Montag, 26. März 2012

Tropische Spezialitäten der anderen Art


Das ich seit einigen Wochen mit malader Verdauung zu kämpfen habe, ist ja nichts Neues.

Nun kamen Anna und ich gestern Abend vom Springreitturnier zurück und kauften noch ein wenig bei Friendship (Supermarkt in der Nähe) ein. Wir bekamen einen Anruf von Anna's finnischer Freundin Oona, sie habe seit einer halben Stunde Fieber, 38°C im Moment. Naja, Grippe kann schon mal vorkommen, denken wir uns, kaufen weiter ein und machen uns auf den Weg nach Hause, insgesamt ca.10 Minuten Fußweg.

Ungefähr auf der Hälfte des Weges der zweite Anruf: Oona’s Fieber steigt auf 38,8°C – das Fieber beschleunigt sich und wir unseren Heimweg auch.

Als wir bei ihr am Bett stehen, ist es auf 39.3°C in insgesamt 2 Stunden gestiegen, gemessen unter der Achsel. Es geht ihr gar nicht gut, sie friert, dabei sind es 25°C und sie ist dick eingepackt in Decken. Ihr ist speiübel und wir bekommen Schiss.
Ein Anruf per Skype bei einem befreundeten Arzt in Deutschland später (es lebe das Internet!) und wir wissen schon mal, dass es wahrscheinlich keine Meningitis ist. Trotzdem: Krankenhaus, so seine dringende Empfehlung.

Das „Korean Hospital“ ist ein Geschenk von Südkorea an Äthiopien als Dank für die Entsendung 5000 äthiopischer Infanteristen im Koreakrieg. Es ist ein Privatkrankenhaus (es gibt die staatsfinanzierten „Black Line Hospitals“ in die jeder gehen kann) und der Präsident selbst kommt hierher, um sich operieren zu lassen, also ein „rich people hospital“. Man bezahlt de facto in dem Moment, in dem man es betritt. Während man sich dort aufhält sammelt man Rechnungen der einzelnen Abteilungen für die empfangenen Leistungen, diese darf man am Ausgang direkt begleichen – 110 Birr für die Registrierung, 160 für das erste Gespräch mit dem Doktor, 240 für ein kleines Blutbild plus Stuhl- und Urinprobe und so weiter und so fort.

Mit anderen Worten: geschätzte 98% Minimum der vergleichsweise wohlhabenden Bevölkerung von Addis kann sich dieses Krankenhaus nicht leisten.

Nun ist mir klar, dass ein europäischer, gar deutscher Zustand in einem öffentlichen äthiopischen Krankenhaus nicht erreicht wegen kann. Aber was nun kam, habe ich in einer Privatklinik mit europäischer Klinikleitung und koreanischem Vizechef nicht erwartet.

In der Luft liegt ein schwerer, süßlicher Geruch, wie auf einem Obstmarkt nach einem langen Tag voller Obstfliegen im Sommer. Interessanter Kontrast, da ich eigentlich den beißenden Geruch von Desinfektionsmitteln erwarte.
Der Boden ist übersäht mit den Überbleibseln dessen, was sich Leute tagsüber als Picknick für die Wartezeit mitgenommen haben – und richtig, dezent nach Biomüll riechende und mit Fliegen besiedelte Essensreste stehen auf Tischen direkt vorm Labor.
An der Wand vor dem Labor blättert ein vergilbtes Blatt von der Wand: „How to desinfect your hands hygienically“. Blöd nur, dass in keinem Sanitärbereich Seife oder Desinfektionsmittel vorhanden sind. Auch sind entsprechende Badarmaturen und Handwaschbecken nicht in der Lage eine Verbesserung der Sauberkeit meiner Hände herstellen zu können.
Apropos Sanitärbereich: Im Klo der Damen sind 2 von 3 Aborten „out of order“  und deshalb verrammelt. Dies sind, wohlgemerkt, die Klos für den gesamten Wartebereich des Krankenhauses. Nun gut, kein Problem, denkt sich der geneigte Krankenhausbesucher – es gibt ja noch die eine offene. Tür aufgemacht, und ganz schnell wieder geschlossen: Der Boden ist vor Blut, verdrecktem Toilettenpapier und Exkrementen gar nicht mehr zu sehen, der Gestank unbeschreiblich. Nicht erwähnenswert ist, dass das Herrenklo keine wirkliche Verbesserung darstellte.
Der Zustand des Labors ist „spannend“, wenigstens die Nadeln sehen steril verpackt aus.

In diese Umgebung schleppen Kirubel (befreundeter Journalist der auch mit uns auf dem Mercato war), ein Freund von ihm, Anna und ich dieses zitternde, fiebernde Häuflein Elend, das mal Oona war. Wir sprechen uns gegenseitig bitter nötigen Mut zu – wie Oona sich fühlt, will ich gar nicht wissen.

Nach zwei Stunden Stolperei durch dieses albtraumartige Labyrinth sitzt Oona zusammen mit Kirubel im Behandlungsraum, der Arzt spricht in müdem Amharisch auf Kirubel ein und gibt ihm ein Rezept.

Oona hat Typhus.

Oona hat Typhus – hört sich dramatisch an, Anna und ich sind auch gebührend geschockt. Typhus ist hier aber so häufig, dass es keinen hinterm Ofen hervorholt und den Arzt schon gar nicht in Hysterie versetzt. Auch unsere äthiopischen Freunde sind jetzt nicht wirklich geschockt.

Eine halbe Stunde später hat Oona ein Schmerzmittel und die ersten Antibiotika intus und alle liegen im Bett.

Alle?

Nein, nicht alle.

Tief in den Bole Homes leuchtet noch ein Licht, gluckert noch ein Darm, rauscht noch eine Klospülung.

Diese Nacht schlafe ich etwa 1 ½ Stunden, den Rest sitze ich auf der Klobrille und übe mich im Hinternpinkeln, während sich das Toilettenpapier proportional zum Elektrolyt- und Flüssigkeitsgehalt meines Körpers langsam aber sicher dem Ende neigt.

Um 8 morgens holt mich Amanuel ab, völlig schlaff hänge ich in seinem Auto. Wir sind auf dem Weg zu seinem Hausarzt, dessen hygienische Bedingungen, wie ich erleichtert berichten darf, um einiges besser sind als die des Korean Hospitals. Der Arzt diagnostiziert drei Stunden später Salmonellen, die ich seit knapp vier Wochen mit mir rumtrage (ich berichtete - mehrfach).

Voll ausgestattet mit Antibiotika kann ich nun auch das Kapitel „Tropische Krankheiten“ – hoffentlich – abhaken.

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