Montag, 1. Dezember 2014

Robinson Crusoe, nur mit besserer Begleitung!

Unsere Pension war von einfachster Art: ein kleines Zimmer von ca. 10-12 Quadratmetern mit einer Kleiderstange und zwei Betten, eins groß, eins klein. Wir merkten auch sofort, dass wir in den Tropen sind: Als das Licht eingeschaltet war, verzogen sich zwei Kakerlaken blitzartig in eine Ecke unters Bett, das Badezimmer (eher „Klo mit Duschgelegenheit“) wartete mit einem weiteren Artgenossen auf, den aber bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Es war völlig ausreichend. Trotz allem war für uns, und nicht zuletzt für Cristina klar, dass man hier für geringes Geld mehr ein wenig schöner wohnen kann.
Eine der Inseln, die El Nido umgeben

Max schlief noch, als wir uns anderntags auf den Weg machten, um das Dorf zu erkunden und nach einer anderen, ein wenig ansprechenderen Pension schauten. Man wird sofort fündig, vor allem direkt am Strand scheint es drei unterschiedliche Arten an Häusern zu geben: Restaurants/Cafés, Übernachtungsmöglichkeiten oder Tauchschulen. Alle drei klapperten Cristina und ich in diesen Morgenstunden ab um einen Überblick über das Dorf zu bekommen. Schlussendlich entschieden wir uns für eine Herberge, in der wir für ein paar Euro mehr eine eigene Terrasse hatten, die de facto direkt in den Strand überging. Morgens war ein Frühstück dabei, Zimmer und Betten waren doppelt so groß, es wurde einmal am Tag geputzt – alles nicht unbedingt notwendig, aber sowohl in der relativen Preissteigerung als auch im absoluten Betrag wirklich verkraftbar.

Als nächstes stand die Frage an, wie man die nächsten Tage verbringen sollte. Die Optionen schienen allesamt verlockend:

  •       ein Kayak mieten und zu den umliegenden Inseln paddeln
  •       mit einem gemieteten Boot die umliegenden Inseln erkunden und dort schnorcheln
  •       auf eigene Faust losziehen, die Gegend und verborgene Strände entdecken
  •       einen Schnuppertauchgang machen
  •       einen Roller mieten und Palawan über Land entdecken
  •       auf die umliegenden Vulkangesteinberge klettern und von oben die Aussicht auf die Lagune und das türkisblaue, glasklare Meer genießen

Für mich stand sehr schnell fest, ich wollte mindestens einmal tauchen gehen. Tauchen war ein Traum von mir, seit meinem fünften Lebensjahr: Ich entdeckte bei meinem alten Freund Niki das Buch „WAS IST WAS? Wale und Delphine“. Zwei Jahre später zeigte mir Tante Tessa, übrigens auch eine zertifizierte Taucherin, bei einem Besuch in Hamburg eine Ausstellung zum Thema Wale und Delphine und schenkte mir einen tollen Bildband dazu, den ich bis heute habe und mir immer noch gerne anschaue. Ich war infiziert und wollte selbstverständlich Meeresbiologe werden – das ebbte später ab, aber Naturfilme zum Thema Korallenriffe oder Meeresfische fand ich immer noch hochinteressant.

Cristina und ich klapperten also alle Tauchschulen ab, die wir finden konnten (und es gab eine Menge) bis wir beim Franzosen Florent landeten, der einerseits sympathisch und erfahren schien und dessen Preise andererseits sehr in Ordnung waren. Max wurde bei einem köstlichen Frühstück (Mango-Joghurt-Shake mit selbstgebackenem Brot, selbstgemachter Marmelade und zwei köstlichen, selbstgelegten Eiern) von unseren Plänen informiert, stimmte voll und ganz zu und so buchten wir unseren Tauchtrip für den nächsten Tag. Ich war aufgeregt!

Nun wollten wir die Umgebung des Dorfes erkunden. In El Nido selber ist am Strand noch „relativ“ viel los (ein paar Jungs tragen Sauerstoffflaschen zu Booten, ein paar Touristen tapsen nach einem Ausflug vom Auslegerboot zum Strand, zwei Hunde raufen sich und dergleichen mehr) – das ändert sich, wenn man 5 Minuten außerhalb ist. Hier sind lediglich kleine Hütten, in denen die Bootsbauer leben, die die Auslegerboote bauen. Der Strand, an dem wir den Nachmittag verbrachten, war komplett einsam gelegen; nur hin und wieder kommt ein freundlich grüßender Pinoy des Wegs, der eine martialisch aussehende Machete mit sich rumträgt. Ich habe das noch nicht erwähnt – in dem Moment, in dem wir Manila verließen, änderte sich die Atmosphäre schlagartig: die Leute lächeln, sind hilfsbereit und offen. Natürlich sehen sie einen immer noch zuerst als geldverteilenden Sonnenbrand, aber ich hatte nicht dieses Gefühl latenter Unsicherheit von Manila, dass ich vorher nur aus Städten wie Nairobi kannte.

"Unser" Strand


Der Rest des Tages ist schnell erzählt: wir dümpelten im warmen Wasser, lasen Bücher, machten einen Workout am Strand, öffneten eine gefundene Kokosnuss (Survival Skill des Tages) und genossen Sonne und frische Luft nach Peking’s Smog, Wärme nach Peking’s Kälte, den unglaublichen Ausblick auf die Lagune und die Natur die uns überall umgab nach der monatelangen Betonwüste.
Ein von @yckmvb gepostetes Foto am

Mit Meeresrauschen sanft eingeschlafen wurden wir früh vom Kling-kling der Sauerstoffflaschen geweckt, die über den Strand zu den Booten gebracht wurden – nach dem Frühstück in der neuen Pension ging es fix zu Florent’s Strandhütte, in dem fleißige Pinoys schon die Sauerstoffflaschen bereitstellten. Am Abend davor hatten wir noch Neoprenanzüge und die restliche Ausrüstung anprobiert und angepasst, so dass wir heute morgen sofort abfahrtbereit waren. Aufs Boot kam noch ein Mittagessen und wir waren unterwegs: Ronald (philippinischer Tauchlehrer), Florent, wir drei und noch drei weitere Gäste. Drei weitere Pinoys waren auf dem Boot, die sich um den Rest kümmern: Das Boot steuern, beim Anlegen helfen, Kochen, helfen die Ausrüstung anzulegen, Sauerstoffflaschen wechseln, etc.

Wir fuhren aus dem Stadtbereich von El Nido heraus durch eine Meerenge zwischen zwei Inseln. Vor uns öffnete sich die große Lagune, die nicht im eigentlichen Sinne eine Lagune ist, sondern ein durch verschiedene, recht große vorgelagerte Inseln geschützter Meeresbereich ist, der sich durch ruhigeren Seegang und wunderschöne Tauchreviere auszeichnet. Der Bereich hat einen Durchmesser von geschätzten 5-10 Kilometern, so dass man ca. eine halbe, dreiviertel Stunde unterwegs ist bis zum ersten Tauchplatz.
Unser hart arbeitender Tauchlehrer Florent gönnt sich ein Nickerchen, während wir durch die Lagune von El Nido schippern 

Auf der Fahrt zwängten wir uns in die Neoprenanzüge und bekamen ein letztes Briefing: Hier einatmen, dort die Schwimmweste aufblasen, so und so läuft der Tauchgang ab.

Als Ronald im Wasser ist, bin ich an der Reihe. Ich stehe auf, wanke unter dem Gewicht von Sauerstoffflasche und Bleigewichten, Florent prüft meine Ausrüstung ein letztes Mal mit kritischem Blick, ich lasse Pressluft in die Schwimmweste, setze die Tauchbrille auf, atme durch das Mundstück und mache einen großen Schritt ins Wasser. Testweise atme ich vorsichtig durch das Mundstück als mein Kopf unter Wasser ist – entgegen aller Befürchtungen funktioniert es ganz ausgezeichnet! Es hört sich zwar an wie wahlweise Darth Vader aus Star Wars oder eine Beatmungsmaschine im Krankenhaus, aber ich kann unter Wasser atmen. Max und Cristina sind mittlerweile auch drin und das Gefühl ist unbeschreiblich – wir sind an der Schwelle zu einer ganz neuen Welt, zu der wir davor aufgrund unserer körperlichen Beschränkungen einfach keinen Zugang hatten.
Wie wir es gelernt haben, lassen wir auf Geheiß von Ronald die Luft aus unseren Schwimmwesten und atmen langsam aus. Während der Körper langsam unter Wasser gleitet habe ich noch ein letztes Mal das Gefühl, an der Oberfläche nach Luft schnappen zu müssen – das gibt sich aber, sobald man bemerkt wie einfach, mühelos und angenehm man unter Wasser atmen kann.

Umgeben von Fischen, oberhalb eines weitläufigen, abfallenden Riffes, das ca. 5 Meter tief lag, dümpelten wir herum und genossen das Gefühl, zu schweben. Ungewohnt ist, dass man von der Dünung sanft hin- und hergeschaukelt wird und anfangs mit jedem Atemzug unkontrolliert aufsteigt bzw. absinkt. Nach ein paar Minuten treffen wir uns alle auf dem Meeresboden und versammeln uns um Ronald, der uns ein paar sicherheitsrelevante Übungen vormacht – wie verhalten wir uns, wenn wir unser Mundstück verloren haben? Was machen wir, wenn Wasser in die Tauchbrille fließt und wir nichts mehr sehen können? Was ist die richtige Reaktion, wenn es Probleme mit der Luftzufuhr gibt? All solche Fragen beantwortet er im learning-by-doing-Verfahren unter Wasser. Als wir alle Aufgaben zu seiner Zufriedenheit geschafft haben, geht es los. Langsam gleiten wir immer das Riff entlang in tiefere Regionen: 8 Meter, 9 Meter und um uns eröffnet sich eine Welt, wie ich sie noch nie gesehen habe: Wälder an Korallen, Fische und andere Meerestiere überall, Korallen von einer unglaublichen Größe und Farbenfreude, sogenannte Korallen-„Tische“ mit einem Durchmesser bis zu 4 Metern – die wachsen nur 1 cm pro Jahr, so mit ist das Alter leicht geschätzt und umso beeindruckender. In ihnen wohnen kleine Fische in Symbiose, die das Korallengeäst auch nicht verlassen. Wie Bienen im sommerlichen Lavendel sausen sie zwischen den Korallenästen herum und halten diese sauber. Clownfische, seit dem Film „Findet Nemo“ weithin bekannt, sitzen in Anemonen und verteidigen diese trotz ihrer geringen Größe umso entschlossener - selbst in Anbetracht unserer nicht ignorierbaren körperlichen Größe. 30 Zentimeter lange, sehr farbenfrohe aber hochgiftige (wenn man sie essen würde) Seeschlangen lugen aus ihren Wohnlöchern heraus. 40cm breite Muscheln, die fest mit dem Korallenriff verwachsen sind, haben ihren Spalt ein paar Zentimeter geöffnet und zucken erschrocken zusammen, wenn sie die Wirbel unserer Flossen merken. Territoriale Fische sind ein interessantes Phänomen: Da gleitet man ganz friedlich, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und langsam mit den Füßen schlagend ca. 1 Meter über die Korallen hinweg, dann fühlt man auf einmal, dass einen da etwas in den Unterschenkel kneift. Das stellt sich dann meistens als geschätzt etwa 20 – 30cm großer Fisch heraus, der beschlossen hat, hier sei sein und nur sein Zuhause, und der sich durch das große dunkle Etwas mit allerlei Schläuchen natürlich gestört fühlt. Die Affäre endet aber in jedem Fall für beide Parteien äußerst glimpflich.

Es gilt bei allem die Devise, ausreichend Abstand zu waren und nichts zu berühren – wie im Museum. Ähnlich wie im Gebirge auf großer Höhe sind wir hier lediglich Gast und zwar auf Zeit und haben uns entsprechend zu verhalten. Das merkt man sehr deutlich an dem technischen Aufwand, der betrieben werden muss, um in diese Tiefen vorzudringen und hier Zeit zu verbringen.

In diesem Tauchgang gehen wir auf 9 bis 10 Meter hinunter – so tief war ich noch nie unter Wasser. Ich bin komplett von den Socken, habe das Gefühl über die Korallen zu fliegen, mache einen Looping, liege rücklings im Wasser und schaue meinen Luftblasen auf dem Weg zur Oberfläche zu, während die Sonne  die über mir liegenden Korallen an der steilen Klippe im Profil bestrahlt und die Fische drumherum glitzern. Als ich mich umdrehe, sehe ich Roland wie er, Buddha gleich, mit perfekter Balance regungslos im Schneidersitz schwebt, die Enden einer Flosse jeweils in der anderen Hand – ganz, als hätte er Levitation gemeistert. Um ihn herum tummelt sich ein neugieriger Schwarm Zebrafische. Er beaufsichtigt uns, seine um ihn herum wuselnden Schäfchen, und passt auf, dass keiner verloren geht.
Hin und wieder treffen sich meine Blicke mit Cristina oder Max, beiden ist (trotz durch Tauchausrüstung auf „hh-hhh“ eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit) deutlich anzusehen wie überwältigt sie sind.

Der erste Tauchgang mit seiner halben Stunde ist viel zu schnell vorbei als Roland signalisiert, dass wir uns langsam wieder auf den Weg nach oben machen sollen. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht komme ich an die Oberfläche, lasse Luft in die Schwimmweste, ziehe die Tauchbrille runter, lasse das Mundstück fahren und lege mich auf den Rücken. Salzgeschmack im Mund, Sonne auf der Haut, sanft schaukelnde Dünung, unglaubliche Eindrücke im Kopf und das zwischen kleinen Inselchen, versteckten weißen Stränden, in türkisem Wasser mit wenig anderen Mitreisenden. Soll das hier die Verlegenheitsoption sein, weil Nordkorea die Grenze zugemacht hat? Es scheint zu gut, um wahr zu sein.

Das Mittagessen ist derweil bereits fertig zubereitet und das Boot beeilt sich zu einem kleinen verlassenen Strand zu kommen, der in der Nähe des nächsten Tauchplatzes liegt, um dort zu essen. Es gibt, wie sollte es anders sein, frisch gegrillten Fisch, Reis und Salat, dazu die schon bekannte und bereits sehr geschätzte Soja-Kalamansi-Chili-Sauce. Wir sitzen im Schatten unter einer Palme im weißen Sand und stärken uns ein wenig, bevor wir zum nächsten Tauchgang aufbrechen.

Ein von @yckmvb gepostetes Foto am
Kein übles Esszimmer...



Am Ende des Tages ist für mich klar – ich muss einen Tauchschein machen. Ich bin jetzt hier, habe jetzt die Gelegenheit, den Schein in unglaublicher Natur und an wunderschönen Tauchplätzen zu machen. Zudem ist der Schein ein Leben lang gültig und preislich attraktiv im Vergleich zu heimischen Tauchschulen in Deutschland. Da der praktische Teil erst am übernächsten Tag weitergehen kann, hole ich mir noch abends das Theoriebuch ab und fange an, es durchzuarbeiten.

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SCUBA-Buddies!

Sonntag, 23. November 2014

Sternschnuppen über der Südsee, korrupte Polizei und Dschungelraserei


Kaum saß Mami im Flieger, gingen schon die Vorbereitungen für den nächsten Trip los. Cristina, Max und ich flogen spontan auf die Philippinen. Wie kam denn das?

Mein Schulweg war ja auch schön damals...


Wegen APEC wurden unter anderem alle staatlichen Institutionen in Peking geschlossen – wir hatten 10 Tage einfach Ferien. Die müssen genutzt werden!

Nun, ursprünglich hatten ein paar unserer Kommilitonen, inklusive mir, eine Reise nach Nordkorea gebucht. Ja wirklich, wir wollten nach Nordkorea, unsere Visumanträge waren schon bewilligt, die vom nordkoreanischen Staat zertifizierte Reiseagentur hatte Zugtickets, Überlandbusse und Unterkünfte und außerhalb Pyongyangs gebucht und wir hatten entsprechende Anzahlungen geleistet. Wir waren wirklich auf dem Weg nach Nordkorea und hätten dort einen Blick in eines der isoliertesten Länder dieser Erde werfen können – und vielleicht, auf den Fahrten durch das Land und zwischen den choreographierten Besichtigungstouren vorbildlicher staatlicher Einrichtungen, ein wenig hinter die Kulissen der gigantischen Propagandamaschine blicken können. Ich war wahnsinnig gespannt, weil es in dem Sinne keine schöne Reise werden würde – aber eine einmalige und mit großer Sicherheit sehr spannende.

Der gute Kim bekam jedoch ein wenig Schiss, da Ebola um die Welt geistert und er (wahrscheinlich ziemlich zu Recht) gehörig Respekt vor den Konsequenzen für sein „Gesundheitssystem“ und den Folgen für sein Volk hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass nichts und niemand dort ausgebildet oder ausgerüstet ist, mit einem Ebola-Ausbruch fertig zu werden. Sprich, eine Woche vor Abflug wurde die Grenze für Touristen einfach geschlossen, und wir hatten keinen Alternativplan. Ich fand es einfach sehr schade – da ging eine Chance dahin, von der ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt noch einmal bekommen würde.

Für alle, die Bedenken ob der Reisesicherheit ausländischer Touristen in Nordkorea haben, sei diese Seite des Auswärtigen Amtes empfohlen.

Der Blues griff um sich, und rein aus Neugierde suchte ich auf einem Flugvergleichsportal im Internet, wohin denn im gesuchten Zeitrahmen der billigste Direktflug von Peking aus ins Ausland gehen würde. Siehe da, eindeutig Manila, Hauptstadt der Philippinen – für 315€ einmal Südsee und zurück, und sogar zu halbwegs angenehmen Flugzeiten. Innerhalb einer halben Stunde hatten sich Max, Cristina und ich per WeChat (der chinesischen Alternative zu WhatsApp) koordiniert und der Flug war gebucht. Danach habe ich mal wieder das Auswärtige Amt konsultiert, ein wenig gegoogelt und ein paar Freunde und Bekannte angeschrieben, die dort mal gelebt haben. Neben dem hässlichen, dreckigen und nicht ungefährlichem Moloch Manila, sowie einiger zu meidender Inselgruppen, die Schwierigkeiten mit fundamentalen Islamisten haben, werden das Land und seine Menschen weithin als unglaublich gastfreundlich beschrieben. Zudem sei die Natur atemberaubend.

Cristina hatte ein paar gute Freunde, die derzeit ihr Austauschsemester in Manila machen: Tamara und Juan statteten uns aus mit einer Beschreibung wie wir sie in Manila finden würden und kümmerten sich fortan rührend um uns – von der Abholung, über die Unterbringung, Verpflegung, Betreuung sowie sachdienliche Reisetipps, für alles war gesorgt. Selten so herzliche Gastgeber erlebt, die einen mit unglaublich weit geöffneten Armen in ihr tägliches Leben aufnahmen!

Die Ankunft in Manila war allerdings ein echtes Abenteuer – jedenfalls fühlte es sich in dem Moment so an.

Nach knapp 5 Stunden Flug purzelten wir aus der Maschine, und statt 3°C in Peking fanden wir uns auf einmal 27°C und relativ hoher Luftfeuchte ausgesetzt – und das um halb eins in der Nacht. Der Flughafen selber ist eine Peinlichkeit für einen internationalen Hauptstadtflughafen, selbst das wirklich unterentwickelte Äthiopien hat in Addis eindeutig mehr zu bieten. Bei der Einreise bekommt man ohne viel Probleme einen Touristenstempel in den Pass geknallt und voilá, willkommen auf den Philippinen!

Erste Amtshandlung: Pesos abheben. Wir waren mit unseren DKB-Kreditkarten ausgestattet und wussten, dass man damit überall auf der Welt kostenlos Geld abheben kann. Doof nur, dass beim Ausgang vom Terminal von den fünf vorhandenen Geldautomaten vier gerade „Maintenance“ haben und also ausfallen. Vor dem einzig funktionierenden Automaten bildet sich nachvollziehbarerweise eine lange Schlange; der Gedanke, dass vielleicht nicht mehr genügend Geld im ATM sein könnte um uns die Taxifahrt ins Bett zu finanzieren, setzte sich unangenehm im Hinterkopf fest.

Da steht, als ob er das gerochen hätte, ein smart gekleideter Polizist/Sicherheitsmann neben uns, begrüßt uns und heißt uns auf den Philippinen willkommen. Wir sähen so aus, als bräuchten wir Pesos – er könnte uns einen guten Kurs geben, das wäre kein Problem! Dollars, Euro, Schweizer Franken, Pfund?
Ich brauche einen Moment um das zu begreifen: wir sind gerade seit nicht ganz zwanzig Minuten auf den Philippinen, und der erste Pinoy („Philippino“ in der hiesigen Landessprache Taglisch, einer Mischung aus indigenen Sprachen und der Sprache der ehemaligen spanischen Kolonialherren) mit dem ich seit Einreise Kontakt habe, ist ein korrupter Polizist, der mir Geld auf dem Schwarzmarkt andrehen will. Na Prost Mahlzeit.
Zusammen mit der fortgeschrittenen Uhrzeit trug dies nicht wirklich zu unserem subjektiven Sicherheitsgefühl bei, aber siehe da, wenigstens gab es einen offiziellen Taxistand, an dem man sich ein vertrauenswürdiges, legal zertifiziertes Taxi nehmen würde. Er wusste auch Bescheid wo wir hinwollten, Rucksäcke hinten reingeschmissen und los ging’s.

Der Kerl war unfassbar. Mit einem Fahrstil wie aus einem Computerspiel gab er uns geschätzte Ankunftszeiten zwischen einer halben Stunde und 2 ½ Stunden – und das wechselte gerne mal innerhalb von 10 Minuten. „Traffic jam, sir, Manila is world capital of traffic jam!“ – er rast nichtsdestotrotz mit 130 innerorts die Stadtautobahn entlang. Irgendwann merken wir, dass er beim Überholen von Lastwagen merkwürdig lange zögert und sehr nervös ist. Auch nutzt er die Lichthupe selbst wenn gar keine anderen Autos vor ihm zu sehen sind. Darauf angesprochen meint er trocken, wir würden auch mit aufgeblendetem Licht fahren, wenn wir, wie er, nur 30 Meter weit sehen könnten. Wir haben dann seine allgemeine Fahrtüchtigkeit nicht weiter hinterfragt.
20 Jahre hatte er als Soldat bei den Marines am Flughafen gearbeitet, jetzt war Taxifahren dran – aber nur die Flughafenfahrten, alles andere sei nachts zu gefährlich in Manila. Ausserdem sei seine Frau furchtbar, und Taxifahren böte die Möglichkeit, so wenig Zeit wie möglich zuhause zu verbringen. „My wife, Ma’am, always nag nag nag! Nag nag nag! Is hell at home! This is my last drive today Ma’am, then I go to ladyhouse and see my girlfriend. Only sixteen years old, sir, delicious! Mmmh, no nagging, never.“ Es folgte eine vorstellbar dreckige, selbstzufriedene Lache und wir lachten nervös mit.
Später hörten wir, dass aufgrund des fundamentalistischen Christentums Scheidungen verpönt sind und nicht stattfinden, so dass unglückliche Paare andere Arrangements finden (müssen) – die Gott sei Dank nicht immer Minderjährige einschließen, wie in diesem Fall.

Tamara und Juan holten uns mit ein paar gemieteten Motordreirädern ab, die mit uns ca. 5 Minuten durch ein Wohngebiet heizten bevor wir vor den Toren ihrer Gated Community standen, in der sie mit ein paar anderen Austauschstudenten ein Haus gemietet hatten. Auf meine Frage, warum wir den kurzen Weg nicht gelaufen wären, meinte Juan, das müsse hier um diese Uhrzeit nicht unbedingt sein. Manila ist in Punkto Sicherheit auf jeden Fall auf einem ganz anderem Niveau als Peking, so mein subjektiver Eindruck.

Wir kamen in der Nacht von Freitag auf Samstag an und hatten unsere Weiterreise für Sonntagmorgen geplant. Von verschiedenen Seiten hatte ich gehört, dass Manila wenig von touristischem Wert zu bieten hat. Das kann ich hiermit voll und ganz bestätigen. Vor allem war es ein sehr interessanter Kontrast zu Peking: Für eine Metropolregion mit ca. 13 Millionen Einwohnern existieren zwei U-Bahnlinien, die kreuzweise durch die Stadt ziehen. Sie wurden allerdings so gebaut, dass es nicht möglich ist, in einer Station von der einen in die andere Station umzusteigen. Taxis sind (für Europäer) wahnsinnig günstig, man benötigt sie aber weniger als Fortbewegungsmittel, vielmehr sind sie ein langsam rollendes Sofa im Dauerverkehrsinfarkt, auf den sich unser Taxifahrerfreund vom Abend davor bezogen hatte. Für eine Distanz von 10 Kilometern kann man gut und gerne 3 – 4 Stunden brauchen, wenn man ein wenig Pech hat. Die berechtigte Frage ist, weshalb man dann nicht einfach läuft. Wie schon beschrieben ist dies aus Sicherheitsgründen nicht immer zu empfehlen. Juan meinte zudem, nachts unterwegs zu sein, sei teilweise sicherer als tagsüber, da es nachts schwieriger ist, weiße und somit reiche Menschen von Pinoys zu unterscheiden. Mein natürlich sehr unfairer, weil sehr kurzer Eindruck ist, dass Manilesen vor allem auf Malls stehen, riesige, dekadente Malls, die an allen Ecken und Ende aus dem Boden schießen. Zudem klagten unsere Gastgeber über die schlechte Luft, was (obwohl sie nicht an das Pekinger Niveau heranreicht) für eine Stadt, die auf einer Insel und direkt am Meer liegt, doch bemerkenswert ist.
Interessant war weiterhin, die häufig irgendwo angeschlagenen Lippenbekenntnisse der Regierung zu lesen, die zu mehr Härte gegenüber Drogenanbau, -handel und –konsum mahnte. Gerade der Kontrast zu Schilderungen von Juan war niedlich: er berichtete, dass nur ca. 2 Autostunden ausserhalb von Manila Marijuana angebaut werde wie andernorts Kohlköpfe.

Es war schade, die beiden zu verlassen, aber alle drei waren wir froh, Manila hinter uns zu lassen und Sonntag morgen in den Flieger nach Puerto Princesa, der Hauptstadt der Insel Palawan zu steigen. Ich hatte mir in meiner romantischen Fantasie eingebildet, wir würden in eine kleine Propellermaschine mit wenigen Sitzen steigen und rumpeldipumpel über die Piste sausen.
Nix da, die Reisezeit beträgt ca. 1 Stunden in einem Standard-Airbus – mir war nicht klar, dass wir noch einmal so weit weiterreisen würden.
Puerto Princesa selbst ist ein klitzekleiner Flughafen, dessen Landebahn fast im Meer mündet. Man sieht das Meer auf jeden Fall glitzern, wenn man aus dem Flugzeug steigt.
 
Flugzeugtür auf, da ist das Meer - willkommen auf Palawan!
Draußen warten die unvermeidbaren Horden an Schleppern, aber ausgestattet mit Insidertips von Tamara und Juan zogen wir zielstrebig vorbei und mieteten uns in zweiter Reihe ein Motordreirad (lustige Konstruktionen aus einem normalen Motorrad mit einem auf einem dritten Rad gestütztem Aufsatz, in dem wahlweise aller möglicher Krempel oder eine 7-köpfige Familie transportiert werden), der uns in die Stadt brachte.
 
Alles klar? Das Fortbewegungsmittel der Wahl
Unser loser Plan war es, direkt in das kleine Dörfchen El Nido im Norden der Insel weiterzufahren, aber das wollten wir noch von Puerto Princesa abhängig machen. Wir ließen uns also von dem Motorradfahrer ein nettes Restaurant am Strand von Puerto Princesa zeigen, wo es besten Fisch zur Auswahl gab. Man sucht ihn sich einfach aus, er wird auf den Grill geschmissen, dazu gibt es Reis satt sowie eine Soße die nur und ausschließlich aus Sojasauce, Kalamansi (einer Art Minilimone, groß wie etwa eine Cocktailtomate, sehr erfrischend) und Chili besteht und alles wird auf Bananenblättern direkt am Meer serviert – eine frisch aufgeschlagene Kokosnuss noch dazu, je nach Belieben. Eine hervorragende Stärkung nach den Strapazen der Reise!
 
Mittagessen am Meer

Einfach und unglaublich gut. Die kleinen grünen Kugeln sind die Kalamansi

Hernach kam die Höllenfahrt nach El Nido. Wir wurden mit acht anderen in eine kleine Toyota-Sardinenbüchse gestopft und rasten gegen sieben Uhr abends in völliger Dunkelheit aus der Stadt raus. Das erinnerte ein wenig an die Fahrt durch Äthiopien, nur waren diesmal nicht so viele Leute im Wagen. Dafür interessierte den Fahrer nicht die Bohne, dass die Federung des Wagens nicht mehr existierte, dutzende streunende Hunde nur knapp einem schrecklichen Tod durch Überfahren entkamen und zwischendurch die Straße aufgehört und durch Schotterpiste beziehungsweise Baustelle ersetzt worden war – anscheinend bedurften weder Geschwindigkeit noch Fahrweise einer Anpassung. Wir pesten durch den Dschungel, hin und wieder passierten wir einen Checkpoint der Marines. Etwa alle eineinhalb Stunden machten wir kurz Rast an kleinen mit Bananenblättern gedeckten Bambushütten, in denen geschäftstüchtige Damen den Reisenden ein Abendessen anboten. Höllisch unbequem, weil an die Platzbedürfnisse des durchschnittlichen Pinoy angepasst, versuchten wir ein wenig zu schlafen und hofften, bald anzukommen. Die Hoffnung zerstörte sich recht bald: wir fragten nach jeder Pause, wie lange es noch in etwa sei – die Antwort war jedes Mal „4 ½ Stunden“.

Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wir gegen eins, halb zwei Uhr nachts irgendwo im Dörfchen El Nido mit seinen geschätzten 2000 Einwohnern, aber ohne im Voraus ein Bett gebucht zu haben. Unser Plan war zwischendurch, den Tipps von Tamara und Juan folgend, die erste Nacht am Strand zu übernachten und sich dann vor Ort eine schöne Unterkunft für die darauffolgenden Tage zu suchen. Wir verwarfen dies jedoch bald, da weder Cris noch Max für eine solche Nacht ausgerüstet waren und zum anderen uns nicht klar war, wie harmlos die überall herumstreunenden Hunde wirklich waren, die natürlich auch den nächtlichen Strand bevölkerten. Von einem französischem Freund unserer malinesischen Wohltäter hatten wir die Adresse eines günstigen Hostels direkt am Strand bekommen, das wir daraufhin ansteuerten. Eine verschlafene junge Pinoy checkte uns ein, zehn Minuten später waren unsere Sachen verstaut und wir auf dem Weg zum Strand – einmal baden musste noch sein.

Es war zwei Uhr nachts, wir waren mutterseelenallein am Ende der Welt irgendwo in der Südsee, das Wasser war um die 30°C warm, über uns funkelten die Sterne, die Klänge der einzigen Reggaebar im Dorf, die verzweifelt versuchte Partystimmung aufkommen zu lassen, schwebten über das Wasser zu uns herüber und wenn man sich zwischen den Auslegerbooten auf dem Rücken treiben ließ konnte man hin und wieder eine Sternschnuppe erwischen.

Wir waren angekommen.


Der Strand von El Nido aus unserem Hotel gesehen

Mittwoch, 19. November 2014

Mami in Peking, prügelnde Polizisten und gefressene Kreditkarten

Moin nach Deutschland!

Bevor ich anfange:
Wer mal nur Bilder sehen möchte, dem sei folgende Seite empfohlen: www.instagram.com/yckmvb

Nach dem der vorige Post den Fokus sehr auf die Politik gelegt hat, geht es jetzt um die wichtigen Dinge im Leben:

Beispielsweise kam Mami an einem schönen Freitag Abend (lediglich 280 Smog) Ende Oktober in Peking an. Sie war auf Geschäfts-Weltreise durch Nordamerika, grad an der US-Ostküste angekommen und musste weiter Richtung Singapur. Dabei stellte sich heraus, dass der Pazifik doch ein wenig größer sei und man aufgrund der Erdkrümmung von LA aus über Alaska und Sibirien quasi über Peking nach Singapur fliegt. Also überlegte sie sich schönerweise eine Woche Ferien in Peking zu machen und mich zu besuchen. So hohen Besuch bekommt man nicht alle Tage, und dementsprechend fein putzte sich Peking heraus: Überall wurden Blumen gepflanzt, Banner aufgehängt, Fabriken durften insgesamt 2 Wochen lang nicht arbeiten um die Verschmutzung auf ein Minimum zu reduzieren, der Airport Expressway in die Stadt war für VIP reserviert, Unis, Schulen und Behörden wurden geschlossen und tausende emsige kleine Chinesen polierten öffentliche Orte und Plätze auf Hochglanz – alles nur, weil Mami auf der Durchreise ist. Sehr passend!

Dieses Bild wurde tatsächlich in Peking gemacht. So schön ist es, wenn Mami kommt!
Das parallel auch noch Obama, Putin und ca. 10 000 weitere politische und wirtschaftliche Würdenträger aus den Pazifik-Anrainerstaaten zum Asian Pacific Economic Cooperation Counsil (APEC) nach Peking gekommen waren, hat mit den Vorbereitungen in Peking selber sicher nichts zu tun.

Mami war trotz 12h Flug und 9 Stunden Zeitverschiebung fit und motiviert, und so kam sofort der erste China-Schock: Airport-Express in die Stadt und von dort aus per Taxi weiter – so mein Plan. Wir stiegen also in Dongzhimen, im Osten der Verbotenen Stadt aus und versuchten in heftigster Rush Hour, ein Taxi zu ergattern. Obwohl Taxis haufenweise vorbeifahren, viele davon leer, haben wir keine Chance, eins zu bekommen; dafür habe ich bisher noch keinen wirklichen Grund gefunden. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass die Kommunikationsprobleme zu groß sind.
Jedenfalls geben wir nach kurzer Zeit unverrichteter Dinge auf und schmeißen uns in die U-Bahn. Mami ist in Peking noch nie U-Bahn gefahren und froh, als wir endlich ankommen. Aber auch hier, in einem ruhigeren Teil der Stadt östlich von der Verbotenen Stadt hatten wir kein Glück. Erst die Hilfe eines Hotelportiers eines Luxushotels verhalf uns zum blau-gelben Taxiglück – in wenigen Minuten waren wir in Mami’s Pekinger Residenz. Hervorragend gelegen (aus dem Hotel gelaufen und nach links geblickt lag dort das Dong’anmen, das Osttor der Verbotenen Stadt) und trotz APEC nicht ausgebucht hatte Mami hier wirklich einen Schnapp gemacht.

Ein kleines abendliches Hüngerchen wurde auf der Food Street gestillt und ich hob ein wenig Kleingeld für Mami ab, wobei ich selbstverständlich eine Quittung verlangte. Das war großes Pech, da mein prekonditioniertes Gehirn den Vorgang „1. Geld abheben, 2. Kreditkarte entnehmen“ nach Entnahme von 1. Geld und 2. der Quittung abgeschlossen hatte, ohne die Kreditkarte eines weiteren Gedankens zu würdigen. 30 Sekunden später hatte der Automat meine Karte gefressen und machte keine Anstalten sie wieder herzugeben. Also begab ich mich in den nächsten Tagen auf das Abenteuer „ deutsche Kreditkarte von chinesischer Bank zurückerobern“.
Anderntags genoss ich ein ausgedehntes, herrliches Frühstück bei Mami im Hotel. Kräfte waren notwendig; wir hatten uns die Verbotene Stadt vorgenommen.
Als wir in der 150 Meter langen Schlange standen um mit 2000 anderen Menschen durch den Sicherheitscheck den Platz des Himmlischen Friedens zu erreichen (der eigentlich Platz des Tores des Himmlischen Friedens heißen sollte, wenn man klugscheißen möchte – was mir natürlich völlig fremd ist) bemerkten wir Tumult auf der Chang’an Avenue, der achtspurigen Straße die Peking 34km lang von Osten nach Westen durchschneidet und die Verbotene Stadt vom Tian’anmen-Platz trennt.

Eine junge Dame, elegant und modern in Trenchcoat, Bleistiftrock und entsprechenden Schuhen angezogen, hatte versucht, den Tian’anmen auf der Chang’an zu überqueren. Einem Polizisten missfiel dies offensichtlich und die Auseinandersetzung eskalierte so schnell und so gründlich, dass wenige Momente später zwei weitere Polizisten hinzugestoßen waren und zu dritt auf die Dame eingeschlagen wurde, die versuchte, sich mehr schlecht als recht mit ihrer Handtasche zu verteidigen. Für mich war es unbegreiflich, dass drei männliche chinesische Polizisten und somit Staatsrepräsentanten eine junge Dame auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit über 2000 direkten und durchaus auch internationalen Zuschauern vermöbeln würden, weil diese so unverschämt ist, den falschen Weg über den Platz zu nehmen. Einblick in einen nervösen Machtapparat...

Der Schönheit der Verbotenen Stadt tat dies jedoch keinen Abbruch: Bei klirrend kaltem Wind und klarer Luft (der Himmel war so blau in diesen Tagen, dass er von Pekingern als #APECblue in sozialen Netzwerken betitelt wurde) wanderten Mami und ich durch die riesige Anlage. Beide waren wir schon mal da gewesen, aber man entdeckt trotz allem jedes Mal etwas Neues: eine mir völlig unbekannte Seitenachse öffnete sich uns, und durch die Residenzgemächer der Kaiserwitwe Cixi schlenderten wir Richtung Ausgang, völlig platt von den Eindrücken dieses großartigen Palastes. Die Verbotene Stadt hat eine besondere Aura: man kommt völlig fertig ob der Eindrücke heraus aber innendrin ist man weitab von allen tagespolitischen Entwicklungen, die draußen so wichtig sind. Es ist auch völlig still und man sieht (außer in den höher gelegenen Teilen) keinerlei andere Häuser außerhalb der Verbotenen Stadt, so dass man mitten in Peking auf einmal mehrere Jahrhunderte in die Vergangenheit reist.

Stärkung tat Not nach mehreren Stunden in der Verbotenen Stadt! Gut, dass gerade eine Elektro-Rikscha vorbeikam und uns höchst komfortabel zur Nanluogoxiang brachte, ein nettes kleines Gässchen, dass vor allem von chinesischen Touristen frequentiert wird. Wir schlenderten hindurch, fanden einen herrlichen kleinen Juwelier, der Schmuckstücke aus 400 Jahre alten Porzellanbruchstücken machte, sowie ein höchst gemütliches Kaffee – treue Leser dieses Blogs wissen, dass ich dort einen Sonntag lang meinen Kater gepflegt habe. Wir wollten aber zu Mr Shi und seinen hervorragenden Dumplings. Mami hatte am Abend zuvor an der Wangfujing Food Street schon einmal Dumplings probiert, wo sie nicht frisch und dazu viel zu fettig sind, und sollte nun positiv überrascht werden.

Hernach wartete, wegen der Messe zu Allerheiligen, ein Taxitrek zur Deutschen Botschaft auf uns. Die Taxifahrerin war besonders goldig: Ich sagte ihr, wo wir hinwollten, sie unterhält sich hochmotiviert mit mir und ich radebreche nach Möglichkeit gegenan – haufenweise völlig unberechtigter Komplimente für mein ach so „exzellentes“ Chinesisch waren das Resultat.
Nach der Messe warteten schon Max, Cristina, Lotte plus Familienanhang, Baibai, Dennis, Kevin und Philipp auf uns; wir wollten zusammen eine Pekingente in der Nähe der Botschaft essen. Da ich (noch) Student bin, genieße ich das Angebot von meinen Eltern, mich und ein paar Freunde zum Abendessen einzuladen, wann immer und wo auch immer sie mich besuchen kommen. Sie lernen so mein Umfeld kennen und meine Freunde lernen meine Mutter oder meinen Vater oder beide kennen. Ich bin jedenfalls immer sehr dankbar dafür!

Nach einem guten Frühstück am nächsten Morgen brachen wir auf zum Lamatempel, den ich schon einmal beschrieben habe. Mami hatte ihn vor 10 Jahren schon besucht, bei mir war das ein wenig kürzer her – beide waren wir wieder beeindruckt von der Ruhe, die der religiöse Komplex ausstrahlt und von der Inbrunst mit der dort der Lama-Buddhismus praktiziert wird – gerade von jungen, modernen und (meine subjektive Annahme) vergleichsweise gut ausgebildeten Chinesen.
Das Hauptgebäude des Lama-Tempels

Junge Pekinesen entzünden ihre Räucherstäbchen

Auch vor dem Hintergrund der politischen Spannungen mit Tibet ist es bemerkenswert, wie wichtig der Lama-Buddhismus im Herzen von China’s Machtapparat für viele Chinesen ist und wie frei hier diese Religiosität gelebt werden darf. Kein Wort allerdings vor, im oder am Tempel über die Existenz irgendeines Dalai Lamas zu irgendeinem Zeitpunkt, das wäre zu viel verlangt.

Mami im Lamatempel
Besuche im nahe gelegenen Konfuziustempel und der alten kaiserlichen Akademie boten sich an, die, anders als der Lamatempel, von Touristen fast vollständig gemieden werden. Vor allem die Akademie ist sehr beeindruckend: Hier thronte der Kaiser zentral in einem Prachtbau und hielt Vorlesungen vor Tausenden nach dem strikten Leistungsprinzip ausgewählten hochtalentierten Studenten aus dem gesamten Kaiserreich, die in die höheren Verwaltungsränge aufsteigen sollten. Da die Stimme des Kaisers dann doch nicht stark genug war, wurde das Gehörte per Mund-zu-Mund-Übertragung an die weiter entfernt sitzenden Studenten weitergegeben. Daher stammt, nehme ich an, das englische Äquivalent zur deutschen „stillen Post“, nämlich das „Chinese Whisper“.
In den Seitengebäuden um den zentralen kaiserlichen Vorlesungssaal herum studierten und lernten die Studenten. Eine Ausstellung demonstrierte eindrucksvoll die Struktur des chinesischen Bildungssystems:
  • Jeder konnte sich auf den Weg durch das vielstufige Prüfungssystem machen, Herkunft spielt nur bei der Stellenvergabe eine (nachrangige) Rolle
  • Gute Resultate bedeuten gute Beamtenstellungen und somit gesellschaftlichen Aufstieg, Ansehen, Macht und Geld – theoretisch erreichbar für jeden, es gilt das Leistungsprinzip
  • die Lernunterlagen waren frei verfügbar, damit war wiederum die Durchlässigkeit des Systems gesichert
  • Die Prüfungen waren extrem kompetitiv: in jeder Stufe wurden maximal 3% zur nächsten Stufe durchgelassen
  • Um die Vergleichbarkeit der Resultate zu sichern waren die Prüfungen seit ca. 1350 im ganzen Kaiserreich standardisiert. Wir haben in Deutschland fast 700 Jahre länger gebraucht um die Vorteile zentral gestellter Prüfungen einzusehen – und sie sind eigentlich immer noch nicht wirklich zentralisiert
  • Die letzte Prüfung fand in einer eigens dafür gebauten Halle in der Verbotenen Stadt statt, die in ihrer Position und Größe der zentralen Thronhalle des Kaisers ebenbürtig ist. Wer hier bestand, gehörte fortan zu den Reichsten und Mächtigsten des Reiches, musste dafür aber auch ca. 10 Prüfungsstufen überstehen

Eine der Stelen die als Vorlage für die Lehrbücher fungierten: sie wurden auf Reispapier durchgepaust und ins ganze Land verschickt


Dieses Prüfungssystem beeinflusst die chinesische Lebenskultur bis heute bis ins Mark: Es zählt nur, wer der Beste/ Erfolgreichste / Reichste / Mächtigste ist, alles andere ist nicht relevant. Auswendiglernen ist bis heute die wichtigste Kernkompetenz im Ausbildungssystem und Generalmethode, um sich alles von Mathematik über Fremdsprachen, Geschichte, Politik und Businesskonzepte reinzubimsen. Expats bei den schon zitierten großen deutschen Automobil- und Pharmakonzernen sagen, dass chinesische und ausländische (also "westliche") Praktikanten in vielen Feldern absolut auf Augenhöhe seien. Jedoch kann es durch die hiesige Ausbildung, der dadurch akquirierten Problemlösungsmethoden und der sehr großen kulturellen Unterschiede vor allem bei Transferleistungen zu Problemen führen. Wenn etwas nicht auswendig gelernt wurde, kann es manchmal schwierig werden, so der Grundtenor – eine Konsequenz ist beispielsweise, dass deutsche Firmen in Peking vermehrt auf deutsche Austauschstudenten in Peking zugehen, um diesen aktiv Praktika anzubieten; die sind ja schon in Peking. Fragt mich bitte nicht wie das mit chinesischem Arbeits- und Einwanderungsrecht vereinbar ist, da diese ja eigentlich nur auf einem Studentenvisum in Peking sind.

Bei älteren, erfahreneren chinesischen Mitarbeitern sei das logischerweise anders, da hier die Berufserfahrung eine wichtige Rolle spielen würde. Die kulturellen Unterschiede sind aber trotzdem markanter als in Richtung Arabien, Nord- oder Südamerika.

Diese kulturellen Unterschiede führen im Alltag zu netten kleinen Anekdoten, die in meinem Umfeld vor allem humoristischen Wert haben: Beispielsweise bat mich ein chinesischer Freund um Hilfe: Ein Kumpel von ihm wolle eine Firma gründen, die Tanzunterricht gibt und professionelle Tänzer miteinander vernetzt, wortwörtlich ins Englische übersetzt sollte sie „Dancing MBA“ heißen. Nun fände er den Klang nicht besonders reizvoll, ob es da nicht noch eine andere Möglichkeit gebe? Ich war überrascht, und fragte, warum der Kumpel „MBA“ gebraucht hätte, wenn es sich dabei doch um den „Master of Business Administration“ handelt, der mit Tanzen ja absolut nichts zu tun hat?

M. (so nennen wir ihn hier mal) war dies wohl bewusst. Er erklärte mir, dass sehr viele Chinesen, gerade in den größeren Städten wissen, dass ein MBA ein hochqualifizierender Abschluss ist – sehr wenige wissen aber, wofür die drei Buchstaben stehen. Es werde quasi als generelles Know-How-Qualitätsmerkmal angesehen, wie etwa „Made in Germany“ als generelles Produktqualitätsmerkmal gilt. Ein MBA sei keinesfalls eine fachspezifische Qualifikation im Wirtschaftsbereich. Das hat mich ein wenig umgehauen, muss ich zugeben.

Ein anderes Beispiel, ganz anderer Kontext: Bei einer der APEC-Zeremonien sitzen China-Chef Xi Jinping und ein anderer wichtiger Mensch zusammen auf dem Podium und schnacken, es ist eisekalt. Auf der anderen Seite von Xi sitzt seine Ehefrau, die ebenfalls friert, neben ihr der starke Mann Russlands. Putin sieht, dass China’s First Lady kalt ist und legt ihr, nach feiner russischer Art, eine Decke über die Schultern – in diesem Video zu sehen. Dieses Video wurde von chinesischen Autoritäten sofort zensiert und war in hiesigen Medien nie zu sehen, da dies einen Gesichtsverlust für Xi Jinping bedeutete, der es offensichtlich versäumt hatte, das Wohl seiner Ehefrau im Blick zu behalten – aus meinem deutschen Blickwinkel heraus absurd.

Solche Sachen können, mit genügend Humor, Zeit und Geduld genommen, das Leben hier sehr spaßig erscheinen lassen. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese Dinge sehr anstrengend werden wenn etwas zeit- oder geldkritisch ist, wie zum Beispiel im geschäftlichen Umfeld.

So, genug des Exkurses. Nach der kaiserlichen Akademie ging es jedenfalls im Geschwindschritt per Taxi nach Haidian, wo ich Mami meine Uni, meine Unterkunft und meine unmittelbare Umgebung zeigte – hier essen wir häufig Streetfood, da ist die nette Dame vom Obststand, hier ist das Cafe wo wir häufig Chinesisch lernen und dergleichen mehr. Was meine Unterkunft angeht habt ihr ja die Details im letzten Post bekommen. Mami’s Kommentar: „Das könnte ich den Eltern eines 14-jährigen Deutschen nicht verkaufen“ – und doch ist es noch so viel besser als die Unterkunft für die Chinesen. Sie musste, als sie ins Gebäude wollte, ihren Pass abgeben und es wurde eine Photokopie von allem möglichen gemacht, was sie an Dokumenten dabei hatte und relevant oder irrelevant ist. Ein kleines Studenten-Abendessen bei meinem Stamm-Streetfood-Mann stärkte mich für die Präsentation, die ich abends noch halten durfte: Um vier ECTS-Punkte an der TUM zu bekommen, sollten wir eine viertelstündige Präsentation halten, die ein derzeitiges / früheres Forschungsprojekt von uns vorstellt. Ich find’s spannend weil man mit ganz unterschiedlichen, teils sehr wenig verwandten Themenkomplexen in Berührung kommt, die von Leuten vorgestellt werden, die sich eingehend damit beschäftigt haben. Andererseits genial, weil ich so neue ECTS-Punkte für bereits erbrachte Leistung bekomme und diese so doppelt vergütet wird. Da bin ich voll für Sustainability und Recycling und so.

Lustig wird es, wenn der auch anwesende arabische Promotionskandidat des BIT eine konzeptionell unausgegorene, statistisch dilletantische und (meiner Meinung nach) nur beschränkt relevante weil wenig Neues zeigende Arbeit in bester 3.Klasse-Referat-Manier präsentiert.
Der lustige Aspekt weicht kollektivem Fremdschämen, als Prof. Meng aufsteht, fragt, ob besagter Promotionsstudent etwa schon veröffentlicht hätte. Sichtlich geschockt da dies der Fall ist, beginnt er nun die Arbeit und vor allem deren Präsentation nach Strich und Faden vor versammelter Mannschaft auseinanderzunehmen; der bedröppelte arme Kerl kommt noch nicht mal mehr zu Wort. Wir haben uns fix aus dem Staub gemacht...

Das war auch gut so, mussten wir doch früh ins Bett um am nächsten Morgen frisch wie ein Gänseblümchen von Hu Xiao abgeholt zu werden, der uns zur nahe gelegenen Mauer bringen sollte. Der Tag war herrlich, die Luft frisch und klar – so macht Peking Spaß! Bitte mehr APEC in Zukunft.
Hu Xiao rauschte los, und zwar so, dass Mami ganz anders wurde. Er hat den chinesischen Verkehr gemeistert und fährt sehr sicher seit über 20 Jahren – aber eben auch sehr aggressiv und schnell. Benno, dem wir diese Wohltat (wieder einmal) zu verdanken hatten, verdrehte nach meiner Schilderung die Augen und meinte, seit acht Jahren versuche er, diese Fahrweise abzuerziehen – ich glaube nicht, dass dies von Erfolg gekrönt war, wir waren jedenfalls verdammt fix dort, wo wir hinwollten.
Die Mauer liegt etwa 300 Höhenmeter über dem Tal und zieht sich immer über die höchsten Punkte über die Hügel, so dass sie gegen den Horizont ein imposantes Bild abgibt, wie sie sich wie ein chinesischer Schlangendrachen durch die Landschaft schlängelt. Ich war vor ein paar Wochen schon mit 350 Austauschstudenten vom BIT hier gewesen (logistische Meisterleistung des International Office, uns in 5 Reisebusse zu bugsieren...) und muss sagen, dass es dieses Mal zum einen bedeutend leerer war (Montag morgens statt Samstag nachmittag) zum anderen nur mit Mami doch noch mal was anderes als mit 350 Austauschstudenten und last but not least auch hier der reduzierte Smog wahnsinnige Auswirkungen auf die Sichtweite hatte. So wirkte die Mauer noch beeindruckender, als es sowieso schon der Fall ist. Bin sehr dankbar, dass ich sie sehen und auf ihr wandern durfte!
Gut zu sehen, wie sich die Mauer über die Hügelketten im Hintergrund schlängelt
Ein Herbst in Peking kann sehr schön sein!

Mutter und Sohn auf der Mauer

Als Dank für seine Dienste brachten wir Hu Xiao ein Snickers mit (Trinkgeld ist absolut unüblich in China, weder in Restaurants, für’s Taxi oder im Hotel wird es gegeben) und das freute den guten Kerl so sehr, dass er (wiederum mit halsbrecherischen Manövern bei unglaublicher Geschwindigkeit) eine Extrarunde um das olympische Gelände drehte, das Mami und ich beide noch nicht gesehen hatten – für mich hatte es sich bisher nicht ergeben und Mami war vor 10 Jahren weit vor den olympischen Spielen in Peking gewesen. Damals standen dort noch überall Hutongs. Heute durften wir nicht besonders nah ran, alles bereitete sich auf die APEC-Konferenz vor, die auf zwischen Aqua-Cube und Bird’s Nest stattfinden sollte. Sichtlich stolz auf die avantgardistische Architektur die China hier produziert hat, wurde wir eine halbe Stunde zwischen den einzelnen Stadien, Pressezentren und ehemaligen Athletenunterkünften hin und her gekurvt, bevor Hu Xiao uns im Central Business Distric (CBD) in Guomao rausschmiss, und der nächste Höhepunkt auf uns wartet.

Mit Max habe ich das schon erkundet, Mami wollte ich es nicht vorenthalten: Ein Tee auf 360 Meter über der Stadt mit tollem Blick die Chang’an-Avenue hinunter Richtung Westen und (bei gutem Wetter, wie heute) sogar die Verbotene Stadt glitzert in der untergehenden Sonne. Wir lassen es uns gutgehen, bestellen einen „Afternoon Tea“ mit einer Etagiere voller Köstlichkeiten und genießen den atemberaubenden Blick auf die langen Unterhosen des berühmten CCTV-Gebäudes (kleine Nebenanekdote: Xi Jinping hasst die Architektur dieses Gebäudes und würde es im Zuge seiner „entarteten Kunst“-Rede nie wieder zu so einer Entgleisung und hemmungslosen Einfluss fremder Kulturen kommen lassen, so Benno). Als wir gehen wollen, quatscht mich eine junge Chinesin an, die UNBEDINGT irgendwann mal einen Kaffee mit mir trinken möchte, und besorgt sich meinen WeChat-Kontakt. Mami ist ein wenig verblüfft, wie unverblümt und offensiv die junge Dame agiert.

 
Blick von unserem Tisch im World Trade Center auf das CCTV-Gebäude

Wir beschließen, dass dies ein gutes Ende des Tages ist und treffen uns am nächsten Morgen, weil ich eine Überraschung für Mami vorbereitet habe: Vor einigen Wochen hatte ich schon das große Glück, mit Philipp einen chinesischen Kochkurs machen zu dürfen, in dem wir in die Wunder der handgezogenen Nudeln eingeweiht wurden. Dieser Kochkurs fand in einem alten, vorsichtig renovierten Hutong statt, es schmeckte unglaublich gut und die Atmosphäre war super – kurz, hier musste ich mit Mami hin. Nachdem nun in Peking aber vor allem die „jiaozi“-genannten Dumplings berühmt sind, hatte ich einen entsprechenden Kurs gebucht und eben dorthin machten wir uns auf den Weg. Mami hat’s geliebt, das Essen war viel zu viel aber sooo gut: die eine Füllung bestand aus Lotuswurzeln, Ingwer, Knoblauch und Schweinefleisch und die andere aus chinesischem Bärlauch, Rührei und Koriander, beide Füllungen noch mit ein paar chinesischen Gewürzen ergänzt. Dazu ein frischer Chinakohlsalat sowie grüner Tee und ein Haufen Grundbedürfnisse waren aufs angenehmste gestillt.

Der Innenhof des Hutongs, in dem wir unseren Kochkurs hatten

Gleich geht's los!

Das war auch gut so, wartete doch sogleich das nächste Abenteuer auf mich: Meine Kreditkarte steckte ja immer noch im Automat / bei der Bank / irgendwo im Orkus fest, und da dieses kleine Stück Plastik mein einziger Schlüssel zu angenehmen Geraschel im Geldbeutel ist, war ich durchaus bereit, ein paar Stunden zu investieren um sie wiederzubekommen. Es ist möglich, aber man muss es wollen. Zunächst ruft man die Hotline an, die auf dem Bankautomaten steht, das geht nur mit chinesischem Handy – diese Hürde hatte ich also schon genommen. Nun musste aber per Nummern drücken der Weg durch ein chaotisch aufgesetztes Dial-Menü gefunden werden, bis man im Unterpunkt „Kreditkarte eines ausländischen Institutes an einem Geldautomaten in einer automatisierten Filiale (ohne Bankberater) verloren wobei eine Quittung vorhanden ist“ angelangt ist. Sodann wird man an eine mehr schlecht als recht Englisch sprechende (immerhin!) Dame weitergeleitet, die einem verkündet, man sei hier leider falsch, aber könne bei Bedarf zur richtigen Stelle weitergeleitet werden. Dort sagt man mir, ich sei zwar richtig, aber hätte ich Chinesisch-sprechende Bekannte? Ich bekäme nämlich eine weitere Nummer, nein, direkte Weiterleitung sei nicht möglich, und dort könnte ich nachfragen wo nun meine Karte sei. Ob ich einen Blick auf meine Quittung werfen könnte? Wenn dort folgender Code gedruckt ist, muss allerdings einer anderen Prozedur gefolgt werden, wait a moment please...

Nachdem ich also mit Hilfe mehrerer Hotelangestellter irgendwann Passierschein A38 eingesammelt hatte und wusste, wo meine Karte ist, saß ich 3 Stunden in einer Bankfiliale um die Ecke und wartete, dass mein Nümmerchen aufgerufen wird. In Deutschland kennt man die Prozedur: Da steht „138“ auf dem Zettel, momentan wird die 101 bedient, jetzt ist 102 dran. Das wäre zu einfach.
In China’s Banken sind vor den Nummern noch Buchstaben, die (so meine auf wackligen Indizien beruhende Theorie) nach Art des Anliegens vergeben werden, weswegen man in der Filiale sitzt. Im Endeffekt hat man also bspw. Nummer X1034, die letzte aufgerufene X-Nummer war X0983, es werden aber ständig nur J- und W-Nummern aufgerufen: J230, W629, etc.; dann auf einmal eine X-Nummer! X-1269 bitte zum Schalter? Hab ich was verpasst? Ne, ich bin nur aus irgendeinem Grund irgendwann später dran, der Himmel weiß warum.
Nein, sicherlich keine völlige Willkür, aber es fühlt sich so an und braucht Stunden.

Mit Benno sind wir an dem Abend gegen sechs verabredet, ich rufe ihn gegen vier an und erkläre, dass ich in einer Bank sitze – „Ah. Ja, vor sieben wird das keinesfalls was; danke, ich weiß Bescheid“. Bei der Allianz machen sie es so, dass ein Fahrer mit der Nummer in der Bank (die angenehmerweise im selben Haus ist) sitzt und dann anruft, wenn die Nummer gleich aufgerufen wird – drei Stunden Arbeitszeitverlust wegen einer kleinen Bankangelegenheit kann sich kein Unternehmen leisten.

Wenig später (ok, das ist relativ zu verstehen) halte ich das Objekt der Begierde in der Hand und wir machen uns auf den Weg zu Benno, der uns zu einem kleinen Sekt eingeladen hat, dem ein sehr nettes Abendessen folgt.

Und das war auch schon Mami’s Zeit in Peking! Fix ging sie vorbei, aber schön war’s und ich hab mich sehr gefreut mein Leben hier jemandem zeigen zu können, der mich so gut kennt.


Nächstes Mal geht’s ins Paradies auf die Phillipinen!