Dienstag, 30. September 2014

La revanche du Professeur L.

Tja, lange ist's her, dass ich mich gemeldet habe - hier geht jetzt langsam so richtig das Leben los.

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an meine Lobeshymnen über Professor L., unseren wissenschaftlich hoch angesehenen Dozenten.

Nun, Prof. L. hatte sicherlich meine Neugierde geweckt. Da in der 3. Septemberwoche eine Prüfung sowie die Präsentation unseres Seminar-Papers anstand, mussten wir sogar ein wenig arbeiten. Davor wollte ich jedoch einmal recherchieren, was denn die bisherigen Forschungsschwerpunkte unseres akademischen Schwergewichtes waren, der von sich behauptete, Erfahrung an so prestigeträchtigen Institutionen wie der ESCP in Paris gesammelt zu haben. Die Great Firewall of China per VPN untertunnelt, die Tante Google befragt - und siehe da, zugeschlagen. L. sei ein kanadischer Soziologe Baujahr 1945 - halt, das kann er nicht sein, das macht ja keinen Sinn; weder Kanada noch Geburt im Jahr 1945. Sonst keinerlei Funde, NICHTS. Auch Google Scholar, eine sehr gute Datenbank für alle Recherchen akademischer Art, brachte keinerlei Ergebnisse zutage. Keine Habilitation, keine Doktorarbeit, keine Publikation, ja nicht einmal eine Nennung als Ko-Autor war zu finden. Aber über seine Arbeit an der ESCP müsste sich doch was finden lassen? Und siehe da, wir wurden fündig: Er war als Alumni in einer Datenbank eingetragen.
Mein Respekt für den kleinen Mann war dank der nebulösen Gestaltung seiner Vorlesung von Anfang gering gewesen und ließ nach diesen Entdeckungen noch stärker nach. Ich war froh, als wir endlich unser "Paper" (eine Analyse dreier chinesischer Luxusmarken) präsentieren konnten und die "Prüfung" zu schreiben war.
Diese auf 2 DIN A3 Blättern gedruckte Klausur  hatte es in sich und hieß bald nur noch "Prof. L.'s Rache" - nicht wegen des so schweren Inhalts der Vorlesung, den ich ja schon beschrieben habe, sondern wegen der Umstände: zum einen bekamen wir keine Folien zum Lernen, sondern lediglich die Stichpunkte auf den Folien, in furchtbarer Formatierung direkt in ein Word kopiert und ohne alle Grafiken und Zahlen, da unserem Professor hierfür das Copyright fehlte. Alles was wir hatten, waren unverständliche Stichpunkte, die sich auf nicht vorhandene Zahlen und Graphiken stützten.
Die Prüfung war Multiple Choice und die Fragen so nahe an Management-Konzepten der Luxusindustrie wie Peking an guter, frischer Alpenluft: "Which boulevard of Paris is famous of concentration for [sic] most luxury shops?" mit vier Auswahlmöglichkeiten. Wenn ich in der Prüfungsvorbereitung versuche die relevanten Konzepte und Inhalte einer Veranstaltung zu verstehen, dann wären solcherlei Informationen als prüfungsirrelevant in jedem Fall durch's Raster gefallen. Das würde ein deutscher Prof einfach nicht abfragen. Glücklicherweise hatten ein paar frühere Besuche in Paris (wenn auch weniger in Luxus-Vierteln) ein paar Spuren hinterlassen. Unsere chinesischen Kommilitonen hatten jedoch keine Ahnung, weder vom Stoff, noch wieso der abgefragte Stoff vorlesungs-, geschweige denn prüfungsrelevant sein soll. Es geht um Managementmethoden spezifisch für die Luxusindustrie, nicht um eine Stadtführung durch Paris. Ähnliche Fragen gab's zuhauf und führten dazu, dass vor allem die Chinesen große Probleme mit einer nicht fair gestellten, sinnlosen Prüfung bekamen. Erste Erfahrung mit der Lehre an chinesischen Unis - ich lobe mir die TUM.

Dies sollte sich in der zweiten Veranstaltung - Intercultural Management mit dem teils deutschsprachigen, aber chinesischen Prof. M - bestätigen. Es ging damit los, dass die Führer der einzelnen Nationen verglichen wurden: "China - good leader. Germany - Merkel - good leader. Japan has bad leader. Taiwan has bad leader." Weiter ging das lustige Nachbarnbashing: "China so strong because of political and economical system. Look at Taiwan, look at Hong Kong, look at Japan - too much democracy, chaos. But is impossible to have efficient economy in democracy: Tell me - how can the government work effectively, if people can interfere all the time?"
Eine so offenherzige Verteidigung einer Diktatur hatte niemand erwartet. Eine ernsthafte Diskussion zu diesem Thema schien weder erwünscht noch zielführend noch besonders intelligent. Wir verzichteten und machten uns (zusammen mit unseren Kommilitonen aus Südkorea, Taiwan, Hong Kong und Japan, die allesamt mit dabei saßen) so unsere eigenen Gedanken.

Parallel begann der Sprachunterricht endlich wieder. Diesmal selbstverständlich weniger intensiv, da nicht mehr 20h pro Woche und nicht mehr 1-zu-1, aber dafür mit Freunden. Im Chor lernen wir momentan Sätze auswendig, die uns in Situationen des täglichen Lebens aus der Patsche helfen sollen. Vom Lernen der dahinterstehenden Grammatik werden wir aktiv abgebracht, das Auswendiglernen sei am Wichtigsten - mir scheint, ein sehr chinesischer Ansatz.

U-Bahn in Peking. Die Gleise sind wegen der Menschenmassen mit Glastüren (rechts im Bild) abgetrennt, und vor jeder Glastür wird zivilisiert in zwei Schlangen angestanden, jedenfalls bis die Türen aufgehen - dann geht's zu wie beim Einlass auf der Wiesn. Der Verantwortungs- bzw. Aufgabenbereich der Ordner ist mir nicht klar und jedenfalls sehr gering.


Am Wochenende nach der Prüfung machten wir uns auf den Weg nach Shanhai Guan im Zug K27 Richtung Osten zum Meer. Der Zug fährt um vier in der Früh los und kommt vier Stunden später in Shanhai Guan, einem kleinen Küstenort wieder an. Wichtig an diesem Ort ist, das hier die Mauer losgeht. Die Zugfahrt war selbst interessant, da dies das erste Mal war, dass wir ausserhalb Pekings unterwegs sind. Peking liegt ja am Fuß von Bergen im Schwemmland eines Flusses, und in diesem Schwemmland fuhren wir bis zum Meer. Das Resultat ist platt wie ein Pfannkuchen und wird größtenteils landwirtschaftlich, nämlich für den Anbau von Mais, der mittlerweile auch hier kurz vor der Ernte steht ("Seid ihr Euch sicher, dass das Mais ist? Für mich sieht das wirklich wie Reis aus!" - ein offensichtlich stadtnah aufgewachsener Kommilitone) genutzt. Für Reis ist es hier oben im Winter zu kalt und zu trocken. Sibirisch-kontinentales Klima halt, wir werden im Winter noch Freude haben.
Angekommen schlugen wir uns vom Bahnhof durch viele Schlepper bis zum Bus Nr 25 durch, der uns für ein viertel Yuan zum Meer brachte. Hier sieht man den Anfang der Großen Mauer, was wir uns spektakulär vorstellten. Unser Plan war, diesem ca. 8-10km inlands zu folgen. Es war leider relativ enttäuschend, aber wir waren am Meer, die Luft war gut, das Wasser sehr klar und frisch, lediglich in der Ferne stiegen die Kräne eines Containerhafens in die Höhe.
Bromance auf der Mauer

Auf der anderen Seite am Strand fand sich ein Tempel, der ins Wasser reichte, und sehr malerisch im Meer lag. Auf dem Weg dorthin stand eine riesige Trommel, die alle paar Minuten geschlagen wurde, die Schläge hallten bis zu uns hinüber - leider von jemanden, der mit dem Wort "Rythmus" anscheinend nicht wirklich viel anfangen konnte.
Tempel - Meer - Strand - schön

Davor musste ich allerdings eine Runde schwimmen gehen, das wollte ich mir nicht nehmen lassen. Flugs die Badebuxe angezogen, reingesprungen und ein paar Züge durch chinesisches Meer gemacht, herrlich war das.
Auf dem Rückweg hab ich mir bei einem Beinschlag leider den großen Zeh an einem mit Muscheln bewachsenen Stein aufgeschnitten der von außerhalb des Wassers nicht sichtbar war. Das blutete relativ spektakulär. Da wir ja in einem öffentlichen "Scenic Spot" waren, kamen sofort Ordner mit Verbandszeug angerannt und kümmerten sich um mich. Fachkundig wurde jede Bewegung der guten Dame von den ca. 30 Gaffern, die sich um mich gebildet hatten, begutachtet und kommentiert. Nachdem ich sie mit Trinkwasser aus meiner Flasche ausgewaschen hatte, kam Jod in großen Mengen auf die Wunde, das war mir am wichtigsten nach Ann Sophie's Eskapaden letztes Jahr. Mittels Pflaster und Mullbinde konnte ich mir sogar einen provisorischen Druckverband basteln - ich war wieder einsatzbereit und alle Chinesen enttäuscht, dass das Spektakel schon vorbei war.

Im Tempel haben wir in dem Pavillon, den man auf dem Bild ganz links sehen kann, Picknick gemacht, und die frische Luft genossen - eine Riesenerholung zum Staub und Smog von Peking.

Zurück in Shanhai Guan wollten wir doch auf jeden Fall noch auf der Mauer wandern, wenigstens eine kleine Bergtour machen. Es fand sich nach einer kleinen Fahrt im Tuktuk ein restauriertes Stück, zu dem man ein wenig Eintritt zahlen musste. Die Mauer kletterte steil auf den nächsten Berg, da sie ja stets über die Bergwipfel führt und niemals durchs Tal. Wir sind hinterher, kletterten über Türme und über ein kleines Mauerchen, das das Ende des restaurierten Teils anzeigte. Hier war Schluss und man war im Teil der Mauer, der sich seit längerer Zeit selbst überlassen wird und dementsprechend nur wenig mehr als ein Geröllhaufen ist. Viele Häuser der Umgebung bestehen teilweise aus alten Mauersteinen. Der Ausblick auf das Meer und die unter uns liegende Mauer war beeindruckend - vor allem im Bewusstsein, dass sich die Mauer hinter dem Hügel tausende Kilometer weiter durchs Land schlängelt.

Ich hab den Herrn gefragt, ob er haftpflichtversichert ist - er hat mich irgendwie nicht verstanden


Christina auf der Mauer. Links oben ein Wachturm
Blick vom unrestaurierten Teil auf den Wachturm und die Mauer

Gegen sechs fuhr unser Zug zurück nach Peking, die Goldene Woche kündigte sich an, und mit ihr ein CHAOS am Bahnhof. Chinesen haben genau 5 Tage Ferien in ihrem Arbeitsjahr, aber diese 5 Tage haben alle Chinesen gemeinsam um den Chinesischen Nationalfeiertag herum. Das Resultat ist eine chinesische Verkehrsapokalypse: Alle Chinesen wollen nach Peking; alle 34 Millionen Pekinesen wollen ein letztes Mal Sonne vor dem langen Winter haben und reisen nach Süden. Laut Gilbert treffen sich alle Pekinger Expats in Thailand am Strand, weshalb er schon lange nicht mehr irgendwo hinfährt, außer ins verlassene Pekinger Hinterland um dort ein wenig wandern zu gehen.

Max und ich hatten andere Pläne.

Freitag, 19. September 2014

Tödlicher Tintenfisch, schnarchende Polen und schlägernde Koreaner

Da schreibt man mal zwei, drei Tage nicht, und schon passieren die verrücktesten Sachen!

Aber der Reihe nach. Der gemütliche Samstagabend bei Benno war genau perfekt geeignet um mit einer guten Mütze Schlaf am Sonntagmorgen die erste Vorlesung zu bestreiten und hochmotiviert mit voller Konzentration die fernöstliche Lehrkompetenz aufzusaugen.
Das dachten sich alle, die den Kurs "Luxury Industry Management" bei Prof. L. (richtiger Name der Redaktion bekannt), einem französischen Landsmann, belegt hatten. Ja, ich belege den Kurs wirklich - ich habe mir das Abwegigste herausgesucht, was mir das BIT bietet und gleichzeitig die TUM gerade noch so bereit ist als sogenannte "Querschnittsqualifikation" anzuerkennen. Querschnittsqualifikation ist die offizielle Bezeichnung, inoffiziell sind diese 12 Credits (entspricht der Leistung eines Drittel Studiensemesters in Deutschland) aber längst als "Orchideenfächer" tituliert. Die Dame, die an der TU für die Anerkennung dieser 12 Credit-Punkte zuständig ist, benötigt für diese Anerkennung auch gar keine weitergehende fachliche Qualifikation: die Fächer müssen im weiteren Sinne einen Bezug zu entweder Wirtschaft oder Technik haben, und in einem Masterprogramm angeboten werden. So einfach geht Studium - jedenfalls ein klitzekleiner Teil.

Wie dem auch sei, Prof. L. stellte sich als knapp-über-hüfthohes Männchen heraus, dessen Aussehen bedauernswerterweise durch "Promenadenmischung" am ehesten beschrieben wird: drei verschiedene Haarfarben (von nachwachsend-naturschlohweiß über fleckig-gefärbt braun zu fleckig-gefärbt pechschwarz), kombiniert mit einem vom jahrelangen Kettenrauchen gelblich-ungesundem Gesichtsteint, korrespondierender Zahnhygiene und Anzügen (ich hoffe mal Plural, in dubio pro reo), die definitiv nicht für diesen Mann, sondern für einen bedeutend Größeren gemacht wurden, etwa Napoleon. Die Stimme angenehm beruhigend (da komme ich später noch drauf zurück)wäre das ja alles noch zu entschuldigen und auf jeden Fall zu ertragen gewesen. Jedoch konzentrierte sich der "Stoff" darauf, von morgens 08:30 Uhr bis abends 17:30 Werbefilme von Luxusmarken anzuschauen - dabei konzentrierte sich die Auswahl der Marken, Wunder oh Wunder, zu über 80% auf französische Marken und Designer. Für meinen Teil war der Hunger nach "abwegigen" Kursen erstmal gestillt. Mitgehangen, mitgefangen und so bekamen wir im Laufe des Nachmittags ein Seminarthema zugeteilt, was wir in Gruppenarbeit anfertigen sollten. Hierbei ist, dies betonte der Professor ausdrücklich, eine streng wissenschaftliche Vorgehensweise (korrekte Zitationsstile, Nutzung von und Bezug auf hochrangige Journale, etc) keinesfalls notwendig, ja eigentlich übertrieben. Überdies und à propos würde er uns dringend bitten, seine Folien nicht zu photographieren - er hätte weder die Rechte zu den Filmen und Bildern, noch zu den Graphiken und theoretischen (so denn welche drinwaren habe ich sie übersehen), und dementsprechend könnte er hier in Schwierigkeiten kommen.

Andere Länder, andere Sitten; ich bin gespannt was die Bekannten berichten, die an anderen Unis in Peking und China generell unterwegs sind.

In den letzten Tagen war uns aufgefallen, dass das International Student Center, in dem wir bisher wohnten, immer mehr herausgeputzt wurde - oberflächlich jedenfalls: Flaggen wurden aufgehängt, neue Teppiche in Windeseile verlegt, neue Klimaanlagen eingebaut (ohne die fehlende Fernbedienung leider komplett nutzlos, aber stört keinen großen Geist), ein "Welcome to BIT! Let China learn more about the world - let the world learn more about China"- Banner, 3x7m groß wurde aufgestellt und Orientierungsbüchlein wurden verteilt ("Don't addict in the alcohol! Take beware of the suspicious man!" und ähnliche praxisnah anwendbare Ratschläge für das tägliche Leben in China kann man hier finden. Auch wird einem bedeutet, in den ersten Wochen das International Student Center eher nicht, den Campus jedoch keinesfalls zu verlassen und sich dann erst Schritt für Schritt in größer werdenden Kreisen dem chinesischen Leben zu nähern). Ein wahnsinniger Aufwand wird für uns betrieben, bis uns enttäuschenderweise mitgeteilt wird, dass dieser Aufwand gar nicht uns gilt. Wir sollen Sonntag Abend ratzefatz in ein brandneues Dormitory off-campus umziehen, Preis für die Unterbringung ist derselbe. Der Haken kommt am Schluss: Ob ich schon die 130 Kuai gezahlt hätte? Es müsste "eine Karte" aufgeladen werden. Aha? Ja, 30 Kuai Pfand, 100 Kuai, Guthaben. Für was denn Guthaben? Verdutzter Blick meiner reizenden chinesischen Gesprächspartnerin ob so viel Blödheit meinerseits. Na, für's Duschen natürlich, das wird jetzt im 5-Sekundentakt abgerechnet. Karte rein, Wasser Marsch, Karte raus, Trockenheit wie in der Sahara. Nun denn, wird man überleben.
Im Dorm (sieht top aus, wenn man vom äußeren Zustand absieht, und davon, dass erst zwei Stockwerke fertig sind, oben noch die Dachplatten aufgeschweißt werden und deshalb über dem Hauseingang das glühende Metall runterfliegt) dann die nächste Überraschung. Ja, noch einmal 130 Kuai bitte für die ersten 60 kWh im Voraus. ??!?! Wieso das denn? Ähnlicher Blick wie vorhin (diesmal allerdings männlich), es sei doch klar, dass bei einer externen Accomodation die variablen Lebenskosten selber getragen werden müssten? Natürlich, denke ich, doof von mir anzunehmen, dass bei der einen Unterkunft dieselben Bedingungen gelten wie bei der anderen, wenn man doch so auch noch ein wenig Reibach machen könnte. Und so läppert sich das (vorausgesetzt, man hat alles verstanden), und am Ende fragt man sich wo in diesem Land der unfassbar niedrigen Lebenskosten die Kohle eigentlich hin ist.

Wie dem auch sei, die 15qm-großen Zimmer sind brandneu, alles ist brandneu hier und ich freue mich drauf. Mache die Tür auf, drinnen strahlt mich schon Dennis, 21,  an; Max und mein bis dato unbekannter 3. Mitbewohner aus Hong Kong. Jedes der Betten hat einen Vorhang, den man drumherumziehen kann, sehr angenehm eigentlich. Nur bei einem ist er an einer Seite heruntergerissen, die Dübel klaffen dort aus der Wand, das Teil hängt windschief überm Bett - "that was me" strahlt Dennis, "so I took the other bed". Klar. Logisch. Er hätte mit der Reception gesprochen, das wäre morgen repariert, "don' worry, it will fine!".
"But no WiFi" und das Strahlen fällt in sich zusammen. Wer weiß, was für ein unverzichtbares Lebenselixier diese vier Buchstaben für junge Chinesen darstellen, ist sich des Ausmaßes dieser Katastrophe bewusst. Aber auch da hat er Abhilfe parat: "It come tomorrow also!" und das Strahlen ist wieder auf Fukushima-Niveau.

Dies war alles übrigens Sonntag; gestern gehe ich zur "Rezeption" (einem schräg stehenden Schreibtisch im Eingangsbereich des Dorms garniert mit den Essensresten des Nachwächters) und frage nach, was denn mit Reparatur und WiFi sei? "Ah, wait a moment - I think it come tomorrow!" - schaumermal, dann sehmerscho.

Ein wenig ungewohnt war, sich eine komplett neue Infrastruktur zulegen zu müssen. Obwohl der Campus keine zwei Radminuten entfernt ist - der Supermarkt ist nicht mehr in Laufweite und Restaurants gibt's auch neue zu entdecken. Nachdem wir also Montags unser Pensum für die Seminararbeit abgeleistet hatten hatte ich noch großen Hunger, der Rest der Truppe eher großen Durst (ein häufiger vorkommendes Phänomen hier) und so machten wir uns auf die Suche. Fündig wurden wir bei einem der vielen Chinese BBQs: Die gibt es überall vom Street Food wo einfach Fleischspieße über Kohle knusprig gegrillt und köstlich gewürzt werden, bis hin zu ganz alltäglichen Restaurants normaler Chinesen oder die High-End-Variante im Shangri La. Dies war zweiteres, ein 0,6l Bier kostete 5 Yuan, also ca 60 Cent und so bekam auch bald der Rest Hunger. Jan aus Darmstadt kann ein paar chinesische Charaktere und bestellte eine Runde. Zunächst kam niu rou, also Rind, dann ein wenig ji rou, Hühnchen, und erst ganz zum Schluss der Tintenfisch.

Der Tintenfisch.

Zunächst noch leicht süßlich im Auftakt, war er im Abgang das mit Abstand schärfste, was ich bisher gegessen habe. Durch einen Spieß habe ich mich, aus purer Verbohrtheit, falsch verstandener Tapferkeit und dem bescheuerten Eindruck, dass eine Ablehnung meine an sich sehr ausgeprägte Männlichkeit (h-hm) zu sehr in Frage stellen würde,  durchgekämpft. Ich hab's SO bereut.

Mir liefen Bäche an Tränen runter, mein Kreislauf fühlte sich an, wie ich mir ein Herzkammerflimmern vorstelle, mein Gesicht brannte, der Schmerz in meinen Lippen pulsierte mit meinem flimmernden Herz und mein Polohemd war innerhalb kürzester Zeit nassgeschwitzt. Berührungen der Zunge mit anderen Teilen des Mundes waren keinesfalls ertragbar. Sowas habe ich noch nie erlebt. Die Bedienungen? Die saßen in der Ecke, lachten sich kaputt und machten Photos mit ihren Huaweis.

Auch der nächste Morgen war nicht schön, näheres in entsprechenden Posts aus der Zeit in Äthiopien.

Dienstags stand ganz im Zeichen des Papers, das gut voran kommt. Abends noch einmal eine Session chez Prof. L., keine großen Änderungen des Unterrichtskonzeptes. Sehr lustig war jedoch, als der Prof zum Ende der Stunde ein "Bis nächste Woche" in allen Sprachen auf die Leinwand zauberte, die im Kurs vertreten sind. Ein Vertreter jeder Sprache sollte vorlesen. Marcin war der einzige Pole, und als die Reihe an ihn kam, war nur ein lautes Schnarchen zu hören, das bisher im Unterricht durch die gehörgangbetäubende Wiedergabe der Christian Dior- und Cartier-Werbevideos untergegangen war.

Ah ja, und es gibt Gurkenkaugummi! Ich bin nicht so der Fan, Lotte ist unter anderem davon ganz begeistert - wie auch von Gurkencrackern, Gurkenchips und Gurkeneis.

Auch Mittwochs arbeiteten Max und ich noch am Assignment, jedenfalls bis Mittags. Dann machten wir uns auf den Weg durch die Stadt nach Guomao, dort hatten wir uns mit Celeste und dem Rest der Sprachschulleute zum Mittagessen verabredet, ich hatte die ganze Crew ja seit 2 Wochen nicht mehr gesehen. Besonders hab ich mich über Jam gefreut (nach 2 Jahren zertifiziert verhandlungssicher in Chinesisch), eine Seele von Mensch und nebenbei Amerikanerin mit thailändischen Wurzeln. Sie ist nunmehr im neunten Monat schwanger und ich wollte ihr für die restlichen Wochen alles Gute wünschen.

Zur generellen Erbauung und spezifischen Verdauung machten Max und ich uns danach auf den Weg in die Eingeweide des "CBD" genannten Central Business District. Hier steht zum einen der schon erwähnte und weltberühmte "Klositz" des CCTV; trotz meines nicht besonders nett gemeinten Spitznamens architektonisch extrem beeindruckend. Zum anderen findet sich hier der China World Tower, Peking's (momentan) höchster Turm. Den wollten wir uns näher ansehen, bei Gelegenheit vielleicht sogar von oben. Gesagt getan, rein spaziert und gemerkt, hier ist ein Hotel. In einem Hotel kann man auch nach oben fahren. Selbstbewusst als ob wir exakt wüssten, wo wir hin müssen da wir ja hier sowieso ein Zimmer haben, drücken wir auf die 81 im Lift (war halt das höchste) und wir rauschen 330 Meter in die Höhe. Oben erwartet uns ein schickes Restaurant und eine chinesische Kellnerin, die nicht unbedingt mit englischem Sprachtalent gesegnet wurde. Wir machen klar, dass wir uns an ein Fenster setzen, oder gar nicht und siehe da, innerhalb von fünf Minuten wird was frei. Mit einem atemberaubendem Blick über das von der untergehenden Sonne angestrahlte Peking süppeln wir 4 Stunden an einem Nachmittagsbier (schlappe 9€ für 0,33 vom "Billig-Bier" Tsingtao - man gönnt sich ja sonst nix), lassen die Sonne untergehen und fühlen uns, als ob der Laden uns gehörte. Der Kellner schmeißt uns gegen sieben mit perfektem Timing raus und wir verschwinden in Richtung Dormitory - arge Desillusion nach den vorherigen Stunden, aber sicher sehr heilsam.

Abends hieß das Ziel, eine Kleinigkeit zu schnabulieren und etwas zu trinken. Beides ging ziemlich schief:

Zunächst wollten Anna und ich noch ein paar Djiaoze zu uns nehmen, köstliche Taschen aus dünnem Teig gefüllt mit unterschiedlichen Gemüsen und Fleischsorten, je nach Gusto. 6 pro Nase hätten uns gereicht - der Kellner hatte falsch verstanden und brachte 6 Portionen, ungefähr das dreifache der gewollten Menge. Aber auch das war letztendlich kein Problem und sie waren frisch und köstlich!

Weiter ging's mit Kevin (ihr erinnert Euch aus vorherigen Posts) und Dennis in eine Bar. Kevin kannte und liebte das Mäxchen-Spiel noch von letztem Mal, Dennis beherrschte es sehr bald - obwohl das nicht wirklich korrekt ist, was zu einem erhöhten Bierkonsum seinerseits führen musste. Am nächsten Tag beichtete er uns, dass er noch nie so wirklich Alkohol getrunken hätte und dass das das erste Mal war, dass er sich angetrunken gefühlt hätte - hätten wir das gewusst, hätte die Abendgestaltung ein wenig anders ausgesehen.

Mit uns in der Bar waren ein paar volltrunkene Koreaner, einer war vor allem unangenehm. Wir waren im Begriff zu Gehen, die Koreaner waren schon ca. 30m weg auf der Straße, als plötzlich Streit und Rangelei ausbrach. Dies sind immer kritische Situationen, vor allem in Peking: Man muss sie im Auge haben, um zu wissen ob für einen selber eine unmittelbare Gefahr besteht, aber darf einerseits nicht gaffen - sonst wird man stante pede mit hineingezogen. Diesen Mittelweg zu finden ist nicht immer leicht, aber sehr wichtig. In diesem Fall entschieden wir uns dazu, schnellstmöglich das Weite zu suchen, da ein Koreaner dazu überging, mit einem stangenähnlichen Gegenstand auf seinen Landsmann einzudreschen und ihn die Straße hinunterzujagen, während an anderer Stelle mehrere Frauen und Männer unseren Alters einander aufs Übelste vermöbelten. Benno hatte mir an meinem ersten Tag klar gemacht, dass in so einer Situation die einzig richtige Reaktion sei, so schnell wie möglich das Weite zu suchen: Zum einen wird man nie als Schlichter wahrgenommen (ein Kommilitone wollte als Schlichter eintreten und bekam es mit einer Eisenstange und einer Platzwunde über die gesamte Stirn gedankt), zum anderen hinterher gerne sowohl von "Opfern" als auch von "Tätern" für jeden Schaden verklagt, der irgendwie irgendwem entstanden ist. Auch die Polizei rufen bringt (noch) nichts, da diese kein Englisch spricht. Ziemlich geschockt, außer Atem und vor allem mit einem Gefühl der Hilflosigkeit ließen wir uns ein paar Straßen weiter bei einem Street Food-Stand nieder, der uns auf den Schock mit schon gekosteten Pancakes versorgte.

Peking ist nicht nur lustig, lustig, Tralalalala!

Aber schön ist es trotzdem.

Samstag, 13. September 2014

Ein duftender Berg, gallopierende Pferde und 2 Callboys

Wie im vorigen Blogpost geschrieben, leistete uns Kevin, ein Masterstudent am BIT, beim Mittagessen Gesellschaft. Er hatte Nina, eine nette Niederbayerin aus der Nähe von Passau am Campus einfach angequatscht, weil er sich regelmäßig Deutsche zum Deutschüben sucht - und entpuppte sich als Volltreffer: Super nett, sehr offen, Opapa würde sagen, "der hat ein gutes Gesicht". Sehr geduldig war er obendrein, zum Beispiel bei der für ihn wahrscheinlich unverständlichen Sitte des westlichen Kulturkreises, sich bei der Wahl eines gemeinsamen Essens demokratisch abstimmen zu müssen, was, oh Wunder, ewig dauert.
U-Bahn mit viiiiieeeelen Menschen

Da das Semester vorbei und dementsprechend seine letzte Ladung Deutsche abgereist war, mussten nun neue ran. Fanden wir klasse, bot das doch die Möglichkeit eines gegenseitigen Austausches und einen weiteren Schlüssel zu neuen Aspekten des alltäglichen chinesischen Lebens. Kevin startet heute sein Praktikum bei BMW, hat auch schon für VW gearbeitet, kann perfektes Englisch und für 2 Monate Lernzeit wirklich beängstigend gutes Deutsch, das er bei jeder sich bietenden Gelegenheit verbessert und übt. Das sind die Momente, in denen man sich fragt ob "der Westen" überhaupt noch eine Chance hat, gegen diese Lawine hochmotivierter, unfassbar fleißiger und ehrgeiziger Chinesen zu bestehen, wirtschaftlich sowieso, aber auch politisch: Ich stell mir nur vor, wie lächerlich Merkel wirken muss, wenn die Chinesen die Debakel um S21 und BER, die in chinesischen Augen noch nichtmal Großprojekte darstellen, den chinesischen zwei Dutzend Flughäfen entgegenstellen, die in den letzten paar Jahren aus dem Boden gestampft wurden. Wie sich Peking in den letzten 5 Jahren verändert hat, ist der Wahnsinn - ich weiß zwar nicht, wie es vorher aussah, aber das geringe Alter der Hochhäuser spricht eine deutliche Sprache und Bilder von 2007 beispielsweise von Sanlitun zeigen die immensen Veränderung zum heutigen Status Quo.

Merke: Schlafen geht immer und überall
Von solch düsteren Zukunftsvisionen ließen wir unsere gute Laune jedoch nicht beeinträchtigen, Kevin sowieso nicht, und luden ihn kurzerhand zum Essen ein. Er fragte ob wir wandern gehen wollten und so war der Plan schnell gemacht.

Da es dort nicht wie im Rest Chinas haufenweise Restaurants gibt, in denen man zu Münchner Mensapreisen chinesisches Essen auf Gourmet-Niveau futtern kann, mussten wir noch am Vorabend in einem Supermarkt entsprechende Vorkehrungen treffen. Wollten wir jedenfalls, das war aber alles nicht so einfach. Stellt Euch 5 verwirrte Deutsche vor, die auf der Suche nach Landjägern, einem Stück Camembert und einem einfachen Baguette oder ähnlichem hoffnungsvoll die Supermarktgänge durchstreiften. Zugegeben, das war eine ziemlich naive Hoffnung unsererseits, aber man kann's ja versuchen. Trotzdem, wie man einen Supermarkt so bestücken kann ist mir ein ziemliches Rätsel: Es gibt insgesamt 8 Reihen Regale. Eine Reihe sind hochprozentige Getränke, Bier/Wein sowie bappsüße Tees und Säfte aller Art. Eine Reihe sind Trockenobst und Nüsse. 6 Reihen (!) gehen auf Cracker, Kekse und Kuchen drauf. Das war's.

Das hört sich alles gar nicht so übel an; der Teufel liegt aber im Detail: Alles ist auf chinesisch und es gelten so selbstverständliche Verbraucherschutzregelungen wie in Deutschland nicht, dass das, was draußen abgebildet ist, auch etwas mit dem zutun haben muss, was innen drin ist (Bsp. "getrocknete" Mango: draußen ein Bild einer saftigen Mango, wirklich appetitanregend, innen braun zusammengeschrumpelte, nach komischen Chemikalien schmeckende Mangoschale. Wurde auch nach mehrmaligem Probieren nicht besser und dementsprechend kommentarlos entsorgt. Das meiste ist zudem fast ungenießbar süß oder mit künstlichem Aroma (bspw. eigentlich jeder Kuchen) einfach ein wenig heftig. Probieren ja, auf Dauer genießen fällt doch ein wenig schwer.
Ich entschied mich schlussendlich für TUC-ähnliche Cracker, die einen soliden Eindruck machten, nebst kandiert-/getrockneten Datteln (entsteint, wenn man von den Kernsplittern aka Zahnfüllungskillern absieht, die der Entkernmaschine entgingen ) und einer Packung besagter, enttäuschender Mangos. Das kollektive Gejammer war groß - wir sehnten uns sehr nach Lederhose, Leberkäse und Landjäger. Bissl lächerlich eigentlich.

Anderntags (MITTWOCH) trafen wir uns früh um halb neun morgens am Südtor des Campus. 20m davon fuhr der Bus ab, der uns direkt zum Ausgangspunkt unserer Wanderung brachte: Ein kleines Dörfchen im Pekinger Speckgürtel. Ok, direkt ist relativ, aber für Pekinger Verhältnisse ging's flott voran und dauerte mit eineinhalb Stunden gar nicht mal so lang.
Sofort ging es zu Fuß an ein paar kleinere Häußchen und deren Sperrmüllhaufen vorbei eine steiler werdende Straße bergan, die wir bald zugunsten eines kleinen Pfades verließen. Die Pflanzen generell machten einen mediterranen Eindruck. Überall hingen tibetische Gebetsfahnen und es ging ca. 600 Höhenmeter bergan auf einen Hügel, auf dem ein Mensch eine riesige Villa im Stil einer europäischen Berghütte gebaut hatte. Wunderschönen Blick auf Peking's Smog, lediglich den nahen Sommerpalast konnte man erahnen.
Max, ich, Anna, Kevin und Nina beim Gipfelsturm


Alle Mont Blanc-Kondition ist übrigens bereits dem Smog zum Opfer gefallen, das Fahrradfahren hat da nicht viel gebracht. Hoch kamen wir trotzdem alle, halt nur mit Raucherlungenspeed.

Wir wollten zum "Duftberg-Park", einem Park der ähnlich wie der Jin Shang- oder der Ri Tan Park Geld kostet, aber viel größer ist. Wir hatten aber einen Vorteil, und zwar Kevin. Kevin führte uns über Hügel und durch Täler und wusste genau wo's langgeht. So näherten wir uns nach längerer, sehr schöner Wanderung von außen der 3-4m hohen Begrenzungsmauer, die den Park von allen Seiten umgrenzt. Kevin hatte vorher angekündigt, wir müssten noch eine alte, wenig hohe Mauer überwinden, er wüsste da eine gute Stelle - einigen von uns wurde dann doch ein wenig mulmig, als sie die "wenig hohe" Mauer sahen.
Kevin machte sehr geschickt vor, wie die Mauer zu überwinden sei - nur einmal hier, und einmal dort greifen, zack sitzte oben. Yorck, mach Du mal als erster. Lange nicht so geschickt, aber nach und nach schafften wir es alle auf die Mauer und saßen dort wie die Hühner auf der Stange, 3m über dem Weg, der auf der anderen Seite an der Innenseite entlang lief und hatten einen tollen Ausblick ins Tal.

Auf der Mauer, auf der Laune sitzen kleine Wanzen...

Ein Eis und eine kleine Pause später waren wir auf dem Rückweg, durch den Park den Duftberg hinab. Wir passierten 3 Gartenarbeiter: Einer trug eine Säge, ein anderer einen Stock auf den die Säge montiert werden sollte und ein dritter ein Seil, mit dem der Baum, der zu fällen war, umgeworfen werden sollte. Gewaltenteilung made in China.

Bis zum Parkausgang, durch den wir natürlich ungehindert passieren konnten dauerte es ca. eine Stunde, eine knappe weitere mit dem Bus wieder zurück vor das Südtor der Li Gong Dachüe, unserer Universität. Ich hab mich erstmal geduscht und ein wenig in die Heia gehauen - war doch bissl fertig von den ca. 900 Höhenmetern, die wir mit Gegenanstiegen in voller Mittagshitze hinter uns gebracht haben.

Nach dem Essen ging es, das obligatorische Nachtisch-Eis (jedes Mal muss eine neue, möglichst verrückt aussehende Sorte ausprobiert werden!) in eine kleine Pinte auf ein Absackerbier; vor allem aber wollte Kevin uns in die hohe Kunst des chinesischen Würfelspielens einweisen. Schon häufiger war uns aufgefallen, dass junge Chinesen praktisch überall, in Bars, Restaurants und Clubs, mit Würfeln spielen und dabei anscheinend einen Riesenspaß haben. Wir lernten bald, dass es sich dabei - Überraschung! - um ein Trinkspiel handelt, bei dem jeder Spieler seine 5 Würfel unter seinem Becher mischt, verdeckt begutachtet und dann anhand dessen was er sieht, einen Tipp abgeben muss, was unter allen anderen Bechern insgesamt zu sehen ist, beispielsweise " 4 Mal 5 Augen". Der nächste Spieler muss diese Behauptung im ersten Faktor übertreffen, also bspw, "5 Mal 2 Augen" oder "12 Mal 6 Augen". Wenn der nächste Spieler die Behauptung des Vorgängers für nicht plausibel hält, verlangt er, dass alle ihre Würfel zeigen. Wenn die Behauptung des Vorgängers nicht stimmt, sondern zu hoch war, hat der Vorgänger verloren und muss zur Strafe ein Schluck Bier trinken. Wenn sie stimmt, muss derjenige trinken, der die Würfel sehen wollte.  Einige Zusatzregeln, teils chinesisch, teils deutsch (Max kannte das Spiel schon) heizten das Spiel nochmals an. Wir zeigten uns erkenntlich, indem wir Kevin "Mäxchen" beibrachten, ein Würfel-Trinkspiel, dass in Deutschland jeder 16-Jährige in allen Finessen beherrscht. Kevin zeigte sowieso vermutetes hohes Talent und spielte selbst langjährige Mäxchen-Veteranen an die Wand. Gegen halb eins überkletterten wir mal wieder bester Stimmung mal wieder das bereits geschlossene South Gate zum Missfallen des Pförtners, der missmutig von seiner TV-Serie aufguckte und einen leisen Fluch auf die depperten Foreigners in seine fünf 3cm langen Barthaare nuschelte.

Anderntags (DONNERSTAG) hatten sich einige Leute vorgenommen dem örtlichen Fake Market einen Besuch abzustatten. Ich war dabei, ist dies doch immer eine willkommene Gelegenheit, ein wenig Chinesisch zu üben, mit den Verkaufsmädels zu feilschen und zu schauen, wie tief man wirklich kommt. Eins hab ich mittlerweile gelernt - die Preise für das selbe Hemd fallen von Besuch zu Besuch und die Geschäfte verdienen immer noch genügend Kohle. Man darf sich nur nicht über den selbst gezahlten Preis aufregen, die Marge ist astronomisch.

Unsere Gruppe stromerte eine Stunde durch den Markt, aber ich hatte ein anderes Ziel: ich wollte in den 5. Stock wo schlecht gefälschte Uhren, hässlicher Schmuck und allerlei Tand verkauft wird. 4 Tage zuvor war ich ja bereits im Ya Xiu Market gewesen und hatte auf diesem Stockwerk bei einem Kunsthändler, der Ölgemälde verkauft, ein Bild gesehen. Hab mich ziemlich sofort verknallt, aber ich hab noch nie ein Bild gekauft, und wollte es reifen lassen. Der Verkäufer wollte ursprünglich 2800 RMB, 2000 RMB am Ende, aber das war mir immer noch zu viel. Mit Kunst ist es aber anders als mit T-Shirts - da gibt es keinen "Produktionspreis" in dem Sinne, sondern man kauft das kreative Ergebnis eines Künstlers. Mehr als 500RMB war ich trotz allem nicht bereit zu zahlen, und da die Dame, die heute da war, partout nicht unter 1600 gehen wollte, hatte sich die ganze Sache eigentlich schon erledigt. Wir gingen ein Stockwerk hoch, ich fand's schade aber mei, zu viel ist zu viel. Als wir kurz darauf wieder loswollen, steht auf einmal die etwas ältere Dame vor mir, lächelt schüchtern und hat einen Taschenrechner in der Hand: 600 steht drauf. Now we're talking.

Für 500 hab ich's genommen und liebs! Öl auf Leinwand, 1,2 x 1,1 m groß. Wie ich's nach Deutschland bekomme, sehen wir dann... Der Transport in der U-Bahn war schon abenteuerlich - Lotte hat mir netterweise geholfen das Bild ein wenig in Schutzfolie zu packen. Die Security am U-Bahneingang (ja, Taschen werden geröngt, man muss einmal aus seiner Wasserflasche trinken und durch den Metalldetektor laufen) hat ganz schön geschaut, als ich das Bild durch den Türrahmen des Detektors getragen habe.


Am Freitag buchten Max und ich unsere Goldene Woche - es geht nach Guilin. Weil aber alle Welt um die Zeit verreisen will, wird es erstens teurer als nötig und zweitens um einiges unbequemer. Wir fahren die 2600km mit dem Zug, das dauert 27h - in einer Kategorie, die Hard Seater genannt wird, alles andere war Minuten nach Freischaltung bereits ausverkauft. Nun denn, auch das wird zu überleben sein. Eine mehrtägige Rucksacktour am und auf (per Bambusraft) dem Li-Fluss sowie die Erkundung der Reisterassenhügel um Longsheng ist es in jedem Falle wert.

Lotte ließ sich für 150 Yuan in einem Elektronikmarkt in der Nähe (15 Minuten U-Bahnfahrt) ihr kaputtes iPhone-Display reparieren. Funktionert wieder wunderbar, aber als die Eingeweide des wertvollen Teils auf einem DIN A4-Blatt ausgebreitet waren und sowieso alles ziemlich chaotisch und wenig professionell aussah, wurde ihr zwischendurch doch etwas mulmig zu Mute, glaube ich...

Tobi und Clemens (von der Uni Regensburg) sind unterdessen ausgezogen und haben sich unter einigen Anstrengungen (Zockereien mit Makler, Vermieterin und Polizei auf allen Ebenen) eine Bude in Wudaokou besorgt, einem "nahen" (50 Minuten Haustür zu Haustür) Bar- und Studentenviertel mit sehr hohem Anteil an Foreigners. Diese Bude war Schauplatz für den Auftakt eines denkwürdigen Freitagabend - Freitag- und nicht Samstagabend, da morgen, Sonntag, der erste Unterricht an der Uni stattfindet.
Letztendliches Ziel war "Latte" in der Nähe vom Worker's Stadium in Sanlitun - ganz in der Nähe von dem Laden, in dem wir Max' Geburtstag knapp eine Woche vorher gefeiert haben. Schon ironisch, dass diese Ausgeburten kapitalistischer Dekadenz in unmittelbarer Nähe einer so offensichtlich kommunistischen Einrichtung wie dem "Worker's" Stadium flourieren. Das ficht aber niemanden an - wir gehen hinein und innerhalb von nichtmal 5 Minuten werden wir von einer Chinesin angesprochen: sie hätte einen Tisch, ob wir kommen und was trinken wollen? Tja puh, wollten wir?
Keine Möglichkeit nein zu sagen, da alle sofort ein Getränk in die Hand bekamen. Da erst fallen mir die zwei doch recht merkwürdig aussehenden Gestalten auf, die bei ihr am Tisch stehen. Beide Westler, recht weite Jeans, Oberkörper frei mit Ausnahme einer Lederweste, aufgeknöpft natürlich. Darunter Muskelberge, eine Aviator-Sonnenbrille auf dem gelangweilten Gesicht und zurückbetonierte Haare. Mein Smalltalk wird entsprechend unenthusiastisch erwidert: Sie seien Callboys, aber nur bis 3 Uhr nachts gebucht, dann wären sie weg.
Das hat mich echt ein wenig deprimiert: Das Mädel kauft sich "Begleitung" ein und dann mit uns auch noch ein paar westliche Freunde auf Zeit, die sie mit Whiskey und Beigetränken bei Laune hält um nicht komplett allein zu sein. War mir des Glücks wirklicher Freunde in diesem Moment sehr bewusst!

Davon abgesehen hatten wir einen unheimlichen Spaß. Wie in allen Clubs bisher gab es auch hier nur eine begrenzt große Tanzfläche, die jedoch inmitten aller Tische und erhöht, also Blickfang für alle. Wir haben dort oben die meiste Zeit verbracht und mit großer Freude die Nacht zu so Perlen der elektronischen Musik wie "It's going down - I'm yelling timbeeeeeer" weggetanzt - sicher nicht ansatzweise so cool wie irgendein szeniger Schuppen in Berlin und auch nicht "prestigeträchtig" wie die wiederum abartig gefüllten Tische drumherum. Aber wir hatten Spaß, sehr sogar, im Gegensatz zum Großteil der Leute an diesen Tischen.Die ziehen entweder ein Gesicht als hätte ich gerade ihre Katze überfahren oder spielen "Angry Birds"  bei 140 Dezibel auf ihrem Handy.

Lustigerweise gab vor allem Kevin Gas, als hätte man ne Flasche Sekt entkorkt. Der hat sich richtig wohl gefühlt und tanzte, was das Zeug hält - er meinte, seine Freunde gingen nicht so viel in Clubs, der Eintritt sei so teuer (hab noch NIE was gezahlt hier, man läuft als Westler ohne Security-Check einfach hinein und bekommt Getränke in die Hand gedrückt und kann an den Tischen irgendwelcher Chinesen was essen, wenn man möchte). Wir haben ihn in die Mitte genommen, dann hatte sich das erledigt.
Zack war's fünf, Zeit zu gehen und was zu essen.

Glücklicherweise gibt's direkt draußen jede Menge Stände, die salzige Crepes a la Chine zubereiten: Crepeteig auf Crepeeisen gießen und verteilen wie in Frankreich - und jetzt kommts: Wenn der Teig schon leicht stockt, wird ein frisches Ei drüber aufgeschlagen, das Eigelb mit dem -weiß vermengt und auf dem Crepe verstrichen. Im zweiten Arbeitsgang geht es auf den heißen Stein direkt daneben, wo zunächst eine sehr würzige, nicht identifizierbare Soße aufgestrichen wird, gefolgt von einer wiederum sehr würzigen, knusprig frittierten Scheibe einer undefinierbaren Masse, die in den Crepe gepackt wird, ordentlich angebratene Zwiebeln, viel frischen Koriander und ein Salatblatt hinein und fertig ist der perfekte Mitternachtssnack für 5 Kuai. Für 6 Kuai mehr bekommt man noch ein Stücken Hühnchen hinein. Max und Nina präferierten einen frisch angebratenen Tintenfisch im Ganzen am Spieß.
Nach solcherlei Stärkung ging's im Morgengrauen im Taxi nach Hause und über das wohlbekannte South Gate (der Pförtner war BEGEISTERT). Es wurde noch ein wenig philosophiert - wie dies manchmal der Fall ist um diese Uhrzeit. Resultat war einstimmige Einigkeit, dass dieser Abend etwas besonderes war, in jeder Hinsicht - was aber auch nicht an dem Laden lag. Berliner Szenekenner hätten sich wegen des erschröcklichen Kommerzes und des furchtbaren Mainstreams mit Sicherheit den Abend vermiesen lassen, aber wenn man darüber hinwegkommt war es GENIAL. Das reicht für mich.

Am nächsten Morgen (Samstag) erreichte mich noch mitten in der Nacht (11:30 morgens) eine SMS von Benno, er würde für seine "Sundowner-Party" noch ein wenig Unterstützung bei der Vorbereitung benötigen. Diese Gelegenheit beim Schopf packend meinem "Wohltäter von Peking" meine Dankbarkeit ein wenig zeigen zu können (wenn auch nicht annähernd angemessen) schwang ich mich endlich mal wieder auf mein schon viel zu lang ignoriertes Fahrrad und peste die 15 km auf der nördlichen 2. Ring Road nach Liangmaqiao runter, gute Musik im Ohr, gutes Wetter und gute Laune.

Der Nachmittag war ganz besonders herrlich: Consti kam auch mit paar Kommilitonen, Max stoß (nachdem der sich gehörig ausgeschlafen hatte) später noch dazu und wir hatten mit ein paar "alten" (kenn ja alle maximal einen Monat) Bekannten einen herrlichen Abend auf der Dachterrasse von Benno, der geschätzt 100 Leute bestens bewirtete. Wiederum ein toller Abend unter Benno's Ägide!

Morgen (Sonntag) geht um halb neun der erste Kurs los - dementsprechend früh habe ich heute die Segel gestrichen und bin zurückgeradelt. Bin gespannt, wie sich das morgen entwickelt!
So hausen wir derzeit noch, heute nachmittag kommt ein Umzug in ein anderes Studentenheim


Ach ja, und schaut mal bei Max rein, der hat sowohl ein Photo-Blog, als auch einen Instagram-Account, die er beide regelmäßig füttert - lohnt sich!

Dienstag, 9. September 2014

Hartes Studentenleben und 200 Schultüten

Liebe Leute,


die ersten Tage in der Uni sind vorbei, es hat sich hier mittlerweile eine kleine Community zusammengefunden; das Ganze hat irgendwo die Atmosphäre eines Sommercamps, nur ohne organisierte Aktivitäten. Nachdem alle wach geworden sind (das kann sich durchaus ein wenig ziehen, aber ein gutes Buch und dieses Blog füllen die Zeit recht zuverlässig) wird der Tagesplan, der am Abend vorher locker besprochen wurde, umgesetzt. Zunächst muss allerdings gefrühstückt werden. Das hört sich einfach an, ist aber lange nicht so trivial: Es gibt in China keine dezidiertes Frühstück, es werden Sachen, die auch mittags oder abends gegessen werden (in Peking sind dies beispielsweise große "Baoze" genannte Dumplings oder eine geschmacksfreie Nudelsuppe) zum Frühstück serviert. Da der Aufbruchszeitpunkt schon meist zu fortgeschrittenem Tagesverlauf stattfindet, wird das Frühstück also häufig mit einem Mittagessen verbunden und dadurch zu einem "Brunch chinoise". Das Gute ist, dass es jede Menge günstiger Restaurants in der Nähe gibt, die man durchprobieren kann und die allesamt ausgezeichnetes Essen liefern. Das Schlechte ist, dass es kein Müsli mit Joghurt und Früchten gibt, und wer mich nur ein klein wenig kennt, der weiß, wie hier der stete Tropfen meine ansonsten stählerne Widerstandskraft aushöhlt. Aber ich werde bestehen! Wir haben Porridge für geringes Geld in einem chinesischen Supermarkt gefunden, dazu ein paar günstige Nüsse und getrocknete Früchte, das ganze mit dem gesüßten Joghurt, ein zwei (sauteuren) Früchten und ein wenig Milch unklarer Herkunft/Produktionsqualität vermischt und voilá, DIESES sehr stark vorhandene Heimweh sollte ein klein wenig gelindert sein. So der Plan jedenfalls.
Auf dem "Pekinesenpeser" (Ann Sophie), "Roten Blitz" (Benno), "*!§$*™◊!≥‰  !!!" (irgendein Pekinese) unterwegs auf dem Campus des BIT

Nach erfolgreicher Bewältigung dieser ersten Hürde schwärmen wir aus, und da ich mich bisher eher auf die "zweitrangigen" Winkel und schönen Seiten der Stadt fokussiert habe, können jetzt Verbotene Stadt, Sommerpalast, Himmelstempel und die chinesische Mauer mit den anderen zusammen entdeckt werden.

Max hatte Sonntag Geburtstag, da musste natürlich reingefeiert werden. Diesmal in der Nähe vom Worker's Stadium im "Mix", nachdem wir vorher bei einem IKOM-Kollegen vorbeigeschaut haben, der zufällig auch am BIT ein Austauschsemester macht. Lustiger Zufall!
Musikalisch werden hier die gängigen derzeitigen Hits rauf und runtergespielt - der Vorteil ist, dass man alle Texte kennt, der Nachteil die objektiv nicht immer besonders hohe Qualität der Musik ("I CAME IN LIKE A WREEEEEEEEEEEEEECKING BALL")
Nach der vorherigen Nacht überraschte mich dieser Club nicht mehr durch seinen Luxus (man gewöhnt sich traurig schnell dran), trotz allem ist er doch in vieler Hinsicht anders, mehr, und vor allem teurer als vergleichbare deutsche Etablissiments. War noch nie im P1 in München, aber ein Kommilitone, der häufiger dort und in anderen Läden dieser Preisklasse verkehrt, bestätigte mir diesen Eindruck.

Ähnlich wie in Istanbul kann man, wenn man keine Lust mehr hat, einen kleinen Straßensnack zu sich nehmen bevor man nach Hause geht. In Istanbul sind das fangfrische Miesmuscheln, die vom Verkäufer auf Lebendigkeit überprüft und dann mit Zitronensaft gereicht werden; das Stück ca. 50 Cent. In Peking gibt es Hühnchen-, Rind-, Lamm- oder Tintenfischspieße in scharfer Marinade für ca. 60 Cent. Auch sehr empfehlenswert, da diese gut durchgebraten und dadurch (relativ) unbedenklich für den Verzehr sind. Meine Erfahrungen mit äthiopischen Darmproblemen haben sich hier bisher nicht wiederholt - ermöglicht eine um einiges entspanntere Entdeckung der hiesigen Kultur.

Nach dem Ausschlafen ging es nochmals Richtung Wangfujing und Food Street. Mein Room-Buddy Max ließ es sich an seinem Geburtstag dabei nicht nehmen, absolut alles zu probieren, was hier so angeboten wurde. Seidenraupe, Skorpion (klein und groß), Heuschrecke, Seepferdchen, Kalamari, Schlange, allesamt frisch aus der Friteuse und dank des starken Gewürzes nurmehr ohne starken Eigengeschmack - vielleicht auch besser so. Nur bei den Flughunden passte er, das war doch eine Nummer zu hart und ich kann es ihm nicht verdenken.
Tobi beißt sich durch eine Heuschrecke


Abends war dann dank der doch relativ intensiven Abendgestaltung der letzten zwei Tage bei allen früh Schicht im Schacht. Es ist immer noch zu warm um auch nur entfernt an Bettdecken zu denken, die kommen später wenn die frostigen Nordwinde aus der Mongolei kommen - aber dann mit Macht und unerbittlich!
Interessant war mal wieder die Geschwindigkeit des Wetter- bzw. Smogumschwungs am Abend. Zum Abendessen hatten wir noch Werte weit über der 200-Marke. Nach Richtungswechsel und Auffrischen des Windes fiel dieser innerhalb einer halben Stunde unter 20! Die plötzliche Klarheit der Farben scheint im Vergleich zum vorherigen Erscheinungsbild als ob einem ein Schleier von den Augen fällt, grad der auf einmal strahlend helle Mond und die klaren Kontraste sind beeindruckend und machen gute Laune.

Das gute Wetter wollten wir nutzen! Es hielt herrlicherweise den Montag auch noch anWo besser als im mittlerweile schon wohlbekannten Jin Shang Park, zu dem wir uns durch Hutongs hindurchschlugen. Vorher hatten wir ein Picknick eingekauft und konnten so bestens verproviantiert die atemberaubende Aussicht auf Berge, Verbotene Stadt und insgesamt Peking genießen. Immer wieder schön.

Groß, rote bzw. blonde Haare - unsere Mädels Anna und Lotte sind stets beliebte Fotoobjekte - manchmal zu ihrem Leidwesen. Hier allerdings nicht.. :)
Weiter unten ließen wir uns zwischen ein paar Steinen am Hügel unter Bäumen zu besagtem Picknick nieder und probierten uns durch die sogenannten Moon Cakes durch - ein rundes, ca. 4 cm breites und 3cm hohes Teigteilchen, salzig oder süß gefüllt und für uns ohne chinesische Sprachkenntnisse immer ein Abenteuer. Süß geht meist noch, das sind dann Feigenmassen oder Walnussfüllungen oder ähnliches. "Salzig", bewusst in Anführungsstrichen, ist in der schlimmsten Ausführung einfach ein steinhart gekochtes, furztrockenes Eigelb, dass im hohlen Innenraum des Moon Cakes vor sich hinkullert. Abstrus und nicht besonders schmackhaft.

Der Rest der Gruppe wollte sich das Moon Festival nicht entgehen lassen und fuhr zur Marco-Polo-Brücke, wo man sich ein großes Spektakel mit kleinen chinesischen Heißluftballons, Lampions auf dem See und einem wunderschönen Feuerwerk versprach. Ich war neidisch, hatte ich mich doch mit den Jungs und Mädels von Rotaract verabredet, um die 200 Geschenk-Schultüten für die Stiftung "Migrant Children Foundation" zu packen, die wir dort im Rahmen unserer Vorleseaktion Ende September verteilen wollen. Der Abend im Bookworm war gemütlich und sehr lustig, und schlussendlich waren auch alle 200 Tüten gepackt und fertig. Gilbert, der über 60 Jahre alte Chef von Rotary Shanghai und seines Zeichens Fahrradmaniac, war bisher bei jedem Rotaract Meeting dabei und erzählte uns zu meinem Verblüffen wie sehr sich die Clubszene in Peking in seinen 35 Jahren hier verändert hätte. Ich war einigermaßen überrascht - er schien mir nicht derjenige zu sein, der sich die Nächte in Clubs um die Ohren schlägt. Never judge a book by its cover.

Das Moon Festival entpuppte sich als Enttäuschung, lediglich ein paar Bäume hätten per weihnachtsbaumähnlich geblinkt. Nicht die schlechteste Entscheidung zum Bookworm zu fahren.
Die Rotaract-Crew beim Tütenpacken

Heute dann, also Montag, war auch wiederum gutes Wetter vorhergesagt - nur der Smog schlug wieder zu. Nichtsdestotrotz haben Max und ich uns nach einer kleinen Abstimmungsrunde auf den Weg zum Sommerpalast gemacht, der Sommerresidenz der Kaiserwitwe Cixi, die sich den schon vorhandenen See nochmal hat weiter ausheben lassen von schlappen 100 000 Arbeitern und auch ansonsten nicht gegeizt hat bei der Gestaltung ihres Palastes. Sie nutzte dabei Mittel, die für den Ausbau der chinesischen Marine gedacht waren. Da das offensichtlich nicht ganz zweckentsprechend war baute sie als Ehrerbietung für die Marine auf dem frisch ausgehobenen See ein Schiff aus Marmor. Korrekt. Aus Marmor, unsinkbar (da nicht schwimmfähig) und also die chinesische Marine aufgrund der fehlenden Stärkung nicht im Entferntesten korrekt wiedergebend. Egal, sieht toll aus - und ziemlich bizarr, so eine Art historisches Gegenstück zu den heutigen Auswüchsen chinesischen Großmannsstrebens.
Das Marmorschiff von Kaiserinwitwe Cixi
Man kann dort wunderbar durch die Wandelgänge am Ufer entlang lustwandeln zu einer kleinen Insel hin. Auf der Brücke haben viele Leute Drachen steigen lassen. Eine Leine ging dabei nicht nach oben, sondern abschüssig auf den See zu und verlor sich dann. Der Mann am Steuer schaute jedoch angestrengt steil nach oben. Ein anderer, zahnlos grinsender Chinese älteren Baujahrs zeigte breit feixend auf den Drachen, der in geschätzt 300m Höhe (der Drachenpilot hatte bereits einen halben Kilometer Seil ausgegeben) am Himmel hing und eigentlich nicht mehr sichtbar war. Die Menge um ihn herum sprach Bände - eine solche Höhe war aussergewöhnlich.
Pilot mit Schnur links, irgendein salutierender Chinese rechts neben ihm

Von der Insel hatte man in der langsam tiefer stehenden Sonne einen wunderschönen Blick auf den Sommerpalast am anderen Ufer, mit den kleinen Daus und den großen Drachenbootfähren auf dem See davor. Ein schöner Abschluss eines schönen Tages!

Oh, eins hab ich vergessen. Nina von der Uni Regensburg wurde auf dem Campus von Kevin angesprochen, einem Deutsch-lernenden Chinesen, der bald bei BMW hier in Peking ein Praktikum macht. Mit ihm gingen wir Mittagessen und werden morgen zusammen mit ihm und einem Haufen seiner Freunde ein wenig in den Bergen in der Nähe von Peking wandern gehen. Ich freu mich auf richtige Natur um mich herum!
Wir sind anscheinend nicht die einzigen, die momentan eher ruhig machen...

Gute Nacht an alle! :)

Samstag, 6. September 2014

Einzug in die Uni und 40 Flaschen Mött

Moin allerseits!

Ich liege gerade auf dem Bett meines neuen Domizils an der Li Gong Dachüe, also an der Uni – weiß getünchte Räume, 4m Deckenhöhe, chinesischer Altbau. Was sich dabei eigentlich ganz ordentlich anhört, ist in höchstem Maße spartanisch: 1 Appartment bestehend aus einem Vorraum, einem Bad und 3 Zimmern a 15qm wird von insgesamt 6 Kerlen bewohnt. AC gibt’s, aber sie geht nicht an. Die Matratzen sehen auf den ersten Blick einladend aus – lang genug, ziemlich breit, ziemlich dick. Wenn man sich drauf setzt, kommt aber die Überraschung: Irgendein Intelligenzbolzen hat die Matratzen als eine Art Sandwich entworfen, so dass jeweils 2 wirklich harte Platten das weiche Innere begrenzen. Es gab weder Decken noch Kissen noch Bettwäsche, wobei Decken momentan noch gar nicht nötig sind. Nachdem ich am Donnerstag also mit dem Fahrrad auf den Campus gefahren bin, war die Beschaffung entsprechender Utensilien die erste Amtshandlung von meinem Zimmerkollegen Max und mir. Dabei kann man nicht einfach zu einer Ausgabestelle gehen und voilá, da hat man sein Zeug. Der Campus des BIT ist wie eine eigene kleine Stadt mit mehreren Supermärkten, „Dinning halls“ [sic!] genannten Mensen in denen man bedient wird, Banken, KTV-Buden (Karaoke), und so viele Menschen wohnen hier auch: Die chinesischen Studenten sind zu sechst auf den Zimmern, auf denen wir zu zweit sind. Ein Appartment wird also von 18 Jungs bewohnt.

Wir also losgestiefelt zu einem der vielen Supermärkte, wo in einem Hinterzimmerchen ein zusätzlicher Krimskramsladen untergebracht ist. Hier kann man von Adiletten (sicher original) über „Versage“ [sic] -T-Shirts (sicher original) und Blumen bis hin zu eben besagter Bettwäsche alles kaufen, und das auf 3qm Ladenfläche. Bzw. fast: Die Bettwäsche inkludiert Kopfkissen- und Deckenbezug, aber noch kein Betttuch. Betttuch? Ne, hätte sie nicht. Sie hat dann nach unserem „Schnittmuster“ aus Stoff, den sie so da hatte (Wahrscheinlich für Gardinen und ähnliches) Bettlaken genäht. Jetzt schläft Max auf einem „Hermes – Paris“-Baumwolllaken (sicher original) und ich auf rosa-violetten Rosen. Passt wunderbar.

Weitere Formalitäten mussten bei der „Verwaltung“ (Summer, ein wahnsinnig nettes Mädel in einem Hinterzimmer irgendwo im Erdgeschoss) erledigt werden, wie die Registrierung, die Bezahlung dieser Registrierung, die Bezahlung des Zimmers für die nächsten 4 Monate (5400 RMB, ziemlich genau 675€, also ca 170€ pro Monat - da kann sich die Maxvorstadt mal ein Beispiel dran nehmen!) und die Auswahl möglicher Kurse, die übrigens nicht vor dem 22.9. losgehen...

Was uns dabei ein voriger Austauschstudent sagte, scheint sich zu bewahrheiten: Es geht hier drunter und drüber, alles ganz entspannt, alles ganz locker und man kann über alles reden und alles regeln – Guang Chi eben.

Mein Rucksack war noch im Hutong in Gulou, der musste abgeholt werden. Die Gelegenheit nutzten wir und drehten noch eine Runde durch meinen alten Kiez; ich fühlte mich erstaunlich zuhause hier. Ein Bierchen im Sonnenuntergang auf einer Dachterrasse über den Hutongs zwischen Trommel- und Glockenturm läutete den Abend ein, Dumplings bei Mr Shi (ein letztes Mal!!) waren mal wieder ein wirklich köstliches Abendessen und danach ging’s zurück ins BIT draußen an der Weigongcun in Haidian. Andere Austauschstudenten waren auch da, die Stimmung war gut, aber da Max noch ein wenig vom Jetlag geplagt wurde, war an diesem Abend relativ schnell Ruhe.

Das sollte sich tagsdrauf, Freitag, gehörig ändern. Aber der Reihe nach:
Max, Tobi (der dritte von den TUM-BWLern am BIT) und ich hatten uns für 9 Uhr verabredet, um die letzten administrativen Dinge zu erledigen und dann zur Verbotenen Stadt aufzubrechen. Das dauert mit der U-Bahn knapp über eine halbe Stunde, und da wir uns einen Wochentag ausgesucht hatten und noch dazu relativ früh unterwegs waren, hielten sich die Menschenmassen im Palast in Grenzen. Nach ein klein wenig Diskussion hatten wir den Ticketverkäufer überzeugt, dass wir wirklich Austauschstudenten seien und deshalb nur 20 Kuai statt 60 zu zahlen hätten. Er sah’s nicht wirklich ein, stimmte aber schlussendlich zu.

Generell kommt man mit ruhiger, charmanter und höflicher aber immer bestimmter Argumentation wirklich weit: Dabei ist ganz egal, ob das nun beim Handeln in einer Silkstreet ist, wo immer noch 10 Kuai mehr herausschlagbar sind, oder bei einem für die Allgemeinheit momentan gesperrten U-Bahn-Ausgang, der aber viel bequemer liegt und man deshalb die Securitydame überzeugt, einen ganz kurz durchzulassen, sieht ja keiner; oder eben bei besagtem reduzierten Preis, auf den wir ohne gültigen chinesischen Studentenausweis eigentlich noch überhaupt keinen Anspruch haben. Sowas macht Spaß!       

Der Eingang zur Verbotenen Stadt, also das Tor des Himmlischen Friedens, ist gar nicht der Eingang, sondern lediglich ein Tor, was einen von vielen Vorplätzen eingrenzt. Schon im Anmarsch auf die Verbotene Stadt werden einem die unglaublichen Dimensionen dieses Palastes bewusst, was sich noch potenziert, wenn man auf den großen Zeremonialplatz tritt, wo früher 20 000 Beamten in einem Farbenrausch ihren Kotau vor dem Kaiser vollzogen haben. Ein Reiseführer meinte dazu, dass angesichts der Dimensionen dieses Platzes und dementsprechend dieser Zeremonien das Ritual perfekt geeignet gewesen sein muss, um beide Parteien – Kaiser und Beamte – von ihrer zentralen Wichtigkeit bezüglich der Beherrschung und Verwaltung der Welt gegenüber dem Himmel zu überzeugen.

Unfassbare Dimensionen - die Halle der Höchsten Harmonie mit dem von Pekingern "Frittierpfanne" getauften Zeremonieplatz davor

Ich kann die Eindrücke leider nur ungenügend wiedergeben – ihr müsst selber hin und es Euch anschauen. Versailles ist Prunk und riesengroß, aber diese perfekte Harmonie, mit der dieser Palast gebaut wurde, hat eine ganz eigene Atmosphäre. Gerade auch in den nördlichen Bauten, also dort, wo der Kaiser und seine Konkubinen wohnten, wird dann die immer noch sehr repräsentative Architektur von kleinen Pavillions und Innenhöfen abgelöst, die fast eine Erholung sind im Gegensatz zu den monumentalen Ausmaßen der südlich gelegenen Zeremonialplätze.
Im Lustgarten der Konkubinen

Danach waren wir alle drei jedenfalls ziemlich im Eimer, man kann das nicht anders sagen. Die Eindrücke sind einfach ein wenig überwältigend.

Was hilft da? Erstmal ein Eis um den Zuckerlevel wieder auf erträgliche Höhen zu bringen (obgleich dies in Peking selten das Problem ist, eigentlich), genügend Wasser trinken, und dann schnellstmöglich eine nette Pinte finden, um den gemütlichen, geruhsamen Abend einzuläuten. Wir wurden in Houhai fündig, einem der „Drei Hinteren Seen“, die malerisch nordöstlich von der Verbotenen Stadt liegen, von Weiden umsäumt sind und wo Dachterassen einen schönen Blick auf die über den Hutongs untergehende Sonne bieten.
Abendliches Hou Hai

Zurück in der Uni trafen wir auf eine Riesencrew deutscher Austauschstudenten, größtenteils Regensburg, München, Darmstadt sowie ein Aachener. Die wollten noch ein gemütliches Bierchen trinken („komm, ne Stunde geht noch. Will auch früh ins Bett), und so machten wir uns auf den Weg. Dabei stellte sich die Regelung der Pforte heraus: Vor 12 muss man draußen sein – sonst kommt man nicht mehr raus, aber man kommt die ganze Nacht rein. In einer Kneipe mit Partymucke schon auf Anschlag gedreht bekam man das Tsingtao (extrem beliebtes hiesiges Bier einer Deutschen während der Kolonialzeit in Qingdao gegründeten Brauerei, die als einzige Brauerei in China nach dem deutschen Reinheitsgebot braut) nur im Fass, aber da wir 15 Mann waren, stellte dies auch kein Problem dar. Wenig später wurden wir von Klaus, der sich als ein ehemaliger Seminarkollege herausstellte, in Taxis verladen und zum „Liv-Club“ geordert.

Das war was.

Liv kommt von „Live in Vacuum“, keine Ahnung auf was sich das beziehen soll. Auf jeden Fall habe ich so einen Laden noch nie gesehen. Man tritt durch einen Seiteneingang und es öffnet sich ein Riesensaal (ca. 60 x 100m) gefüllt vor allem mit dicken weißen und schwarzen Ledersofas, die um große Sofatische gruppiert sind. Die Gruppen an den Rändern sind auf immer höher ansteigenden Plattformen, so dass der Eindruck einer Arena entsteht. Auf den Tischen stehen vielstöckige Etagieren, die in allen Farben und Formen blinken und sich drehen, über 2 Meter hoch sind und gefüllt werden mit kunstvoll aufgeschnittenem Obst, Schnaps irgendeiner teuren Variation und Schampus. Ein bescheidener chinesischer Zeitgenosse hatte sich seine Etagiere ausschließlich mit 40 Flaschen Mött&Schandon bestücken lassen. Ich bewunderte seine Trinkfestigkeit, da er da nur mit drei ziemlich gelangweilt aussehenden, aber dafür umso aufgetakelteren Damen saß, die ein wenig an ihrem Champagner-Glas nippten. Jedenfalls schien das Vergnügen von kurzer Dauer zu sein, der nächste Gast hatte einen Tisch gebucht: Die Etagiere wurde durch eine andere, anders bestückte ersetzt und der arme Kerl musste mitsamt seinen Gespielinnen abziehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Dieses Schauspiel wiederholte sich mehrmals, fast wie ein Kreislauf des Lebens: Chinesen (ausschließlich Chinesen hatten Tische gebucht, Westler oder Schwarze feierten zwar viel ausgelassener, aber auf eher auf der klitzekleinen Tanzfläche vor der riesigen Bühne des DJs) ließen sich zum Beginn ihres Abends an ihren wirklich gut aussehenden Tischen nieder, prosteten sich zu und lehnten mackerhaft in ihren Sofaecken, während die gesamte Gruppierung durch einen hydraulischen Mechanismus um ca. einen Meter angehoben wurde – Sinnbild für die steigende Kraft der Jugend. Auf der Höhe des Lebens thronten sie über den gemeinen Massen, luden gönnerhaft den unten heraufblickenden Pöbel auf das ein oder andere Getränk ein (Priorität dabei eindeutig auf rot- oder blondhaarige, langbeinige und möglichst hellhäutige Mädels) und wurden sich ihrer herausragenden Stellung und ihres Erfolgs wirklich bewusst. Die schöne Phase war, oh Graus, jedoch nur von kurzer Dauer. Allzu früh eilten die dienstfertigen Kellner herbei, und senkten die Plattform herab und mit der Plattform fielen auch die Mundwinkel der gerade noch auftrumpfenden Herren der Schöpfung und der schöne Schein war vorbei.

Zum Rest: Eine unglaubliche Pracht, alles NVV (nur vom Veinsten). Die Musikanlage war der Wahnsinn – das hat wirklich Spaß gemacht, auch wenn man das Gebrüll des Gesprächspartners auf 2cm nicht verstehen konnte: die Musik war gut.

Ich weiß nicht, ob man mir das angemerkt hat, aber so ganz mein Fall war dieser Club nicht.

Wir zogen weiter, aber bei mir war der Ofen ziemlich bald aus. Nachts fährt keine U-Bahn, also kletterte ich nach einer halbstündigen Taxifahrt (ca. 7€) über das Südtor auf den Unicampus und fiel nach einer sehr erfrischenden Dusche todmüde ins Bett – diesmal dank Mückengitter komplett ohne Bettgenossen.


Ein sehr interessanter und aufgrund der Austauschleute auch wirklich lustiger, wenn auch manchmal ziemlich bizarrer Abend!

Der "Shanghai-Bikini" - oft gesehen, stets bewundert