Montag, 9. April 2012

Ostermontag oder: Ein Glas Schafsmilch


Heute mittag sollten Anna und Jens ankommen, vormittags hatte ich also noch zur freien Verfügung. Dies nutzte ich, um mal ein wenig zu wandern – Lalibela liegt auf 2600 m, das „Dach von Lalibela“, ein naher Plateaugipfel und der höchste Berg der näheren Umgebung liegt auf 3500 m. Das war mein Ziel.

Im Frühtau zu Berge war also die Losung. Sofort umgab mich eine Traube an jungen Äthiopiern, die mir unbedingt den Weg zeigen wollten, das Kloster, die tollsten Sehenswürdigkeiten, ob ich wohl eine Pepsi kaufen möchte?, aber ich konnte glaubhaft versichern, dass ich alleine zurecht käme. Drei hielten sich hartnäckig und versuchten ein Gespräch anzufangen, bis ich mich irgendwann umdrehte und sagte, ich wäre sehr gerne ein wenig alleine. Ich könnte sie zwar nicht daran hindern mit mir hochzulaufen, aber sie sollten keinerlei Illusionen haben: Ich werde niemandem einen Cent geben.

Schlagartig verschwanden zwei der Jungs, ein schwarzgebrannter Mann mit Stock und ärmlicher, traditioneller Kleidung blieb aber. Ich schaute ihn fragend an, da meinte er, er würde da oben unterhalb des Klosters mit seiner Familie und seinen Tieren leben, er müsste sowieso hoch.

Wir stapften also bergan, einen gemütlichen Pfad hinauf, der einem eine atemberaubende Sicht auf die umgebende Landschaft gibt. Die Höhe war noch nicht mal das Problem – viel mehr die Hitze, 29°C sind kein Pappenstiel, vor allem mit Halbglatze nicht.

Nach etwa 500 Höhenmetern, auf 3100m erreicht man ein kleines Plateau auf dem Landwirtschaft betrieben wird und, anfangs nicht sichtbar, eine kleine Schule steht. Hier stehen, praktischerweise, etwa 10 junge Äthiopier rum, die einem die eigenen Dienste anbieten.
Sehr schön auch der häufig anzutreffende „Book-Scam“: Junge Kerle versammeln sich um einen und erzählen, dass sie einen Bücherclub gegründet hätten. Nun seien Bücher sehr teuer, vor allem bräuchten sie Amharisch, Englisch, Biologie und Physik – ob man nicht helfen könne? 300 Birr reichen schon! Zur Einordnung: 800 Birr Gehalt monatlich zahlt die Regierung für Sekretärinnen nach 3-jähriger Ausbildung. Um dem ganzen einen offiziellen Touch zu verleihen, wird einem ein Computerschreiben unter die Nase gehalten, auf dem schon viele Ferenjis unterschrieben haben, zusammen mit dem Betrag, den sie gespendet hätten. Wenn stimmt, was auf dem Zettel steht, ist es ein durchaus einträgliches Geschäft, von dem mit Sicherheit, waaahnsinnig viele Bücher gekauft wurden.

Ich wollte keine Kette kaufen, nein, Ledermalereien auch nicht, selbst ein „Sohfttrrink!“ war nicht nach meinem Geschmack.

Mein Begleiter und ich gingen weiterhin schweigsam den Berg hinauf. Nach einer Weile dreht er sich um und meint: „We make deal!“ Er merkt, wie skeptisch ich schaue, lacht laut und erklärt sich: „First, we go monastery, then we go my family drink sheep milk.“

Das hört sich doch schon ganz anders an. Ich habe ihm von Anfang an gesagt, dass er keine Kohle bekommt und er weiß das ganz genau.

Ich stimme zu und er legt ein Tempo an den Tag, dass ich mich umschaue. Ich dachte, ich sei halbwegs fit. Wie aber diese Berggämse in seinen Flip-Flops trittsicherer als ich in meinen steigeisenfesten Bergstiefelen den Berg hinauffliegt, lehrt mich eines besseren. Bald haben wir das Kloster erreicht, er breit lächelnd, ich schweißtriefend, verstaubt und die Lunge herausgekeucht.

Das Kloster liegt sehr friedlich auf 3400m in eine Klippe überm Plateau gehauen und nur durch eine gewisse Kletterei durch den Fels erreichbar. Es überblickt das ganze Tal auf atemberaubende Weise während der kontinuierliche Singsang der betenden Mönche in die Landschaft weht. Sehr friedlich!

Desdale, so heißt mein Begleiter, und ich ruhen uns im Kloster aus, lauschen den Mönchen, genießen den Ausblick über das Tal. Ein Adler kreist über uns und rotznäsige Jungs hüten hunderte Meter unter uns eine Herde Kühe.

Auf dem Abstieg biegen wir kurz nach der Klippenkletterei vom Weg ab und gehen auf dem Plateau in Richtung eines kleinen Tukul-Dorfs mit etwa 30 – 40 Hütten. Zwischen Gerstenfeldern und durch Eukalyptuswäldern führt mich Desdale, stellt mich seinen Nachbarn vor und begrüßt zwei seiner drei Kinder die auf dem Weg in die Hochplateauschule sind.
Relativ nahe am Plateauabbruch erreichen wir seinen Hof: 3 eingezäunte kreisrunde Tukuls mit jeweils ungefähr 20qm Grundfläche, konstruiert aus Eukalyptusstämmen (ca. 5 – 10 cm. Durchmesser) als Grundstruktur, mit Lehm und Schlamm verputzt sowie mit einer Art Reet oder Stroh gedeckt. Eins, das Schlafhaus, ist zweistöckig. Seine Rinder (ein Bulle, eine Kuh) sowie seine 3 Schafe stehen im Erdgeschoß, die Familie im ersten Stock: Auf die Art und Weise wirkt die Wärme der Tiere in kalten Nächten (auf 3100 m selbst in Äthiopien keine Seltenheit) als Fußbodenheizung. Kein Strom, kein fließendes Wasser, lediglich eine Quelle oberhalb des Dorfes.

Seine Frau kommt aus dem Esstukul, lässt mich und Desdale auf den Stufen des Wohntukuls Platz nehmen und fängt an, das Esstukul auszufegen.

Ich werde hineingebeten, zuerst kann ich nichts erkennen, meine Augen müssen sich erst an die vollkommene Dunkelheit gewöhnen. Ich nehme auf einem Stein um das Feuer in der Mitte der Hütte Platz und sehe, dass gerade Weizen gekocht wird. Dieser wird dann zusammen mit einer Linsensoße (SCHARF!!!) gegessen.

Mir wird ein Glas gereicht und mit einer dickflüssigen, inhomogenen weißen Masse mit vielen Brocken gefüllt. Ich frage Desdale, was das ist und er schaut erstaunt: Das wär doch die Milch. Ich probiere – mit Milch hat es nichts mehr zu tun, aber es ist ein Schafsjoghurt. Wenn man sich von der Idee „Milch ist flüssig!“ verabschiedet hat, ist es nicht nur trinkbar, sondern auch schmackhaft.
Natürlich muss ich mich kräftig wehren, als Desdale’s Frau mir zum 3. Mal nachfüllen möchte.

Alsbald hat Desdale Hunger und verlangt nach Injera. Seine Frau schüttet Wasser zum Händewaschen über unsere Hände. Danach bringt sieeinen großen Plastikteller mit ausgerolltem Injera hinein, schaufelt vor Chili rote Linsensoße drauf und stellt ihn zwischen uns.

Es schmeckt unglaublich gut! Nur ist es ein wenig scharf.

Wir sind am Essen, da kommt Desdale’s Kuh zur Tür hinein. Seine Frau fackelt nicht lange und bindet das Tier in der Hütte fest, wo es gemütlich wiederkäut.

Nach dem Essen bereitet Desdale’s Frau den Kaffee, eine Zeremonie wie sie überall in Äthiopien verbreitet ist und sie nach jeder Mahlzeit mit Gästen stattfindet – von der Kaffeezeremonie bei Amanuel in Addis berichtete ich in meinem allerersten Post.

Hier wird der Kaffee allerdings gesüßt und leicht gesalzen, was seinen Geschmack nur noch mehr zur Geltung bringt. Gar nicht so schlecht.

Nach dem dritten Glas fange ich an, mich zu verabschieden, schließlich kommen mittags Jens und Anna an. Ich mache Bilder, zeige Bilder von meiner Familie und meinen Freunden auf meiner Kamera und verspreche Desdale die Bilder seiner Familie zu schicken. Ich bedanke mich sehr herzlich, natürlich auch finanziell im angemessenen Rahmen und wir verabreden uns für morgen früh vorm Hotel um das mit den Bildern zu klären.

Habe mich richtig freundlich aufgenommen gefühlt, ohne Hintergedanken und einfach so. Der Mann war bettelarm, konnte weder schreiben noch lesen, nur ein paar Brocken Englisch und hat mich einfach zum Mittagessen eingeladen. Das war etwas wirklich Unvergessliches.




Auf dem Rückweg begegnen mir kleine Kinder der frechen Sorte: „Give me water!“ Ja ok, kein Ding, es ist heiß und ihr seid ohne Wasser unterwegs. Danach: „Give me money!“ Hab ich nicht, will ich nicht (entspricht sogar beides der Wahrheit). Danach: „Give me scarf!“ Ne, den mag ich. „Give me pen!“ Hab ich nicht, will ich nicht. Ich verabschiede mich auch hier.

Mit Jens und Anna fahren wir nachmittags ca. 50 km durch die wahnsinnige Landschaft in einem 4x4 um zu einem Kloster zu kommen, das in eine eigens dafür gehauene Höhle gebaut wurde. Die Höhle ist 46m breit, 63m tief, 12m hoch und beherbergt im hinteren Teil die Skelette von etwa 7000 Mönchen, die im vergangenen Jahrtausend dort von der Atmosphäre mumifiziert wurden.
Die Kirche besitzt wunderschöne Fresken und ist über 1000 Jahre alt. In Europa, diesem ach so entwickelten Kontinent der Hochkultur, gab es zur gleichen Zeit nichts Vergleichbares – da bin ich mir ziemlich sicher.

Auf dem Rückweg bleiben wir auf einem Felsvorsprung stehen und bewundern die vom Himmel fallende Sonne, die sich in den spärlichen Flußläufen des Hochlands spiegelt.

Die Tage vergehen zu schnell, hier!

Sonntag, 8. April 2012

Ostereie – ! Ah nein, doch nicht.


Ja, das hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Da freue ich mich auf Kuchenlamm mit Sahnewolle und Marmelade in Schichten dazwischen sowie die gewöhnliche Schublade Ostereier und bekomme – Palmsonntag.

Die Äthiopier, lustiges Völkchen das sie sind, haben sich nicht nur in den Kopf gesetzt, 13 statt 12 Monate zu haben, sie haben auch 12 Uhr um 6 Uhr morgens bzw abends und Ostern eine Woche später als der Rest der Welt. In Äthiopien bin ich übrigens 14 Jahre alt (wird einige jetzt nicht überraschen), der Kalender geht um 7 Jahre nach.

Als ich also heute morgen früh aufstand um in Richtung des Dreifaltigkeitsklosters am Rand von Gondar aufzubrechen, war ich noch nicht so wirklich in österlicher Freude – erstens war es dafür zu früh, zweitens hatte ich noch nicht gefrühstückt, und drittens war jeder andere Mensch mit einer gesegneten Palmenkrone gekrönt, die eindeutig auf Palmsonntag hinwies.

An der Kirche, einem 500 Jahre alten, der Arche Noah nachgeahmten Bau aus Holz, mit Ziegenleder zusammengebundenem Papyrusstangen als Bodenbelag und mit Strohbedeckung als Dach fand gerade der Palmsonntagsgottesdienst statt. Die Kirche ist von einem Gelände eingemauert und während des Gottesdienstes dürfen lediglich Priester in die Kirche. Die Männer links, die Frauen rechts auf dem Gelände um die Kirche, insgesamt sicherlich um die 400 Leute. Die Frauen sind alle in die weißen shamas, den traditionellen halbdurchsichtigen Baumwolltüchern die überm Kleid getragen werden, eingewickelt. Sehr beeindruckend!

Nach dem Gottesdienst und vor meinem Abflug nach Lalibela, einer Stadt mit 30 000 Seelen, 700 km nördlich von Addis in 2800 m Höhe (schlafen UND fit werden! Genial!) war es noch möglich mit viel gutem Zureden und einigen Schein-baren Argumenten die Kirche selber zu besichtigen. Zu sehen sind wunderschöne Fresci in diesem typischen Stil, den man auch von ostafrikanischen Pergamentmalereien kennt.  Auf der einen Seite die Lebensgeschichte Mariens, auf der anderen Lebensgeschichte und Passion Christi, auf der Stirn die Dreifaltigkeit und sämtliche äthiopische Nationalheiligen. Wirklich, sehr beeindruckend! Es hat selbstverständlich nicht die handwerkliche Qualität eines Michelangelo in der Sixtina, aber die Malereien sind wunderschön und ein beeindruckendes Beispiel der äthiopischen Hochkultur.

Ab zum Flughafen! Dieser ist um einiges ausgebauter als der letzte in Bahir Dar, trotz allem ist „ausgebaut“ relativ zu verstehen: Schafe stieben beim Start der Maschine panisch blökend in alle Richtungen von der Startbahn. Dem Pilot fehlt einfach seine Hupe! Ich erinnere mich an eine Episode in Indien, wo unser Fahrer überzeugt war, dass unser Auto ein Totalschaden sei – die Hupe funktioniere schließlich nicht. Unser Pilot wird sich ähnlich gefühlt haben.

Gelandet in Lalibela. Die Erde ist ockergelb bis –rot und durchzogen von staubtrockenen Flussläufen. Die umgebenden Berge sind wild und erinnern an den Grand Canyon: Flache Sedimentschichten, die sich, durch Erosion steiler und steiler werdend, bis auf weit über 4000 m hinaufziehen. Dort markiert ein Plateau den Gipfel.
Atemberaubend.
Es gibt es keine Eukalyptusbäume mehr (die wurden 1880 durch irgendeinen idiotischen Kaiser aus Australien eingeschleppt und wuchern seither am ganzen Horn), sondern es herrscht eine Akazien-Zedernmischung vor, die die wüstenartige Gebirgslandschaft hin und wieder unterbricht. Wir fahren da und dort durch ein Dorf in traditioneller Tukul-Bauweise, rund, zweistöckig, lehmverputzt mit Holzgerüst und mit Strohhut gedeckt. Spielende Kinder hüten die Viehherden und kauen Zuckerrohr, Frauen waschen und holen Wasser an derselben Pfütze im Fluss, Männer pflügen die zur Fruchtbarkeitssteigerung abgebrannten Felder.

Nach 30 km / einer dreiviertel Stunde Fahrt (je nach Sichtweise) bin ich mittendrin vorm Hotel. Das „Seven Olives“ klebt zentral und malerisch am Hang, der Blick auf die tieferliegende Canyonlandschaft im Hintergrund ist in seiner Schönheit nur unbefriedigend beschreibbar. Bäume spenden Schatten, die Möbel im traditionellen Stil sind bequem, der Mangosaft frisch gepflückt, die Vögel zahlreich, farbenfroh und lautstark.

Ein guter Guide - genau die richtige Mischung aus seriös, informativ und unaufdringlich - bringt mich und einen indischen Civil Engineer aus Goa zu der ersten Gruppen der Felskirchen, für die Lalibela berühmt ist.

Noch vor 1100 n.Chr. hat Kaiser Lalibela im Traum die Eingebung gehabt, ein zweites Jerusalem zu bauen. Er solle dies, so seine Erscheinung, am amharischen Fluss Yordanos tun, und zwar im schönen Städtchen Roha, wie Lalibela damals hieß.

Gesagt, getan, dachte sich der gute Lalibela und schuf heran, was da so nötig ist, um ein zweites Jerusalem in Amhara zu bauen. Er hatte aber ganz genaue Vorstellungen, wie das aussehen sollte: Statt auf den Fels gebaut sollten die Kirchen vielmehr in den Fels gehauen werden. Das bedeutet, dass eine Kirche mit Maßen von bis zu 35m x 25m x 11m aus einem einzigen Fels besteht, der entsprechend ausgehöhlt wurde. Man steigt also elf Meter in den Fels hinunter, bevor man im Erdgeschoss ankommt, einem Rundgang um die Kirche. Steht man auf dem normalen Boden, sieht man auf das Dach der Kirche.

Insgesamt elf Kirchen hat der gute Mensch in 24 Jahren in den Fels ritzen lassen, eine schöner als die andere. Einige wirken wie ein komplettes, ganz normales Gebäude mit Dach, das von einer hohen Mauer umgeben ist. Andere sind einfach präzise geschnittene Höhlen mit Säulen, Innenkuppeln, Seitenschiffen, Fresken und den tollsten Reliefen. Oben ahnt niemand, was sich unter ihm im Fels verbirgt.

Eine Kirche ist sogar ausgemalt. Diese Fresken in den Felsenkirchen sind aus dem 11. Jahrhundert. Saßen wir da nicht gerade wieder auf den Bäumen, nachdem wir die Römer nicht mehr ganz so dufte fanden?

Ich saß abends nicht auf, sondern unter den Bäumen und überblickte das Hochtal. Die Sonne versinkt hinter der Canyonlandschaft unter uns und taucht alles in Gelb-, dann in Rot- und schließlich in Lila- und Blautöne. Von den Felsklöstern weht das gesungene Abendgebet mit begleitendem Trommelschlag herüber, zwei Adler kreisen über der Stadt.

Frohen Palmsonntag!

Samstag, 7. April 2012

Männer, die auf Schafe starren


Heute morgen stand ich früh auf, um mit Oona zu frühstücken. Die musste nämlich um halb acht zu einer Expedition für ihre Recherche aufbrechen und da hat sie sich ein Omelett genehmigt, während ich einen Cappucino (äthiopischer Kaffee, so was gutes!) und ein französisches Toast vertilgte. Macht zusammen nämlich mehr Spaß.

Wir verfrühstückten aber nicht einfach nur irgendwelche Eierspeis (MICHI! Für dich!): Man muss dazu sagen, dass wir inmitten der fröhlichsten Blumenfarbenpracht an einem Seeufer saßen, einen unfassbaren Blick auf die aufgehende Sonne über dem Tanasee genossen und Vögel in verschiedenster Form, Farbe, harmonischer Qualität und Lautstärke über unseren Köpfen den neuen Tag besungen.
Ein großes Vogelpärchen sah durchaus neidisch herab, als ich ein wenig Zucker über mein Toast träufelte. Ich kam mir sehr ornithologisch vor.
Ein Einheimischer, den wir in Bahir Dar kennen gelernt haben, meinte zu meiner Aufregung im übertragenen Sinne: „Ja mei, sind halt Fischadler. Und jetzt?“

Gegen elf frühstückte ich dann noch einmal mit Anna, die heute Geburtstag hat – herzlichen Glückwunsch!
Es gab Schokolade und Marzipan aus der Heimat sowie den Beginn ihres Skypemarathons mit allen Verwandten und Freunden die gratulieren wollten, so dass das gemeinsame Frühstück auch relativ schnell beendet war.

Stellte aber kein Problem dar, da ich sowieso um 12 im Bus nach Gondar nördlich des Tanasees sitzen wollte. Der fährt nämlich ca. 3 Stunden, und da muss man zeitlich los, will man vor Beginn der Aktivitäten von irgendwelchen unguten Personen auf der Strecke sicher im Hotel sitzen.

Auf das Dach des Minibus wurde mein Rucksack zu dem Zeug der anderen Leute geschnallt und los ging die Fahrt.

So meine Erwartung.

Nichts vergleichbares war der Fall: Wir waren erst halb voll (8 Leute, zugelassen ist die Kiste für 11) und das geht ja auf keinen Fall. Ich saß hinten rechts direkt am Fenster und bekam so in aller Deutlichkeit die Diskussionen des Conductors mit den potentiellen aber nicht überzeugten Passagieren vorgeführt: Gepäck unter lautem Gezeter aus der Hand gerissen, unter lautem Gezeter verstaut, Passagier unter lautem Gezeter in den Minibus halb gezwungen halb gebeten, Passagier steigt unter lautem Gezeter wieder aus, versucht unter lautem Gezeter sein Gepäck zu bekommen, kein Erfolg, setzt sich unter lautem Gezeter wieder hin, steht unter lautem Gezeter wieder auf, bekommt unter lautem Gezeter sein Gepäck, verstaut es unter lautem Gezeter wieder und setzt sich hin.

Stille.

Heissahopsa, ein weiterer Passagier gefunden - fehlen nur noch 7.

So ging es eineinhalb Stunden kreuz und quer durch Bahir Dar, die 75 Birr, die ich gezahlt hatte, waren mit Sicherheit schon längst verfahren, was mir aber herzlich egal war.

Letztenendes waren wir unterwegs (schätze so gegen 2 nachmittags) und rasten in Richtung Gondar als wären uns die Eritreer auf den Fersen. Die Straße ist asphaltiert, man fährt durch kleine Eukalyptuswäldchen, rechts und links stehen Lehm- und Schlammhütten, typisch und leicht erkennbar durch ihre runde Form, man überholt Ziegen, Schafe, Pferde, Hühner und Esel (sowohl tierischer als auch menschlicher Art) sowie Fahrradfahrer, Lastwagen, andere Minibusse (zweispurige Straße, Elephantenrennen über 2 km mit ständigem Gegenverkehr) sowie Fußgänger. Das Land ist hügelig, ockerfarben und staubtrocken. Tiere weiden, ich wüsste nicht an was sie sich weiden sollten, aber sie werden beaufsichtigt durch Horden an Kindern im Grundschulalter. Ein paar ruhen sich im Schatten aus, während sich keine zehn Meter weiter zwei Stiere in der sengenden Sonne bis aufs Blut bekämpfen. Links blinkt mehrere hundert Meter unterhalb der Tanasee hervor während man sich langsam in die Hügel schraubt.

Ich fahre ins Mittelalter.

Wir fuhren durch mehrere Dörfer, bis wir in einem größeren hielten, um wieder unter lautem Gezeter neue Passagiere aufzuladen. Etwa 12 Schafe wurden, Stück für Stück, umgestoßen und ihre Beine mit Hanfstricken zusammen gebunden, sodass sich die bemitleidenswerten Viecher blökend im Staub wanden, die Beine in die Luft, die Augen angstvoll umhergeisternd.

Mein Fenster wird aufgeschoben, mir wird mein 70l Trekkingrucksack hinein gereicht, „take! Take!“. Auch einige andere Passagiere kommen in den Genuss ihres Gepäcks als zusätzlich wärmende Schicht auf dem Schoß (mir troff es den Rücken herunter und dabei saß ich am Fenster). Ich frage mich warum und sehe, wie im nächsten Augenblick Schaf für Schaf auf das Dach des Busses gehievt wird. Ich stecke meinen Kopf aus dem Fenster, schaue nach oben und blicke in sechs Schafsaugen die mich mit einem: „Ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“-Blick anschauen. Die Tiere wurden nicht etwa so hingelegt, wie man sich liegende Schafe vorstellt, sondern sie wurden verstaut wie Gepäck, was zu grotesken und mit Sicherheit schmerzhaften Körperhaltungen führt. Durch ihre gebundenen Beine können sie sich nicht bewegen.
Es ist also alles in bester Ordnung, wir können weiterfahren.

20 Meter weiter sehe ich das Werbeschild einer jungen Frau, die sich selbstständig gemacht hat: „Hagere Tsige, nutrition counselling“. Kein Scherz.

Wenn ich aus meinem Fenster in die Landschaft schaue, sehe ich ein Schafsnasenloch, in dem ein Popel im Fahrtwind flattert.

Die staubige Trockenheit hat Konsequenzen gefordert, die man zwar nicht unmittelbar sieht, aber denen mittlerweile vorgebeugt wird: Wir fahren an einem riesigen abgesperrten Areal vorbei, einem „Emergency Famine Reaction Coordination Center“ mit Bürogebäuden und großen Lagerhallen. Das scheint auch nötig zu sein, denn Wasser ist absolute Mangelware: Wann immer man einen Fluss quert (der nie, im eigentlichen Sinne, „fließt“) sieht man Scharen an Leuten, die dort ihre gelben Wasserkanister in den Pfützen füllen, um diese nach Hause zu tragen – sicherlich kilometerweit.

Währenddessen haben wir eine Ebene erreicht, die in jeglicher Hinsicht an die Deichlandschaft im Bremer Umland erinnert: Flach wie ein Pfannekuchen, durchzogen von Gräben, einzelne Bäume stehen an Wegesrändern zwischen Feldern auf denen sich Vieh am satten Grün des Grases weidet.
Es gibt zugegebenermaßen Unterschiede:
Anstatt saftig grüne Landschaft mit dunkelgrauem Himmel und nasskaltem Klima ist es ockergelb bis –rot, der Himmel stahlblau und die Hitze ist trocken. Kleinere Eukalyptusbäumchen durchziehen das Landschaftsbild, die Gräben sind restlos ausgetrocknet.
Ich fange schon an, mich ein wenig zu wundern – wir sollten doch durch die Berge fahren? Wieso sind wir jetzt in so einer platten Ebene?

Und dann wird mir bewusst, dass das, was ich eben noch für hohe Wolkentürme hielt, in Wahrheit Berge sind, die jäh aus der Ebene ausbrechen und wie eine senkrechte Wand vor der Straße aufsteigen. Man kann es sich ein wenig vorstellen wie diese berühmte Berglandschaft in China, wo Felstürme aus einer Wasserlandschaft ragen – nur wiederum mit bedeutend weniger Wasser.

Auf dem Weg in die Berge halten wir eins ums andere Mal in Dörfern, jedes Mal dasselbe Schauspiel: 10 Menschen wollen den Reisenden im Bus etwas verkaufen (20 Knollen Knoblauch, braucht noch jemand bisschen Knofi?!), 20 Menschen wollen in den Bus. Das Schauspiel, dass sich uns bietet, erinnert sehr an eine Schweinefütterung im Bauernhof: alles bleibt ruhig, bis die Tür aufgeht. Das Gezeter war, ich wiederhole mich, groß.

Ein gelber Bus von der „Luf-Tanza“ kommt uns entgegen. Ich fühle mich heimisch.

Wir fahren weiter in die Berge, eine riesige Felsnadel taucht rechts auf, hoch und alleinstehend, wirklich beeindruckend.
Die Adler kreisen majestätisch links neben dem Popel des Schafs.

Aus dem Radio tönt Timbaland mit „The Way I Are“, der grotesk aufgedrehte Bass wummert direkt neben meinem Ohr. Wir halten im nächsten Dorf, bekommen drei weitere Mitfahrer. Auch vier Hühner steig zu, eines wird auf meinem Schoß drapiert („take! Take!“). Kurze Bilanz: 20 Menschen, 13 Schafe und 3 Hühner in und auf einem Minibus, der für 12 Leute zugelassen ist. Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durst...

Da fällt mir auf: ich bekomme noch 5 Birr (25 Cent) Rückgeld vom Conductor, diesem Schlitzohr! 75 Birr waren ausgemacht, ich habe 100 Birr gegeben, 20 zurückbekommen, weil der Hansel gerade keine 5 Birr zur Verfügung hatte und mich auf später vertröstete.
Die folgende Verhandlung mit 19 Mitfahrern und 3 Hühnern wären mit „multilateral“ adäquat beschrieben.

Wir halten im nächsten Dorf. Ein Bauer, eine AK-47 (vollautomatisches Sturmgewehr) locker in der Hand, steigt zu. Mein Huhn wird hysterisch und kackt wild gackernd durch meine Beine auf den Fußboden. Der Bauer muss aussteigen.

Wider Erwarten bekomme ich meine 5 Birr! Ich gebe sie dem Conductor für seine Ehrlichkeit als Trinkgeld.

Ich schaue aus dem Fenster auf die verschwindende Landschaft. Schafsköttel fliegen von oben an meinem Fenster vorbei. Ein Schaf röchelt. Mein Huhn gackert.

Keinen stört’s.

1 Stunde später, gegen 6 Uhr, bin ich endlich in meinem Hotel, habe mein Zimmer bezogen und sitze, die erste Cola schlürfend, im Garten. Ich genieße den Anblick runter auf das Reservoir von Gondar, während sich der Himmel in allen Lila-Schattierungen verfärbt...

Freitag, 6. April 2012

Ferien


Ja, auch dies sei uns vergönnt. Anna, Jens und ich sind dafür heute morgen um viertel vor 5 aufgestanden, waren um halb sechs am Flughafen (der gnädigerweise in walking distance von unserem Haus steht) und entschwoben schon bald in Richtung Bahir Dar, einem kleinen Städtchen am Tanasee, dem Ursprund des blauen Nils.

Dort angekommen stiegen wir aus dem Flugzeug aus und waren mitten in der Savanne, schönstes Klischee-Afrika. Terminal? Fehlanzeige.
Wir stapfen also gemütlich zu der Wellblechhüte, an der oben das Schild „Arrival, Baggage Fetch“ stand und wunderten uns ein wenig. Aber keine Sorge, es gibt ein Gepäckband!  10m lang geht es auf der einen Seite der Wellblechhütte hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus.

Dort hinauf wurde alsbald unser Gepäck geladen (was wir sahen), wir nahmen es nach 2m Fahrt wieder herunter und gingen aus dem Gebäude hinaus.

Eine halbe Stunde später saßen wir in einer traditionellen Rundhütte am See und frühstückten (es war 8 Uhr morgens) als allererstes ein leckeres Käseomelett, hernach einen Mangosaft, der keine 15 Minuten zuvor noch am Baum gehangen hatte. Wir waren bereit für jede Schandtat.

Oona (vor eineinhalb Wochen noch Typhus-schwach, mittlerweile wieder blühendes Leben) war für die Recherche zu ihrer Masters-Thesis (Thema: Renaissance-Damm-Projekt am Nil) schon ein paar Tage früher hergekommen und hatte sich ein wenig eingelebt. Sie stellte uns also Abraham vor, einen sympathischen End-20iger, der auch Deutsch sprach. Bevor er in Deutschland gewesen war hatte er in unserem Hotel 3 Jahre lang als Guide gearbeitet.

Wir stiegen als Tagesprogramm in ein etwas, das trotz metallenen Materials lediglich als „Nussschale“ bezeichnet werden kann und fuhren zu den berühmten Klostern von Bahir Dar. Um Bahir Dar liegen sieben Stück dieser Jahrhunderte-alten Rundlehmhütten, Durchmesser um die 30m, mit beeindruckenden Malereien und immer noch intakter Mönchsgemeinschaft. Da ja kein Karfreitag ist (sind alles orthodox) hatten wir auch kein Problem, bis ganz hinein zu gehen und die einzelnen Bildchen erklärt zu bekommen.
Auf dem Weg zurück zum Boot sahen wir ein Hippo im See liegen – die Dinger sind riesig.
Generell war die ganze Fahrt paradiesisch!

Auf dem Weg zum Restaurant direkt am See mit Anlegestelle fuhren wir noch an der Quelle des Blauen Nils vorbei, der 85% des Wassers des Oberen Nils stellt. Das ist weniger spektakulär als gedacht, da einfach ein Fluss den See verlässt.

Wer die Rott in der Nähe von Passau kennt, kann es sich vorstellen...

Donnerstag, 5. April 2012

Etappenziel!


Die erste Version des Businessplans steht, samt (sehr vorsichtiger und sehr konservativer) Umsatz- und Erlösplanung.

War ein Haufen Arbeit: Wir haben eine Location. Dort haben wir eine kleine Markterhebung gemacht um unser potentielles Marktvolumen abzuschätzen - jetzt müssen wir nur noch sehen, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnt, oder ob wir nicht doch eine ganz andere Strategie fahren sollen und die ursprüngliche Businessidee von vorneherein stinkt.

Das überlegt sich Project-E GER gerade, die geben mir danach Bescheid was für weitere Informationen sie brauchen, die ich in den nächsten drei Wochen besorgen kann.

In der Zeit werden wir dann auch in die weiterführenden Verhandlungen mit unserem potentiellen Projektpartner, der Ethiopian Civil Service University ziehen. Dort werden die Details geklärt, bevor wir zusammen mit dem Legal Advisor von Project-E ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ aufsetzen, eine rechtlich bindende Absichtserklärung. Diese erfolgt vor Vertragsabschluss, damit beide Seiten eine gewisse Planungssicherheit bekommen.

Soweit das Ding verhandelt und unterschrieben ist, kommt ein Innenarchitekt dazu, unser Standort wird renoviert, wir bringen die Hardware ran, schließen weitere Kooperationen mit anderen Universitäten und Colleges in der Gegend (sie zahlen, ihre Studenten dürfen unseren Service nutzen) um einen guten Grundumsatz zu gewährleisten und ziehen ein.

Kick off Oktober 2012. (so wenigstens der Plan...)

Freu mich auf die Eröffnung!