Montag, 1. Dezember 2014

Robinson Crusoe, nur mit besserer Begleitung!

Unsere Pension war von einfachster Art: ein kleines Zimmer von ca. 10-12 Quadratmetern mit einer Kleiderstange und zwei Betten, eins groß, eins klein. Wir merkten auch sofort, dass wir in den Tropen sind: Als das Licht eingeschaltet war, verzogen sich zwei Kakerlaken blitzartig in eine Ecke unters Bett, das Badezimmer (eher „Klo mit Duschgelegenheit“) wartete mit einem weiteren Artgenossen auf, den aber bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Es war völlig ausreichend. Trotz allem war für uns, und nicht zuletzt für Cristina klar, dass man hier für geringes Geld mehr ein wenig schöner wohnen kann.
Eine der Inseln, die El Nido umgeben

Max schlief noch, als wir uns anderntags auf den Weg machten, um das Dorf zu erkunden und nach einer anderen, ein wenig ansprechenderen Pension schauten. Man wird sofort fündig, vor allem direkt am Strand scheint es drei unterschiedliche Arten an Häusern zu geben: Restaurants/Cafés, Übernachtungsmöglichkeiten oder Tauchschulen. Alle drei klapperten Cristina und ich in diesen Morgenstunden ab um einen Überblick über das Dorf zu bekommen. Schlussendlich entschieden wir uns für eine Herberge, in der wir für ein paar Euro mehr eine eigene Terrasse hatten, die de facto direkt in den Strand überging. Morgens war ein Frühstück dabei, Zimmer und Betten waren doppelt so groß, es wurde einmal am Tag geputzt – alles nicht unbedingt notwendig, aber sowohl in der relativen Preissteigerung als auch im absoluten Betrag wirklich verkraftbar.

Als nächstes stand die Frage an, wie man die nächsten Tage verbringen sollte. Die Optionen schienen allesamt verlockend:

  •       ein Kayak mieten und zu den umliegenden Inseln paddeln
  •       mit einem gemieteten Boot die umliegenden Inseln erkunden und dort schnorcheln
  •       auf eigene Faust losziehen, die Gegend und verborgene Strände entdecken
  •       einen Schnuppertauchgang machen
  •       einen Roller mieten und Palawan über Land entdecken
  •       auf die umliegenden Vulkangesteinberge klettern und von oben die Aussicht auf die Lagune und das türkisblaue, glasklare Meer genießen

Für mich stand sehr schnell fest, ich wollte mindestens einmal tauchen gehen. Tauchen war ein Traum von mir, seit meinem fünften Lebensjahr: Ich entdeckte bei meinem alten Freund Niki das Buch „WAS IST WAS? Wale und Delphine“. Zwei Jahre später zeigte mir Tante Tessa, übrigens auch eine zertifizierte Taucherin, bei einem Besuch in Hamburg eine Ausstellung zum Thema Wale und Delphine und schenkte mir einen tollen Bildband dazu, den ich bis heute habe und mir immer noch gerne anschaue. Ich war infiziert und wollte selbstverständlich Meeresbiologe werden – das ebbte später ab, aber Naturfilme zum Thema Korallenriffe oder Meeresfische fand ich immer noch hochinteressant.

Cristina und ich klapperten also alle Tauchschulen ab, die wir finden konnten (und es gab eine Menge) bis wir beim Franzosen Florent landeten, der einerseits sympathisch und erfahren schien und dessen Preise andererseits sehr in Ordnung waren. Max wurde bei einem köstlichen Frühstück (Mango-Joghurt-Shake mit selbstgebackenem Brot, selbstgemachter Marmelade und zwei köstlichen, selbstgelegten Eiern) von unseren Plänen informiert, stimmte voll und ganz zu und so buchten wir unseren Tauchtrip für den nächsten Tag. Ich war aufgeregt!

Nun wollten wir die Umgebung des Dorfes erkunden. In El Nido selber ist am Strand noch „relativ“ viel los (ein paar Jungs tragen Sauerstoffflaschen zu Booten, ein paar Touristen tapsen nach einem Ausflug vom Auslegerboot zum Strand, zwei Hunde raufen sich und dergleichen mehr) – das ändert sich, wenn man 5 Minuten außerhalb ist. Hier sind lediglich kleine Hütten, in denen die Bootsbauer leben, die die Auslegerboote bauen. Der Strand, an dem wir den Nachmittag verbrachten, war komplett einsam gelegen; nur hin und wieder kommt ein freundlich grüßender Pinoy des Wegs, der eine martialisch aussehende Machete mit sich rumträgt. Ich habe das noch nicht erwähnt – in dem Moment, in dem wir Manila verließen, änderte sich die Atmosphäre schlagartig: die Leute lächeln, sind hilfsbereit und offen. Natürlich sehen sie einen immer noch zuerst als geldverteilenden Sonnenbrand, aber ich hatte nicht dieses Gefühl latenter Unsicherheit von Manila, dass ich vorher nur aus Städten wie Nairobi kannte.

"Unser" Strand


Der Rest des Tages ist schnell erzählt: wir dümpelten im warmen Wasser, lasen Bücher, machten einen Workout am Strand, öffneten eine gefundene Kokosnuss (Survival Skill des Tages) und genossen Sonne und frische Luft nach Peking’s Smog, Wärme nach Peking’s Kälte, den unglaublichen Ausblick auf die Lagune und die Natur die uns überall umgab nach der monatelangen Betonwüste.
Ein von @yckmvb gepostetes Foto am

Mit Meeresrauschen sanft eingeschlafen wurden wir früh vom Kling-kling der Sauerstoffflaschen geweckt, die über den Strand zu den Booten gebracht wurden – nach dem Frühstück in der neuen Pension ging es fix zu Florent’s Strandhütte, in dem fleißige Pinoys schon die Sauerstoffflaschen bereitstellten. Am Abend davor hatten wir noch Neoprenanzüge und die restliche Ausrüstung anprobiert und angepasst, so dass wir heute morgen sofort abfahrtbereit waren. Aufs Boot kam noch ein Mittagessen und wir waren unterwegs: Ronald (philippinischer Tauchlehrer), Florent, wir drei und noch drei weitere Gäste. Drei weitere Pinoys waren auf dem Boot, die sich um den Rest kümmern: Das Boot steuern, beim Anlegen helfen, Kochen, helfen die Ausrüstung anzulegen, Sauerstoffflaschen wechseln, etc.

Wir fuhren aus dem Stadtbereich von El Nido heraus durch eine Meerenge zwischen zwei Inseln. Vor uns öffnete sich die große Lagune, die nicht im eigentlichen Sinne eine Lagune ist, sondern ein durch verschiedene, recht große vorgelagerte Inseln geschützter Meeresbereich ist, der sich durch ruhigeren Seegang und wunderschöne Tauchreviere auszeichnet. Der Bereich hat einen Durchmesser von geschätzten 5-10 Kilometern, so dass man ca. eine halbe, dreiviertel Stunde unterwegs ist bis zum ersten Tauchplatz.
Unser hart arbeitender Tauchlehrer Florent gönnt sich ein Nickerchen, während wir durch die Lagune von El Nido schippern 

Auf der Fahrt zwängten wir uns in die Neoprenanzüge und bekamen ein letztes Briefing: Hier einatmen, dort die Schwimmweste aufblasen, so und so läuft der Tauchgang ab.

Als Ronald im Wasser ist, bin ich an der Reihe. Ich stehe auf, wanke unter dem Gewicht von Sauerstoffflasche und Bleigewichten, Florent prüft meine Ausrüstung ein letztes Mal mit kritischem Blick, ich lasse Pressluft in die Schwimmweste, setze die Tauchbrille auf, atme durch das Mundstück und mache einen großen Schritt ins Wasser. Testweise atme ich vorsichtig durch das Mundstück als mein Kopf unter Wasser ist – entgegen aller Befürchtungen funktioniert es ganz ausgezeichnet! Es hört sich zwar an wie wahlweise Darth Vader aus Star Wars oder eine Beatmungsmaschine im Krankenhaus, aber ich kann unter Wasser atmen. Max und Cristina sind mittlerweile auch drin und das Gefühl ist unbeschreiblich – wir sind an der Schwelle zu einer ganz neuen Welt, zu der wir davor aufgrund unserer körperlichen Beschränkungen einfach keinen Zugang hatten.
Wie wir es gelernt haben, lassen wir auf Geheiß von Ronald die Luft aus unseren Schwimmwesten und atmen langsam aus. Während der Körper langsam unter Wasser gleitet habe ich noch ein letztes Mal das Gefühl, an der Oberfläche nach Luft schnappen zu müssen – das gibt sich aber, sobald man bemerkt wie einfach, mühelos und angenehm man unter Wasser atmen kann.

Umgeben von Fischen, oberhalb eines weitläufigen, abfallenden Riffes, das ca. 5 Meter tief lag, dümpelten wir herum und genossen das Gefühl, zu schweben. Ungewohnt ist, dass man von der Dünung sanft hin- und hergeschaukelt wird und anfangs mit jedem Atemzug unkontrolliert aufsteigt bzw. absinkt. Nach ein paar Minuten treffen wir uns alle auf dem Meeresboden und versammeln uns um Ronald, der uns ein paar sicherheitsrelevante Übungen vormacht – wie verhalten wir uns, wenn wir unser Mundstück verloren haben? Was machen wir, wenn Wasser in die Tauchbrille fließt und wir nichts mehr sehen können? Was ist die richtige Reaktion, wenn es Probleme mit der Luftzufuhr gibt? All solche Fragen beantwortet er im learning-by-doing-Verfahren unter Wasser. Als wir alle Aufgaben zu seiner Zufriedenheit geschafft haben, geht es los. Langsam gleiten wir immer das Riff entlang in tiefere Regionen: 8 Meter, 9 Meter und um uns eröffnet sich eine Welt, wie ich sie noch nie gesehen habe: Wälder an Korallen, Fische und andere Meerestiere überall, Korallen von einer unglaublichen Größe und Farbenfreude, sogenannte Korallen-„Tische“ mit einem Durchmesser bis zu 4 Metern – die wachsen nur 1 cm pro Jahr, so mit ist das Alter leicht geschätzt und umso beeindruckender. In ihnen wohnen kleine Fische in Symbiose, die das Korallengeäst auch nicht verlassen. Wie Bienen im sommerlichen Lavendel sausen sie zwischen den Korallenästen herum und halten diese sauber. Clownfische, seit dem Film „Findet Nemo“ weithin bekannt, sitzen in Anemonen und verteidigen diese trotz ihrer geringen Größe umso entschlossener - selbst in Anbetracht unserer nicht ignorierbaren körperlichen Größe. 30 Zentimeter lange, sehr farbenfrohe aber hochgiftige (wenn man sie essen würde) Seeschlangen lugen aus ihren Wohnlöchern heraus. 40cm breite Muscheln, die fest mit dem Korallenriff verwachsen sind, haben ihren Spalt ein paar Zentimeter geöffnet und zucken erschrocken zusammen, wenn sie die Wirbel unserer Flossen merken. Territoriale Fische sind ein interessantes Phänomen: Da gleitet man ganz friedlich, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und langsam mit den Füßen schlagend ca. 1 Meter über die Korallen hinweg, dann fühlt man auf einmal, dass einen da etwas in den Unterschenkel kneift. Das stellt sich dann meistens als geschätzt etwa 20 – 30cm großer Fisch heraus, der beschlossen hat, hier sei sein und nur sein Zuhause, und der sich durch das große dunkle Etwas mit allerlei Schläuchen natürlich gestört fühlt. Die Affäre endet aber in jedem Fall für beide Parteien äußerst glimpflich.

Es gilt bei allem die Devise, ausreichend Abstand zu waren und nichts zu berühren – wie im Museum. Ähnlich wie im Gebirge auf großer Höhe sind wir hier lediglich Gast und zwar auf Zeit und haben uns entsprechend zu verhalten. Das merkt man sehr deutlich an dem technischen Aufwand, der betrieben werden muss, um in diese Tiefen vorzudringen und hier Zeit zu verbringen.

In diesem Tauchgang gehen wir auf 9 bis 10 Meter hinunter – so tief war ich noch nie unter Wasser. Ich bin komplett von den Socken, habe das Gefühl über die Korallen zu fliegen, mache einen Looping, liege rücklings im Wasser und schaue meinen Luftblasen auf dem Weg zur Oberfläche zu, während die Sonne  die über mir liegenden Korallen an der steilen Klippe im Profil bestrahlt und die Fische drumherum glitzern. Als ich mich umdrehe, sehe ich Roland wie er, Buddha gleich, mit perfekter Balance regungslos im Schneidersitz schwebt, die Enden einer Flosse jeweils in der anderen Hand – ganz, als hätte er Levitation gemeistert. Um ihn herum tummelt sich ein neugieriger Schwarm Zebrafische. Er beaufsichtigt uns, seine um ihn herum wuselnden Schäfchen, und passt auf, dass keiner verloren geht.
Hin und wieder treffen sich meine Blicke mit Cristina oder Max, beiden ist (trotz durch Tauchausrüstung auf „hh-hhh“ eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit) deutlich anzusehen wie überwältigt sie sind.

Der erste Tauchgang mit seiner halben Stunde ist viel zu schnell vorbei als Roland signalisiert, dass wir uns langsam wieder auf den Weg nach oben machen sollen. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht komme ich an die Oberfläche, lasse Luft in die Schwimmweste, ziehe die Tauchbrille runter, lasse das Mundstück fahren und lege mich auf den Rücken. Salzgeschmack im Mund, Sonne auf der Haut, sanft schaukelnde Dünung, unglaubliche Eindrücke im Kopf und das zwischen kleinen Inselchen, versteckten weißen Stränden, in türkisem Wasser mit wenig anderen Mitreisenden. Soll das hier die Verlegenheitsoption sein, weil Nordkorea die Grenze zugemacht hat? Es scheint zu gut, um wahr zu sein.

Das Mittagessen ist derweil bereits fertig zubereitet und das Boot beeilt sich zu einem kleinen verlassenen Strand zu kommen, der in der Nähe des nächsten Tauchplatzes liegt, um dort zu essen. Es gibt, wie sollte es anders sein, frisch gegrillten Fisch, Reis und Salat, dazu die schon bekannte und bereits sehr geschätzte Soja-Kalamansi-Chili-Sauce. Wir sitzen im Schatten unter einer Palme im weißen Sand und stärken uns ein wenig, bevor wir zum nächsten Tauchgang aufbrechen.

Ein von @yckmvb gepostetes Foto am
Kein übles Esszimmer...



Am Ende des Tages ist für mich klar – ich muss einen Tauchschein machen. Ich bin jetzt hier, habe jetzt die Gelegenheit, den Schein in unglaublicher Natur und an wunderschönen Tauchplätzen zu machen. Zudem ist der Schein ein Leben lang gültig und preislich attraktiv im Vergleich zu heimischen Tauchschulen in Deutschland. Da der praktische Teil erst am übernächsten Tag weitergehen kann, hole ich mir noch abends das Theoriebuch ab und fange an, es durchzuarbeiten.

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SCUBA-Buddies!

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