Samstag, 31. März 2012

Miniregenzeit


Gestern hat es geregnet!

Wurde auch Zeit, die Bezirksregierung in Oromia hatte schon einen Dürrekrisenstab einberufen.

Wobei „regnen“ leicht untertrieben wäre. Wasserfallartig stürzte sich der tropische Sturm auf Addis, die Kanalisation, die monatelang nur trockenen Straßenmüll einlagerte, war selbstverständlich hoffnungslos überfordert. Kniehoch stand das Wasser in den Straßen an einigen Stellen, an Unterführungen oder ungünstigen Stellen bis zur Hüfte. Die Straßen glichen Bächen. Da aber nur etwa ¼ der Straßen asphaltiert ist – naja, ihr könnt es Euch vorstellen.
So freuten sich alle, deren 4x4 einen Schnorchel hat. Jetzt weiß ich auch, wofür das Ding gut ist! Der Rest fluchte und hoffte, dass der Motor noch nicht ganz absäuft – was bei einigen offenkundlich vergeblich war.

Jens, ein ehemaliger Lateinlehrer von Anna ist gerade bei uns und macht eine Fortbildung in Sachen pädagogische Methodik für unsere Lehrer. Bitter nötig.
Anna und Jens hatten das Timing so gut hinbekommen, dass sie den Workshop verließen, als der Wolkenbruch anfing, und zuhause ankamen, als er aufhörte.
Man muss dazu wissen, dass Anna 3 Monate im Kongo war, während der Regenzeit. Sie hat nie eine Jacke gebracht.
Nun regnet es einmal in Addis, dazu auch noch in der Trockenzeit und voilá, Jens und Anna stapfen wie 2 begossene Pudel schimpfend wie Rohrspatzen und tropfend wie Schwämme in die Wohnung.

Abends dann ein kleiner Ausflug ins Kino. „Wrath of the Titans“ in 3D. Kein sonderliches cineastisches Erlebnis.
Der Film näherte sich dem Ende, als ich etwas Nasses auf meiner Stirn spürte. Zuerst dachte ich, mich hätte jemand angespuckt, aber auf meiner 3D-Brille sah es eher aus wie Wasser. Dachte mir nichts bei und schaute weiter.
Das Gleiche passierte nochmal und dann wurde ich stutzig. Amu und Lawrence hatten auch etwas gespürt und hinter uns saß gar niemand, so dass uns niemand hätte anspucken können.

Ich hörte es aber tropfen, schaute nach oben und sah einen kleinen Wasserfall aus der Decke kommen, der ungeniert mitten in den Kinosaal auf die Polster fiel, was aber niemanden groß störte.


Miniregenzeit in Addis.

Freitag, 30. März 2012

Das Rad dreht sich weiter


Oona arbeitet schon wieder und meine Antibiotika neigen sich auch dem Ende zu. Dieses Kapitel scheint abgeschlossen.

Nein, nicht ganz. Amanuel und Saba haben sich auf einem Wochenendtrip nach Debre Zeyt einen Magenparasiten geholt und frühstücken jetzt auch fleißig Pillen. Desweiteren haben alle einen leichten Schnupfen – auch in Äthiopien scheint es Erkältungswellen zu geben. Selbst der Schuhputzer muss bei der Arbeit niesen, aber macht nichts, wird ja alles wegpoliert.

Die Arbeit geht mit schnellen Schritten voran:
  • ·         Ein geeigneter Ort für das Business Center scheint gefunden, das Management in Deutschland sowie unsere Partnerorganisation werden die endgültige Entscheidung nächste Woche treffen. Wir gehen aller Voraussicht nach in die Universität für Verwaltungswissenschaften in Äthiopien (Ethiopian Civil Service University, ECSU), die einen exzellenten Ruf hat, exzellent gelegen ist sowie ein exzellentes Angebot gemacht hat.
    Bei soviel Exzellenz könnte das direkt die TU München sein.  -.-

  • ·          Die Investitionsrechnung sowie die Finanzplanung für den laufenden Betrieb sind so gut wie abgeschlossen. Die Punkte die vom Ort des Business Center abhängig sind müssen halt noch mit aufgenommen werden.

  • ·         Danach folgt eine Phase, in der der Business Plan von oben bis unten durchgecheckt wird. Wenn alles in Ordnung ist und alle Kommentare eingearbeitet sind, wird auch dieser abgesegnet und dann startet Mitte April (so der Plan) die Umsetzungsphase. Die kann ich leider nur 2 Wochen begleiten, aber das ist besser als nichts. Möge meine Nachfolgerin viel Spaß dabei haben!

Donnerstag, 29. März 2012

Liebevolle kleine WG-Mitbewohner, sehr kontaktfreudig


Zuerst ein Jucken hier, dann dort, dann vorne rechts, dann an der ich-komm-nicht-hin-Stelle am Rücken, kleine, rote Quaddeln, immer so drei bis vier in engem Umkreis.

Ich denk mir, was juckt denn das; Anna hast du das a... – da seh’ ich schon, wie sich das arme Mädel im Nacken kratzt, kurz darauf in der Kniekehle und am Knöchel.

Wir haben Flöhe.

Der Missetäter ist wahrscheinlich Vermieterin’s Katze, das räudige Vieh schreit wie ein hungriges Baby (kein Scherz, ist wirklich gruselig) und streicht leider hin und wieder durch das Haus wenn wir es nicht schnell genug hinausgescheucht haben. Alternativ auch die Massen an Mitfahrern in den Minibussen, wo sich enger Hautkontakt nicht vermeiden lässt.
Nichtsdestotrotz, sie sind jetzt da, unsere kleinen Freunde, und da wir hier nicht mal eben unsere gesamte Wäsche samt Decken in der Waschmaschine kochen können müssen wir wahrscheinlich ein bißchen kreativer werden.

Eure Vorschläge sind gefragt! 

Mittwoch, 28. März 2012

Haute cuisine aus der Schweiz


Mittlerweile arbeite ich fast täglich bei Selam in deren Technical und Vocational College oben in den Bergen. Mittags heizen wir mit Ato Zenebe, dem General Manager von Selam, in seinem Biest von brandneuem, weißen 4x4 (Toyota LandCruiser mit 2xx PS, SEHR empfehlenswert) den direkten, ziemlich steilen Weg durch die Wellblechhütten über die staubigen und sehr steinigen Pisten von Yeka in das Selam Children Village. Yeka ist der Hügel an dem auch Selam klebt und gleichzeitig der Namensgeber des Kebeles. Selam bezieht alle seine 5000 Schüler und Azubis aus diesem Kebele.

Vor dem Toyota versucht noch eine Handvoll Hühner panisch flatternd auf die andere Straßenseite zu kommen, drei Esel tragen gleichmütig jeder einen Meter Mehlsäcke auf ihrem Rücken und scheren sich einen Dreck um das hupende weiße Ungeheuer mit seinem brüllendem Motor hinter ihnen, dessen Kuhfänger das ausladende Hinterteil des letzten der drei Zeitgenossen stupst.
An der Straßenseite verkaufen hutzelige Frauen mit lückenhafter Zahnausstattung auf den shamas, den weißen Baumwolltüchern die alle Frauen hier tragen, Tomaten, Kartoffeln, Salat, Zwiebeln oder Ingwer. In einer Lücke zwischen zwei Wellblechhütten fliegt eine zur Unkenntlichkeit getretene Pepsidose ins Tor, dem Eingang zu einer der beiden Wellblechhütten. Der resultierende Fluch aus dem Inneren der Hütte geht unter im hohen „Messi! GOOOOOOOOOOL! ManU!“ – Geschrei der begeisterten Teamkameraden. Als sie das Auto sehen, wird Messi schlagartig uninteressant und laute „Ferenji!“ – Rufe begleiten uns die Straße hinunter während uns die Meute hinterher rennt.

Wir fahren ein paar Meter über Asphalt um dann in das Children Village einzubiegen. Hier gibt es zwei Restaurants, ein internationales und ein nationales, in dem die Koch- und Restaurant-Azubis ihren Praxisteil ableisten. Alles was hier verkocht wird (mit Ausnahme der Nudeln und des Reis, das Zeug wird eingekauft) wurde von Selam gezogen oder gezüchtet. Das Essen ist so frisch, weil es tagesaktuell gepflückt wird und es schmeckt wahnsinnig gut. Im Übrigen gibt es ein 5-Gänge-Menü für 75 Birr (3 Euro), ein Getränk sowieso ein Kaffee inbegriffen.
Gewinn machen sie keinen, aber es ist ja ein Lehrbetrieb und so wird das Betriebsergebnis des Restaurants als „Lehrausgabe“ verbucht.

Ein Höhepunkt jeden Tages!

Nachher ist ein Mittagsschläfchen jedoch Pflicht.

Dienstag, 27. März 2012

Kurzes Gesundheitsupdate sowie Bauchpinselei


Die Antibiotika schlagen an, sowohl bei Oona, als auch bei mir. Oona stapft schon wieder herum, merkt aber trotzdem noch deutlich, dass sie Typhus hat und es nicht übertreiben darf. Sie sieht aber nicht mehr aus wie das zitternde Gespenst, dass wir in den Emergency Room des Korean Hospitals geschleppt haben.
Mein Darm beruhigt sich langsam von den Attacken der letzten Wochen und ich merke die Kraft, die mich diese Wochen gekostet haben. Vielleicht sind das aber auch die Nebeneffekte der Antibiotika. Ich wiege im Moment 68 Kilogramm bei 1,88m Körpergröße – vor meinem Abflug nach Addis waren das ohne Klamotten bei gleicher Körpergröße 76 Kilogramm.

Die Arbeit geht weiter, und das Leben macht weiterhin ungebrochen Spaß. Nur ein bißchen Erholung würden mir gut tun.

Ihr erinnert Euch an Emanuel, den Pfarrer meines ersten Wochenendes? Falls nein, siehe „Service und andere Intensitäten“.
Dieser hat meine Photos auf seine Webseite gesetzt, Werbeposter draus gemacht und bezahlt mir nun Flüge, Futter, Hotels und sonstige Spesen um ein Wochenende nach Nairobi, Kenia zu fliegen und dort als sein persönlicher Photograph einer Riesen-Spiritual-Konferenz beizuwohnen.

Wenn ich sage, dass ich gebauchpinselt bin, ist das vielleicht ein wenig untertrieben.

Montag, 26. März 2012

Tropische Spezialitäten der anderen Art


Das ich seit einigen Wochen mit malader Verdauung zu kämpfen habe, ist ja nichts Neues.

Nun kamen Anna und ich gestern Abend vom Springreitturnier zurück und kauften noch ein wenig bei Friendship (Supermarkt in der Nähe) ein. Wir bekamen einen Anruf von Anna's finnischer Freundin Oona, sie habe seit einer halben Stunde Fieber, 38°C im Moment. Naja, Grippe kann schon mal vorkommen, denken wir uns, kaufen weiter ein und machen uns auf den Weg nach Hause, insgesamt ca.10 Minuten Fußweg.

Ungefähr auf der Hälfte des Weges der zweite Anruf: Oona’s Fieber steigt auf 38,8°C – das Fieber beschleunigt sich und wir unseren Heimweg auch.

Als wir bei ihr am Bett stehen, ist es auf 39.3°C in insgesamt 2 Stunden gestiegen, gemessen unter der Achsel. Es geht ihr gar nicht gut, sie friert, dabei sind es 25°C und sie ist dick eingepackt in Decken. Ihr ist speiübel und wir bekommen Schiss.
Ein Anruf per Skype bei einem befreundeten Arzt in Deutschland später (es lebe das Internet!) und wir wissen schon mal, dass es wahrscheinlich keine Meningitis ist. Trotzdem: Krankenhaus, so seine dringende Empfehlung.

Das „Korean Hospital“ ist ein Geschenk von Südkorea an Äthiopien als Dank für die Entsendung 5000 äthiopischer Infanteristen im Koreakrieg. Es ist ein Privatkrankenhaus (es gibt die staatsfinanzierten „Black Line Hospitals“ in die jeder gehen kann) und der Präsident selbst kommt hierher, um sich operieren zu lassen, also ein „rich people hospital“. Man bezahlt de facto in dem Moment, in dem man es betritt. Während man sich dort aufhält sammelt man Rechnungen der einzelnen Abteilungen für die empfangenen Leistungen, diese darf man am Ausgang direkt begleichen – 110 Birr für die Registrierung, 160 für das erste Gespräch mit dem Doktor, 240 für ein kleines Blutbild plus Stuhl- und Urinprobe und so weiter und so fort.

Mit anderen Worten: geschätzte 98% Minimum der vergleichsweise wohlhabenden Bevölkerung von Addis kann sich dieses Krankenhaus nicht leisten.

Nun ist mir klar, dass ein europäischer, gar deutscher Zustand in einem öffentlichen äthiopischen Krankenhaus nicht erreicht wegen kann. Aber was nun kam, habe ich in einer Privatklinik mit europäischer Klinikleitung und koreanischem Vizechef nicht erwartet.

In der Luft liegt ein schwerer, süßlicher Geruch, wie auf einem Obstmarkt nach einem langen Tag voller Obstfliegen im Sommer. Interessanter Kontrast, da ich eigentlich den beißenden Geruch von Desinfektionsmitteln erwarte.
Der Boden ist übersäht mit den Überbleibseln dessen, was sich Leute tagsüber als Picknick für die Wartezeit mitgenommen haben – und richtig, dezent nach Biomüll riechende und mit Fliegen besiedelte Essensreste stehen auf Tischen direkt vorm Labor.
An der Wand vor dem Labor blättert ein vergilbtes Blatt von der Wand: „How to desinfect your hands hygienically“. Blöd nur, dass in keinem Sanitärbereich Seife oder Desinfektionsmittel vorhanden sind. Auch sind entsprechende Badarmaturen und Handwaschbecken nicht in der Lage eine Verbesserung der Sauberkeit meiner Hände herstellen zu können.
Apropos Sanitärbereich: Im Klo der Damen sind 2 von 3 Aborten „out of order“  und deshalb verrammelt. Dies sind, wohlgemerkt, die Klos für den gesamten Wartebereich des Krankenhauses. Nun gut, kein Problem, denkt sich der geneigte Krankenhausbesucher – es gibt ja noch die eine offene. Tür aufgemacht, und ganz schnell wieder geschlossen: Der Boden ist vor Blut, verdrecktem Toilettenpapier und Exkrementen gar nicht mehr zu sehen, der Gestank unbeschreiblich. Nicht erwähnenswert ist, dass das Herrenklo keine wirkliche Verbesserung darstellte.
Der Zustand des Labors ist „spannend“, wenigstens die Nadeln sehen steril verpackt aus.

In diese Umgebung schleppen Kirubel (befreundeter Journalist der auch mit uns auf dem Mercato war), ein Freund von ihm, Anna und ich dieses zitternde, fiebernde Häuflein Elend, das mal Oona war. Wir sprechen uns gegenseitig bitter nötigen Mut zu – wie Oona sich fühlt, will ich gar nicht wissen.

Nach zwei Stunden Stolperei durch dieses albtraumartige Labyrinth sitzt Oona zusammen mit Kirubel im Behandlungsraum, der Arzt spricht in müdem Amharisch auf Kirubel ein und gibt ihm ein Rezept.

Oona hat Typhus.

Oona hat Typhus – hört sich dramatisch an, Anna und ich sind auch gebührend geschockt. Typhus ist hier aber so häufig, dass es keinen hinterm Ofen hervorholt und den Arzt schon gar nicht in Hysterie versetzt. Auch unsere äthiopischen Freunde sind jetzt nicht wirklich geschockt.

Eine halbe Stunde später hat Oona ein Schmerzmittel und die ersten Antibiotika intus und alle liegen im Bett.

Alle?

Nein, nicht alle.

Tief in den Bole Homes leuchtet noch ein Licht, gluckert noch ein Darm, rauscht noch eine Klospülung.

Diese Nacht schlafe ich etwa 1 ½ Stunden, den Rest sitze ich auf der Klobrille und übe mich im Hinternpinkeln, während sich das Toilettenpapier proportional zum Elektrolyt- und Flüssigkeitsgehalt meines Körpers langsam aber sicher dem Ende neigt.

Um 8 morgens holt mich Amanuel ab, völlig schlaff hänge ich in seinem Auto. Wir sind auf dem Weg zu seinem Hausarzt, dessen hygienische Bedingungen, wie ich erleichtert berichten darf, um einiges besser sind als die des Korean Hospitals. Der Arzt diagnostiziert drei Stunden später Salmonellen, die ich seit knapp vier Wochen mit mir rumtrage (ich berichtete - mehrfach).

Voll ausgestattet mit Antibiotika kann ich nun auch das Kapitel „Tropische Krankheiten“ – hoffentlich – abhaken.

Sonntag, 25. März 2012

Schömping


Die ersten Wolken ziehen auf! Seit Wochen warten die Menschen in Äthiopien auf die sogenannte „mini rain season“, eine Regenzeit in Kurzversion. Diese soll zwei bis drei Tage dauern und bringt den Bauern die entscheidende Menge Feuchtigkeit um ihre gesäte Ernte durchzubringen. Fällt die Miniregenzeit aus, fällt die Ernte aus.

Trotz der dunklen Vorboten am Himmel hatten Anna und ich ein Contract Taxi gemietet um im Frühtau zur italienischen Botschaft zu fahren. Dort würden wir zufällig ebendiesen Botschafter treffen, der uns daraufhin, dermaßen beeindruckt von uns beiden, zu seinen persönlichen Attachées machen wollte – Limousineservice mit „Corps Diplomatique“-Kennzeichen,  Diplomatenstatus, Wohnung in der Residenz des Botschafters und ein fürstliches monatliches Taschengeld inklusive.

So mein Traum.

Doch nein, wir waren lediglich dort um uns ein Springreitturnier (Jumping Competition) anzuschauen. Die deutsche (selbstverständlich), die englische, die französische und die italienische Botschaft haben nämlich ihre eigenen Ställe, die regelmäßig Dressur- und Springturniere gegeneinander abhalten. Addis hat auch noch 2 Reitvereine, die sind auch noch von der Partie. Um die Pferde zu diesem Zwecke von einer Botschaft in die andere zu bekommen, werden sie nicht etwa in einen Hänger verladen, nein nein. Warum etwas auf Räder stellen, wenn es sich doch selber fortbewegen kann?

So sieht man vor und nach den Turnieren Hunderte von stolzen Pferden von einem Ende der Stadt zum anderen Ende der Stadt ziehen, auf der Ring Road (Durchschnittsgeschwindigkeit 80 km/h) genauso wie durch Slums auf irgendwelchen holperigen Staubpisten zwischen Wellblechhütten. Ein absurder Anblick.

Wir gingen also in die Parkanlage, die italienische Botschaft heißt (wir gingen gut 10 Minuten mitten durch das Gelände, das eigentliche Gebäude habe ich noch nicht mal gesehen) auf das Reitareal zu, wo uns die Stimme von Dominique, der Kampfrichterin, aus den Lautsprechern entgegenschallte. Ich dachte zuerst, die Stimme sei ziemlich männlich. Dominique, Französin, Mitte 60, Schlabber-T-Shirt mit Lederbauchtasche lebt seit 40+ Jahren in Addis und spricht 4 Sprachen (Französisch, Englisch, Amharisch, Italienisch) flüssig aber keine einzige davon wirklich gut. Amharisch nicht, wegen ihres französischen Akzents. Italienisch nicht, wegen ihres französischen Akzents. Englisch nicht, wegen ihres französischen Akzents. Französisch nicht, wegen ihres amharisch-italienisch-englischen Akzents.

Dominiques Lieblingsbeschäftigung ist es, einem Reiter ein: „Aim sohry, ju did not kompliete sö schömp kurse, so ju ’äv biehn öliminätöde!“ bei voller Lautstärke durch das Mikrophon entgegen zu schleudern – wenn sie nicht vergas, das Mikrofon anzuschalten.

Wenn ihr das jetzt nicht verstanden habt, geht es Euch wie mir.

Das Springen an sich war aber sehr eindrucksvoll! Es gibt einige wunderschöne Pferde, die Hürden waren aus Tropenhölzern gefertigt und das Wetter wunderbar. Nur der äthiopische Reitstil war teilweise ein wenig gewöhnungsbedürftig – aber seht selbst! (Bilder folgen morgen)

Das „Schömping“ war beendet.

Samstag, 24. März 2012

Armut


Überall, wo man hier hinblickt, gibt es Bettler.

Nicht verwunderlich für ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, in dem die Analphabetenrate bis vor wenigen Jahren bei über 80% war (lt. Regierung, also mit Vorsicht zu genießen) und in dem die Arbeitslosigkeit in den Städten bei über 30% steht (lt. Erhebung der Central Statistic Agency vom März 2011, ebenfalls Regierungszahlen).

Nun stellt sich mir im alltäglichen Leben hier die Frage: Wie gehe ich damit um?

Zu diesem Zwecke habe ich mich ein wenig bei meinen äthiopischen Bekannten umgehört, die ein besseres Verständnis für die hiesige Kultur haben sollten, als ich.

Generell scheint es so zu sein, dass es weniger organisiertes Betteln gibt, als beispielsweise in den Großstädten Indiens – die Armut, die man auf den Straßen sieht, ist häufiger „echte“ Armut und nicht nur für größtmögliche Effekhascherei hergerichtet. Diese Fälle gibt es aber selbstverständlich auch.

Viel verbreiteter als in anderen Kulturen (besonders unserer in Deutschland) ist es, sich gegenseitig zu helfen. Es gibt kein soziales Netz in das wir mitteleuropäischen Seiltänzer uns gemütlich fallen lassen können, wenn uns das Schicksal hinterlistig das Seil durchschneidet. Auch gibt es nur wenig Rechtssicherheit (was ich übrigens auch in meiner Arbeit merke).
Das Prinzip ist also, wenn jemandem aus meiner Familie etwas fehlt, oder es ihm nicht gut geht, helfe ich ihm. Dies führt häufig dazu, dass niemand so wirklich zu Geld kommt, weil ständig der Neffe irgendeines Schwager einer Cousine in Problemen steckt, dem geholfen werden muss. Das Wort „Cousine“ sei hierbei mit Vorsicht zu genießen. Zur Cousinage gehört jeder, der eine einigermaßen enge Beziehung zur Familie pflegt. Klare Sache, nach einem Monat gehört man noch nicht dazu, aber sobald man einige Zeit hier lebt und seine Kontakte pflegt, wird man in den Status erhoben. Die Verantwortung die das für vermögende Familienmitglieder bedeutet, ist immens.

Dieses Helfersyndrom, im positiven Sinne des Wortes, zeigt sich aber auch auf der Straße. Mehrmals habe ich es schon morgens auf meinem Weg nach Selam beobachtet, wie Bettlern und Straßenkindern von Passanten eigens dafür gekauftes Brot, Zucker oder Kekse zugesteckt wurden. Wohlgemerkt, die Passanten verdienen als Vollzeitarbeitskräfte selber meistens weniger als 1200 Birr im Monat, noch nicht mal 60€ - auch wenn man so nicht rechnen darf, da man für diesen Betrag hier natürlich ganz andere Sachen kaufen kann.

Meine nächste Frage war sodann, wem geholfen wird. Das finde ich als Ferenji gar nicht so einfach zu beantworten: Abgerissen sehen die meisten aus (Ausnahmen beschreibe ich gleich), einige zeigen ihre gut gehegten körperlichen Leiden so, dass man sie nicht übersehen kann, andere sind gerade mal 4 Jahre alt und rennen einem teilweise über eine halbe Stunde hinterher, wieder andere versuchen mich mit bewundernswerter Hartnäckigkeit von dem Kauf eines Bananenkaugummis zu überzeugen, den ich probiert habe und nicht noch einmal probieren möchte oder bieten mir an, meine Schuhe zu putzen – ein Relikt, habe ich gelernt, aus den 6 Jahren italienischer Besatzung, denen Äthiopien übrigens auch seine Affinität zu Pasta, Pizza und Espresso zu verdanken hat. Zitat: „Klar kommt das von den Italienern. Überleg doch mal, das ist ein Volk, dass sich häufiger die Schuhe polieren lässt als es die Unterhose wechselt!“ Italiener bin ich, wie sich da spätestens herausstellte, sicher nicht.

Nun, die von mir Befragten hatten allerlei Antworten:
Die einen geben generell kein Geld an Bettler aufgrund der Undurchschaubarkeit der Bettelmafia – das ist aber die absolute Minderheit.
Andere geben generell kein Geld an Bettler, die männlich, gesund und kräftig aussehen – wer in diesem Zustand bettelt, ist nur zu faul sich als Träger, Guard, Schuhputzer oder gefälschte-Software-Verkäufer zu betätigen.
Wieder andere geben am liebsten Geld an solche, die eine kleine Arbeit verrichten für ihr Einkommen. Paradebeispiel sind hier die Schuhputzer, die meistens in langen Reihen am Straßenrand sitzen, jeder seine Ausrüstung (immer dieselbe: zwei Bürsten, ein Schwamm, eine Flasche, Schuhcreme in verschiedenen Ausführungen und Transportkiste zum Schuhabstellen) vor sich und auf Kundschaft wartend. Diese Jungs, im Alter zwischen 8 und 20 Jahren, putzen einem mit Hingabe und viel Sachverstand die Schuhe, was in etwa 10 Minuten dauert. Dafür verlangen sie zwischen 1 und 3 Birr (je nachdem wie Ferenji du erscheinst), also zwischen 5 und 15 Cent.
Einer meiner Bekannten sagte mir also, dass er solchen „informell Beschäftigten“ am liebsten Geld gibt, und dann auch gern das 5 – 10 fache dessen, was sie verlangt haben, da sie sich um Einkommen bemühen und bereit sind, dafür eine Leistung zu geben. Weitere Beispiele sind Geldwechsler, Klopapier- (verkaufen Klopapier portionsweise) Mobilfunkguthaben- oder Kaugummiverkäufer.

Einer aber stach heraus: Amanuel, Beth (eine äthiopische Australierin) und ich waren unterwegs als uns ein Bettler entgegen kam. Wie es Brauch ist, sagten wir etwas, was sich wie „egsirsteren“ anhört – Amharisch für „möge Gott Dir gnädig sein“.  Wir dachten uns nichts und gingen weiter, da kam er an unser Auto – nichts ungewöhnliches an sich. Ungewöhnlich war, dass er wirklich anständig angezogen war: Jackett, Hemd, ordentliche Schuhe und eine saubere Hose. Jemand, der eher in eine Zeitungsredaktion als auf die Straße gehört.
Amu bemerkte dies, gab ihm 50 Birr und der Mann fing an zu weinen, während er davonstolperte. Kein betrunkenes Stolpern, eher so, als fühle er seine Füße nicht. Der arme Mann zitterte am ganzen Leib und wurde auf seinem Weg über die Straße fast überfahren.
Es stellte sich heraus, dass der Mann Chauffeur für das Büro einer bilateralen Development Agency (bspw. die deutsche GIZ oder die Austrian Development Agency) war, bis er Parkinson bekam. Ihm wurde gekündigt und nun steht der Mensch auf der Straße um die Miete seines Hauses zusammenzubetteln, damit seine Kinder, die alle noch in die Schule gehen, ein Dach über dem Kopf haben.
Sowas kann einem natürlich viel erzählt werden. Um herauszufinden, ob dies wirklich so sei, rief Amanuel seinen Cousin an, der in derselben Gegend wohnt. Dieser ging zur Bezirksverwaltung („kebele“, ich berichtete) und stellte Erkundigungen an – und tatsächlich, die Geschichte stimmte so 1:1.

Daraufhin rief Amu seine Freunde zusammen und veranstaltete einen kleinen Fundraising Event: Premier League schauen am Wochenende, es sollte ja auch Spaß machen. Wir haben dort genügend Geld gesammelt, dass der Mann seine Lebenshaltungskosten bezahlen kann, bis er in ein paar Monaten ein „Condominium“ vom Kebele zugewiesen bekommt, eine Art Sozialwohnung, die er sich dann selbstständig leisten kann.

Man muss ein Auge für solche Fälle haben – mir fällt das noch sehr schwer.   

Freitag, 23. März 2012

Viel zu tun!


Entschuldigt bitte, dass ich mich einige Zeit nicht gemeldet habe, aber hier ist ein gewisser Alltag eingekehrt, der von den Anstrengungen gezeichnet ist, dieses Business Center auf die Beine zu stellen und die Flitzekacke im Zaum zu halten.

Ich hab’s unterschätzt (das Firmengründen) – obwohl ich erwartet habe, dass es schwer wird. Aber man kann es sich trotzdem nicht so wirklich vorstellen, auf wie viele Hürden man stößt. Vor allem wenn man denkt, jetzt sei der Durchbruch geschaffen, stellt einem irgendetwas dann doch wieder ein Bein, so dass man der Länge nach auf die Nase fällt und fast wieder von vorne anfangen muss.

So hatte ich diese Woche einige Termine mit verschiedenen Bildungsinstitutionen in der Nähe der potentiellen Location des Business Centers. Einige liefen extrem gut – eine Zusammenarbeit ist erwünscht, andere eher weniger. Dazu kamen noch ein paar andere nervige Umstände, und wie Oona (Finnin, die ihren Master über das Renaissance-Dam-Project, einem riesigen Nildamm, schreibt) sagte: Ich sei hier um was zu lernen, und nicht um allen zu zeigen, wie toll ich sei und wie leicht man in Äthiopien eine Firma gründet. Wie ich mir denn vorstelle etwas zu lernen, wenn alles einfach geht?

Und Recht hat sie: Das war eine anstrengende Woche, ich habe eine weitere anstrengende Woche vor mir, danach ist dann aber auch ein weiterer Meilenstein geschafft.