Heute morgen stand ich früh auf, um mit Oona zu frühstücken.
Die musste nämlich um halb acht zu einer Expedition für ihre Recherche
aufbrechen und da hat sie sich ein Omelett genehmigt, während ich einen
Cappucino (äthiopischer Kaffee, so was gutes!) und ein französisches Toast
vertilgte. Macht zusammen nämlich mehr Spaß.
Wir verfrühstückten aber nicht einfach nur irgendwelche
Eierspeis (MICHI! Für dich!): Man muss dazu sagen, dass wir inmitten der
fröhlichsten Blumenfarbenpracht an einem Seeufer saßen, einen unfassbaren Blick
auf die aufgehende Sonne über dem Tanasee genossen und Vögel in verschiedenster
Form, Farbe, harmonischer Qualität und Lautstärke über unseren Köpfen den neuen
Tag besungen.
Ein großes Vogelpärchen sah durchaus neidisch herab, als ich
ein wenig Zucker über mein Toast träufelte. Ich kam mir sehr ornithologisch
vor.
Ein Einheimischer, den wir in Bahir Dar kennen gelernt
haben, meinte zu meiner Aufregung im übertragenen Sinne: „Ja mei, sind halt
Fischadler. Und jetzt?“
Gegen elf frühstückte ich dann noch einmal mit Anna, die
heute Geburtstag hat – herzlichen Glückwunsch!
Es gab Schokolade und Marzipan aus der Heimat sowie den
Beginn ihres Skypemarathons mit allen Verwandten und Freunden die gratulieren wollten, so dass das
gemeinsame Frühstück auch relativ schnell beendet war.
Stellte aber kein Problem dar, da ich sowieso um 12 im Bus
nach Gondar nördlich des Tanasees sitzen wollte. Der fährt nämlich ca. 3
Stunden, und da muss man zeitlich los, will man vor Beginn der Aktivitäten von
irgendwelchen unguten Personen auf der Strecke sicher im Hotel sitzen.
Auf das Dach des Minibus wurde mein Rucksack zu dem Zeug der
anderen Leute geschnallt und los ging die Fahrt.
So meine Erwartung.
Nichts vergleichbares war der Fall: Wir waren erst halb voll
(8 Leute, zugelassen ist die Kiste für 11) und das geht ja auf keinen Fall. Ich
saß hinten rechts direkt am Fenster und bekam so in aller Deutlichkeit die
Diskussionen des Conductors mit den potentiellen aber nicht überzeugten
Passagieren vorgeführt: Gepäck unter lautem Gezeter aus der Hand gerissen,
unter lautem Gezeter verstaut, Passagier unter lautem Gezeter in den Minibus
halb gezwungen halb gebeten, Passagier steigt unter lautem Gezeter wieder aus,
versucht unter lautem Gezeter sein Gepäck zu bekommen, kein Erfolg, setzt sich
unter lautem Gezeter wieder hin, steht unter lautem Gezeter wieder auf, bekommt
unter lautem Gezeter sein Gepäck, verstaut es unter lautem Gezeter wieder und
setzt sich hin.
Stille.
Heissahopsa, ein weiterer Passagier gefunden - fehlen nur noch 7.
So ging es eineinhalb Stunden kreuz und quer durch Bahir
Dar, die 75 Birr, die ich gezahlt hatte, waren mit Sicherheit schon längst verfahren,
was mir aber herzlich egal war.
Letztenendes waren wir unterwegs (schätze so gegen 2 nachmittags) und rasten
in Richtung Gondar als wären uns die Eritreer auf den Fersen. Die Straße ist
asphaltiert, man fährt durch kleine Eukalyptuswäldchen, rechts und links stehen
Lehm- und Schlammhütten, typisch und leicht erkennbar durch ihre runde Form, man
überholt Ziegen, Schafe, Pferde, Hühner und Esel (sowohl tierischer als auch
menschlicher Art) sowie Fahrradfahrer, Lastwagen, andere Minibusse (zweispurige
Straße, Elephantenrennen über 2 km mit ständigem Gegenverkehr) sowie
Fußgänger. Das Land ist hügelig, ockerfarben und staubtrocken. Tiere weiden,
ich wüsste nicht an was sie sich weiden sollten, aber sie werden beaufsichtigt durch
Horden an Kindern im Grundschulalter. Ein paar ruhen sich im Schatten aus,
während sich keine zehn Meter weiter zwei Stiere in der sengenden Sonne bis
aufs Blut bekämpfen. Links blinkt mehrere hundert Meter unterhalb der Tanasee
hervor während man sich langsam in die Hügel schraubt.
Wir fuhren durch mehrere Dörfer, bis wir in einem größeren
hielten, um wieder unter lautem Gezeter neue Passagiere aufzuladen. Etwa 12 Schafe
wurden, Stück für Stück, umgestoßen und ihre Beine mit Hanfstricken zusammen gebunden, sodass
sich die bemitleidenswerten Viecher blökend im Staub wanden, die Beine in die
Luft, die Augen angstvoll umhergeisternd.
Mein Fenster wird aufgeschoben, mir wird mein 70l
Trekkingrucksack hinein gereicht, „take! Take!“. Auch einige andere Passagiere
kommen in den Genuss ihres Gepäcks als zusätzlich wärmende Schicht auf dem
Schoß (mir troff es den Rücken herunter und dabei saß ich am Fenster). Ich
frage mich warum und sehe, wie im nächsten Augenblick Schaf für Schaf auf das
Dach des Busses gehievt wird. Ich stecke meinen Kopf aus dem Fenster, schaue
nach oben und blicke in sechs Schafsaugen die mich mit einem: „Ist jetzt nicht
dein Ernst, oder?“-Blick anschauen. Die Tiere wurden nicht etwa so hingelegt,
wie man sich liegende Schafe vorstellt, sondern sie wurden verstaut wie Gepäck,
was zu grotesken und mit Sicherheit schmerzhaften Körperhaltungen führt.
Durch ihre gebundenen Beine können sie sich nicht bewegen.
Es ist also alles in
bester Ordnung, wir können weiterfahren.
20 Meter weiter sehe ich das Werbeschild einer jungen Frau,
die sich selbstständig gemacht hat: „Hagere Tsige, nutrition counselling“. Kein Scherz.
Wenn ich aus meinem Fenster in die Landschaft schaue, sehe
ich ein Schafsnasenloch, in dem ein Popel im Fahrtwind flattert.
Die staubige Trockenheit hat Konsequenzen gefordert, die man
zwar nicht unmittelbar sieht, aber denen mittlerweile vorgebeugt wird: Wir
fahren an einem riesigen abgesperrten Areal vorbei, einem „Emergency Famine
Reaction Coordination Center“ mit Bürogebäuden und großen Lagerhallen. Das
scheint auch nötig zu sein, denn Wasser ist absolute Mangelware: Wann immer man
einen Fluss quert (der nie, im eigentlichen Sinne, „fließt“) sieht man Scharen
an Leuten, die dort ihre gelben Wasserkanister in den Pfützen füllen, um diese nach Hause zu
tragen – sicherlich kilometerweit.
Währenddessen haben wir eine Ebene erreicht, die in
jeglicher Hinsicht an die Deichlandschaft im Bremer Umland erinnert: Flach wie
ein Pfannekuchen, durchzogen von Gräben, einzelne Bäume stehen an Wegesrändern
zwischen Feldern auf denen sich Vieh am satten Grün des Grases weidet.
Es gibt zugegebenermaßen Unterschiede:
Anstatt saftig grüne Landschaft mit dunkelgrauem Himmel und nasskaltem Klima ist
es ockergelb bis –rot, der Himmel stahlblau und die Hitze ist trocken.
Kleinere Eukalyptusbäumchen durchziehen das Landschaftsbild, die Gräben sind
restlos ausgetrocknet.
Ich fange schon an, mich ein wenig zu wundern – wir sollten
doch durch die Berge fahren? Wieso sind wir jetzt in so einer platten Ebene?
Und dann wird mir bewusst, dass das, was ich eben noch für
hohe Wolkentürme hielt, in Wahrheit Berge sind, die jäh aus der Ebene
ausbrechen und wie eine senkrechte Wand vor der Straße aufsteigen. Man kann es sich
ein wenig vorstellen wie diese berühmte Berglandschaft in China, wo Felstürme
aus einer Wasserlandschaft ragen – nur wiederum mit bedeutend weniger Wasser.
Auf dem Weg in die Berge halten wir eins ums andere Mal in
Dörfern, jedes Mal dasselbe Schauspiel: 10 Menschen wollen den Reisenden im Bus
etwas verkaufen (20 Knollen Knoblauch, braucht noch jemand bisschen Knofi?!), 20 Menschen
wollen in den Bus. Das Schauspiel, dass sich uns bietet, erinnert sehr an eine
Schweinefütterung im Bauernhof: alles bleibt ruhig, bis die Tür aufgeht. Das
Gezeter war, ich wiederhole mich, groß.
Ein gelber Bus von der „Luf-Tanza“ kommt uns entgegen. Ich
fühle mich heimisch.
Wir fahren weiter in die Berge, eine riesige Felsnadel
taucht rechts auf, hoch und alleinstehend, wirklich beeindruckend.
Die Adler kreisen majestätisch links neben dem Popel des
Schafs.
Aus dem Radio tönt Timbaland mit „The Way I Are“, der
grotesk aufgedrehte Bass wummert direkt neben meinem Ohr. Wir halten im
nächsten Dorf, bekommen drei weitere Mitfahrer. Auch vier Hühner steig zu, eines wird auf meinem Schoß drapiert („take! Take!“). Kurze Bilanz:
20 Menschen, 13 Schafe und 3 Hühner in und auf einem Minibus, der für 12 Leute zugelassen
ist. Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durst...
Da fällt mir auf: ich bekomme noch 5 Birr (25 Cent) Rückgeld
vom Conductor, diesem Schlitzohr! 75 Birr waren ausgemacht, ich habe 100 Birr
gegeben, 20 zurückbekommen, weil der Hansel gerade keine 5 Birr zur Verfügung
hatte und mich auf später vertröstete.
Die folgende Verhandlung mit 19 Mitfahrern und 3 Hühnern
wären mit „multilateral“ adäquat beschrieben.
Wir halten im nächsten Dorf. Ein Bauer, eine AK-47
(vollautomatisches Sturmgewehr) locker in der Hand, steigt zu. Mein Huhn wird
hysterisch und kackt wild gackernd durch meine Beine auf den Fußboden. Der
Bauer muss aussteigen.
Wider Erwarten bekomme ich meine 5 Birr! Ich gebe sie dem
Conductor für seine Ehrlichkeit als Trinkgeld.
Ich schaue aus dem Fenster auf die verschwindende
Landschaft. Schafsköttel fliegen von oben an meinem Fenster vorbei. Ein Schaf röchelt. Mein Huhn gackert.
Keinen stört’s.
1 Stunde später, gegen 6 Uhr, bin ich endlich in
meinem Hotel, habe mein Zimmer bezogen und sitze, die erste Cola schlürfend, im
Garten. Ich genieße den Anblick runter auf das Reservoir von Gondar, während
sich der Himmel in allen Lila-Schattierungen verfärbt...
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