Nun kamen Anna und ich gestern Abend vom
Springreitturnier zurück und kauften noch ein wenig bei Friendship (Supermarkt
in der Nähe) ein. Wir bekamen einen Anruf von Anna's finnischer Freundin Oona, sie habe seit einer halben
Stunde Fieber, 38°C im Moment. Naja, Grippe kann schon mal vorkommen, denken
wir uns, kaufen weiter ein und machen uns auf den Weg nach Hause, insgesamt ca.10
Minuten Fußweg.
Ungefähr auf der Hälfte des Weges der zweite
Anruf: Oona’s Fieber steigt auf 38,8°C – das Fieber beschleunigt sich und wir
unseren Heimweg auch.
Als wir bei ihr am Bett stehen, ist es auf 39.3°C
in insgesamt 2 Stunden gestiegen, gemessen unter der Achsel. Es geht ihr gar
nicht gut, sie friert, dabei sind es 25°C und sie ist dick eingepackt in Decken. Ihr
ist speiübel und wir bekommen Schiss.
Ein Anruf per Skype bei einem befreundeten
Arzt in Deutschland später (es lebe das Internet!) und wir wissen schon mal,
dass es wahrscheinlich keine Meningitis ist. Trotzdem: Krankenhaus, so seine dringende
Empfehlung.
Das „Korean Hospital“ ist ein Geschenk von
Südkorea an Äthiopien als Dank für die Entsendung 5000 äthiopischer
Infanteristen im Koreakrieg. Es ist ein Privatkrankenhaus (es gibt die
staatsfinanzierten „Black Line Hospitals“ in die jeder gehen kann) und der
Präsident selbst kommt hierher, um sich operieren zu lassen, also ein „rich
people hospital“. Man bezahlt de facto in dem Moment, in dem man es betritt.
Während man sich dort aufhält sammelt man Rechnungen der einzelnen Abteilungen
für die empfangenen Leistungen, diese darf man am Ausgang direkt begleichen –
110 Birr für die Registrierung, 160 für das erste Gespräch mit dem Doktor, 240
für ein kleines Blutbild plus Stuhl- und Urinprobe und so weiter und so fort.
Mit anderen Worten: geschätzte 98% Minimum der
vergleichsweise wohlhabenden Bevölkerung von Addis kann sich dieses Krankenhaus
nicht leisten.
Nun ist mir klar, dass ein europäischer, gar deutscher
Zustand in einem öffentlichen äthiopischen Krankenhaus nicht erreicht
wegen kann. Aber was nun kam, habe ich in einer Privatklinik mit europäischer Klinikleitung und koreanischem Vizechef nicht erwartet.
In der Luft liegt ein schwerer, süßlicher
Geruch, wie auf einem Obstmarkt nach einem langen Tag voller
Obstfliegen im Sommer. Interessanter Kontrast, da ich eigentlich den beißenden
Geruch von Desinfektionsmitteln erwarte.
Der Boden ist übersäht mit den Überbleibseln
dessen, was sich Leute tagsüber als Picknick für die Wartezeit mitgenommen
haben – und richtig, dezent nach Biomüll riechende und mit Fliegen besiedelte
Essensreste stehen auf Tischen direkt vorm Labor.
An der Wand vor dem Labor blättert ein
vergilbtes Blatt von der Wand: „How to desinfect your hands hygienically“.
Blöd nur, dass in keinem Sanitärbereich Seife oder Desinfektionsmittel
vorhanden sind. Auch sind entsprechende Badarmaturen und Handwaschbecken nicht
in der Lage eine Verbesserung der Sauberkeit meiner Hände herstellen zu können.
Apropos Sanitärbereich: Im Klo der Damen sind
2 von 3 Aborten „out of order“ und
deshalb verrammelt. Dies sind, wohlgemerkt, die Klos für den gesamten Wartebereich
des Krankenhauses. Nun gut, kein Problem, denkt sich der geneigte
Krankenhausbesucher – es gibt ja noch die eine offene. Tür aufgemacht, und ganz
schnell wieder geschlossen: Der Boden ist vor Blut, verdrecktem Toilettenpapier
und Exkrementen gar nicht mehr zu sehen, der Gestank unbeschreiblich. Nicht
erwähnenswert ist, dass das Herrenklo keine wirkliche Verbesserung darstellte.
Der Zustand des Labors ist „spannend“, wenigstens die Nadeln sehen steril verpackt aus.
In diese Umgebung schleppen Kirubel (befreundeter
Journalist der auch mit uns auf dem Mercato war), ein Freund von ihm, Anna und
ich dieses zitternde, fiebernde Häuflein Elend, das mal Oona war. Wir sprechen
uns gegenseitig bitter nötigen Mut zu – wie Oona sich fühlt, will ich
gar nicht wissen.
Nach zwei Stunden Stolperei durch dieses
albtraumartige Labyrinth sitzt Oona zusammen mit Kirubel im Behandlungsraum,
der Arzt spricht in müdem Amharisch auf Kirubel ein und gibt ihm ein Rezept.
Oona hat Typhus.
Oona hat Typhus – hört sich dramatisch an,
Anna und ich sind auch gebührend geschockt. Typhus ist hier aber so häufig,
dass es keinen hinterm Ofen hervorholt und den Arzt schon gar nicht in Hysterie
versetzt. Auch unsere äthiopischen Freunde sind jetzt nicht wirklich geschockt.
Eine halbe Stunde später hat Oona ein
Schmerzmittel und die ersten Antibiotika intus und alle liegen im Bett.
Alle?
Nein, nicht alle.
Tief in den Bole Homes leuchtet noch ein
Licht, gluckert noch ein Darm, rauscht noch eine Klospülung.
Diese Nacht schlafe ich etwa 1 ½ Stunden, den
Rest sitze ich auf der Klobrille und übe mich im Hinternpinkeln, während sich
das Toilettenpapier proportional zum Elektrolyt- und Flüssigkeitsgehalt meines
Körpers langsam aber sicher dem Ende neigt.
Um 8 morgens holt mich Amanuel ab, völlig
schlaff hänge ich in seinem Auto. Wir sind auf dem Weg zu seinem Hausarzt,
dessen hygienische Bedingungen, wie ich erleichtert berichten darf, um einiges
besser sind als die des Korean Hospitals. Der Arzt diagnostiziert drei Stunden
später Salmonellen, die ich seit knapp vier Wochen mit mir rumtrage (ich
berichtete - mehrfach).
Voll ausgestattet mit Antibiotika kann ich nun
auch das Kapitel „Tropische Krankheiten“ – hoffentlich – abhaken.
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