einmal, dass einen da etwas in den Unterschenkel kneift. Das stellt sich dann
meistens als geschätzt etwa 20 – 30cm großer Fisch heraus, der beschlossen hat,
hier sei sein und nur sein Zuhause, und der sich durch das große dunkle Etwas
mit allerlei Schläuchen natürlich gestört fühlt. Die Affäre endet aber in jedem
Fall für beide Parteien äußerst glimpflich.
Es gilt bei allem die Devise, ausreichend Abstand zu waren
und nichts zu berühren – wie im Museum. Ähnlich wie im Gebirge auf großer Höhe
sind wir hier lediglich Gast und zwar auf Zeit und haben uns entsprechend zu verhalten. Das merkt man sehr deutlich an
dem technischen Aufwand, der betrieben werden muss, um in diese Tiefen vorzudringen
und hier Zeit zu verbringen.
In diesem Tauchgang gehen wir auf 9 bis 10 Meter hinunter – so
tief war ich noch nie unter Wasser. Ich bin komplett von den Socken, habe das
Gefühl über die Korallen zu fliegen, mache einen Looping, liege rücklings im
Wasser und schaue meinen Luftblasen auf dem Weg zur Oberfläche zu, während die
Sonne die über mir liegenden Korallen an
der steilen Klippe im Profil bestrahlt und die Fische drumherum glitzern. Als
ich mich umdrehe, sehe ich Roland wie er, Buddha gleich, mit perfekter Balance
regungslos im Schneidersitz schwebt, die Enden einer Flosse jeweils in der
anderen Hand – ganz, als hätte er Levitation gemeistert. Um ihn herum tummelt
sich ein neugieriger Schwarm Zebrafische. Er beaufsichtigt uns, seine um ihn
herum wuselnden Schäfchen, und passt auf, dass keiner verloren geht.
Hin und wieder treffen sich meine Blicke mit Cristina oder
Max, beiden ist (trotz durch Tauchausrüstung auf „hh-hhh“ eingeschränkte
Ausdrucksfähigkeit) deutlich anzusehen wie überwältigt sie sind.
Der erste Tauchgang mit seiner halben Stunde ist viel zu
schnell vorbei als Roland signalisiert, dass wir uns langsam wieder auf den Weg
nach oben machen sollen. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht komme ich an
die Oberfläche, lasse Luft in die Schwimmweste, ziehe die Tauchbrille runter,
lasse das Mundstück fahren und lege mich auf den Rücken. Salzgeschmack im Mund,
Sonne auf der Haut, sanft schaukelnde Dünung, unglaubliche Eindrücke im Kopf
und das zwischen kleinen Inselchen, versteckten weißen Stränden, in türkisem
Wasser mit wenig anderen Mitreisenden. Soll das hier die Verlegenheitsoption
sein, weil Nordkorea die Grenze zugemacht hat? Es scheint zu gut, um wahr zu
sein.
Das Mittagessen ist derweil bereits fertig zubereitet und
das Boot beeilt sich zu einem kleinen verlassenen Strand zu kommen, der in der
Nähe des nächsten Tauchplatzes liegt, um dort zu essen. Es gibt, wie sollte es
anders sein, frisch gegrillten Fisch, Reis und Salat, dazu die schon bekannte
und bereits sehr geschätzte Soja-Kalamansi-Chili-Sauce. Wir sitzen im Schatten unter einer Palme im weißen Sand und stärken uns ein wenig, bevor wir zum nächsten
Tauchgang aufbrechen.
Kein übles Esszimmer...
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