Dienstag, 30. September 2014

La revanche du Professeur L.

Tja, lange ist's her, dass ich mich gemeldet habe - hier geht jetzt langsam so richtig das Leben los.

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an meine Lobeshymnen über Professor L., unseren wissenschaftlich hoch angesehenen Dozenten.

Nun, Prof. L. hatte sicherlich meine Neugierde geweckt. Da in der 3. Septemberwoche eine Prüfung sowie die Präsentation unseres Seminar-Papers anstand, mussten wir sogar ein wenig arbeiten. Davor wollte ich jedoch einmal recherchieren, was denn die bisherigen Forschungsschwerpunkte unseres akademischen Schwergewichtes waren, der von sich behauptete, Erfahrung an so prestigeträchtigen Institutionen wie der ESCP in Paris gesammelt zu haben. Die Great Firewall of China per VPN untertunnelt, die Tante Google befragt - und siehe da, zugeschlagen. L. sei ein kanadischer Soziologe Baujahr 1945 - halt, das kann er nicht sein, das macht ja keinen Sinn; weder Kanada noch Geburt im Jahr 1945. Sonst keinerlei Funde, NICHTS. Auch Google Scholar, eine sehr gute Datenbank für alle Recherchen akademischer Art, brachte keinerlei Ergebnisse zutage. Keine Habilitation, keine Doktorarbeit, keine Publikation, ja nicht einmal eine Nennung als Ko-Autor war zu finden. Aber über seine Arbeit an der ESCP müsste sich doch was finden lassen? Und siehe da, wir wurden fündig: Er war als Alumni in einer Datenbank eingetragen.
Mein Respekt für den kleinen Mann war dank der nebulösen Gestaltung seiner Vorlesung von Anfang gering gewesen und ließ nach diesen Entdeckungen noch stärker nach. Ich war froh, als wir endlich unser "Paper" (eine Analyse dreier chinesischer Luxusmarken) präsentieren konnten und die "Prüfung" zu schreiben war.
Diese auf 2 DIN A3 Blättern gedruckte Klausur  hatte es in sich und hieß bald nur noch "Prof. L.'s Rache" - nicht wegen des so schweren Inhalts der Vorlesung, den ich ja schon beschrieben habe, sondern wegen der Umstände: zum einen bekamen wir keine Folien zum Lernen, sondern lediglich die Stichpunkte auf den Folien, in furchtbarer Formatierung direkt in ein Word kopiert und ohne alle Grafiken und Zahlen, da unserem Professor hierfür das Copyright fehlte. Alles was wir hatten, waren unverständliche Stichpunkte, die sich auf nicht vorhandene Zahlen und Graphiken stützten.
Die Prüfung war Multiple Choice und die Fragen so nahe an Management-Konzepten der Luxusindustrie wie Peking an guter, frischer Alpenluft: "Which boulevard of Paris is famous of concentration for [sic] most luxury shops?" mit vier Auswahlmöglichkeiten. Wenn ich in der Prüfungsvorbereitung versuche die relevanten Konzepte und Inhalte einer Veranstaltung zu verstehen, dann wären solcherlei Informationen als prüfungsirrelevant in jedem Fall durch's Raster gefallen. Das würde ein deutscher Prof einfach nicht abfragen. Glücklicherweise hatten ein paar frühere Besuche in Paris (wenn auch weniger in Luxus-Vierteln) ein paar Spuren hinterlassen. Unsere chinesischen Kommilitonen hatten jedoch keine Ahnung, weder vom Stoff, noch wieso der abgefragte Stoff vorlesungs-, geschweige denn prüfungsrelevant sein soll. Es geht um Managementmethoden spezifisch für die Luxusindustrie, nicht um eine Stadtführung durch Paris. Ähnliche Fragen gab's zuhauf und führten dazu, dass vor allem die Chinesen große Probleme mit einer nicht fair gestellten, sinnlosen Prüfung bekamen. Erste Erfahrung mit der Lehre an chinesischen Unis - ich lobe mir die TUM.

Dies sollte sich in der zweiten Veranstaltung - Intercultural Management mit dem teils deutschsprachigen, aber chinesischen Prof. M - bestätigen. Es ging damit los, dass die Führer der einzelnen Nationen verglichen wurden: "China - good leader. Germany - Merkel - good leader. Japan has bad leader. Taiwan has bad leader." Weiter ging das lustige Nachbarnbashing: "China so strong because of political and economical system. Look at Taiwan, look at Hong Kong, look at Japan - too much democracy, chaos. But is impossible to have efficient economy in democracy: Tell me - how can the government work effectively, if people can interfere all the time?"
Eine so offenherzige Verteidigung einer Diktatur hatte niemand erwartet. Eine ernsthafte Diskussion zu diesem Thema schien weder erwünscht noch zielführend noch besonders intelligent. Wir verzichteten und machten uns (zusammen mit unseren Kommilitonen aus Südkorea, Taiwan, Hong Kong und Japan, die allesamt mit dabei saßen) so unsere eigenen Gedanken.

Parallel begann der Sprachunterricht endlich wieder. Diesmal selbstverständlich weniger intensiv, da nicht mehr 20h pro Woche und nicht mehr 1-zu-1, aber dafür mit Freunden. Im Chor lernen wir momentan Sätze auswendig, die uns in Situationen des täglichen Lebens aus der Patsche helfen sollen. Vom Lernen der dahinterstehenden Grammatik werden wir aktiv abgebracht, das Auswendiglernen sei am Wichtigsten - mir scheint, ein sehr chinesischer Ansatz.

U-Bahn in Peking. Die Gleise sind wegen der Menschenmassen mit Glastüren (rechts im Bild) abgetrennt, und vor jeder Glastür wird zivilisiert in zwei Schlangen angestanden, jedenfalls bis die Türen aufgehen - dann geht's zu wie beim Einlass auf der Wiesn. Der Verantwortungs- bzw. Aufgabenbereich der Ordner ist mir nicht klar und jedenfalls sehr gering.


Am Wochenende nach der Prüfung machten wir uns auf den Weg nach Shanhai Guan im Zug K27 Richtung Osten zum Meer. Der Zug fährt um vier in der Früh los und kommt vier Stunden später in Shanhai Guan, einem kleinen Küstenort wieder an. Wichtig an diesem Ort ist, das hier die Mauer losgeht. Die Zugfahrt war selbst interessant, da dies das erste Mal war, dass wir ausserhalb Pekings unterwegs sind. Peking liegt ja am Fuß von Bergen im Schwemmland eines Flusses, und in diesem Schwemmland fuhren wir bis zum Meer. Das Resultat ist platt wie ein Pfannkuchen und wird größtenteils landwirtschaftlich, nämlich für den Anbau von Mais, der mittlerweile auch hier kurz vor der Ernte steht ("Seid ihr Euch sicher, dass das Mais ist? Für mich sieht das wirklich wie Reis aus!" - ein offensichtlich stadtnah aufgewachsener Kommilitone) genutzt. Für Reis ist es hier oben im Winter zu kalt und zu trocken. Sibirisch-kontinentales Klima halt, wir werden im Winter noch Freude haben.
Angekommen schlugen wir uns vom Bahnhof durch viele Schlepper bis zum Bus Nr 25 durch, der uns für ein viertel Yuan zum Meer brachte. Hier sieht man den Anfang der Großen Mauer, was wir uns spektakulär vorstellten. Unser Plan war, diesem ca. 8-10km inlands zu folgen. Es war leider relativ enttäuschend, aber wir waren am Meer, die Luft war gut, das Wasser sehr klar und frisch, lediglich in der Ferne stiegen die Kräne eines Containerhafens in die Höhe.
Bromance auf der Mauer

Auf der anderen Seite am Strand fand sich ein Tempel, der ins Wasser reichte, und sehr malerisch im Meer lag. Auf dem Weg dorthin stand eine riesige Trommel, die alle paar Minuten geschlagen wurde, die Schläge hallten bis zu uns hinüber - leider von jemanden, der mit dem Wort "Rythmus" anscheinend nicht wirklich viel anfangen konnte.
Tempel - Meer - Strand - schön

Davor musste ich allerdings eine Runde schwimmen gehen, das wollte ich mir nicht nehmen lassen. Flugs die Badebuxe angezogen, reingesprungen und ein paar Züge durch chinesisches Meer gemacht, herrlich war das.
Auf dem Rückweg hab ich mir bei einem Beinschlag leider den großen Zeh an einem mit Muscheln bewachsenen Stein aufgeschnitten der von außerhalb des Wassers nicht sichtbar war. Das blutete relativ spektakulär. Da wir ja in einem öffentlichen "Scenic Spot" waren, kamen sofort Ordner mit Verbandszeug angerannt und kümmerten sich um mich. Fachkundig wurde jede Bewegung der guten Dame von den ca. 30 Gaffern, die sich um mich gebildet hatten, begutachtet und kommentiert. Nachdem ich sie mit Trinkwasser aus meiner Flasche ausgewaschen hatte, kam Jod in großen Mengen auf die Wunde, das war mir am wichtigsten nach Ann Sophie's Eskapaden letztes Jahr. Mittels Pflaster und Mullbinde konnte ich mir sogar einen provisorischen Druckverband basteln - ich war wieder einsatzbereit und alle Chinesen enttäuscht, dass das Spektakel schon vorbei war.

Im Tempel haben wir in dem Pavillon, den man auf dem Bild ganz links sehen kann, Picknick gemacht, und die frische Luft genossen - eine Riesenerholung zum Staub und Smog von Peking.

Zurück in Shanhai Guan wollten wir doch auf jeden Fall noch auf der Mauer wandern, wenigstens eine kleine Bergtour machen. Es fand sich nach einer kleinen Fahrt im Tuktuk ein restauriertes Stück, zu dem man ein wenig Eintritt zahlen musste. Die Mauer kletterte steil auf den nächsten Berg, da sie ja stets über die Bergwipfel führt und niemals durchs Tal. Wir sind hinterher, kletterten über Türme und über ein kleines Mauerchen, das das Ende des restaurierten Teils anzeigte. Hier war Schluss und man war im Teil der Mauer, der sich seit längerer Zeit selbst überlassen wird und dementsprechend nur wenig mehr als ein Geröllhaufen ist. Viele Häuser der Umgebung bestehen teilweise aus alten Mauersteinen. Der Ausblick auf das Meer und die unter uns liegende Mauer war beeindruckend - vor allem im Bewusstsein, dass sich die Mauer hinter dem Hügel tausende Kilometer weiter durchs Land schlängelt.

Ich hab den Herrn gefragt, ob er haftpflichtversichert ist - er hat mich irgendwie nicht verstanden


Christina auf der Mauer. Links oben ein Wachturm
Blick vom unrestaurierten Teil auf den Wachturm und die Mauer

Gegen sechs fuhr unser Zug zurück nach Peking, die Goldene Woche kündigte sich an, und mit ihr ein CHAOS am Bahnhof. Chinesen haben genau 5 Tage Ferien in ihrem Arbeitsjahr, aber diese 5 Tage haben alle Chinesen gemeinsam um den Chinesischen Nationalfeiertag herum. Das Resultat ist eine chinesische Verkehrsapokalypse: Alle Chinesen wollen nach Peking; alle 34 Millionen Pekinesen wollen ein letztes Mal Sonne vor dem langen Winter haben und reisen nach Süden. Laut Gilbert treffen sich alle Pekinger Expats in Thailand am Strand, weshalb er schon lange nicht mehr irgendwo hinfährt, außer ins verlassene Pekinger Hinterland um dort ein wenig wandern zu gehen.

Max und ich hatten andere Pläne.

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