Samstag, 3. März 2012

Mercato


Heute morgen gegen halb neun klopft es an mein Zimmer und Anne steht draußen: „Yorck, meine Freunde sind in einer halben Stunde hier, die bringen uns zum Mercato!“

Zur Info: Der Mercato ist ein Ensemble aus Wellblechhütten und Provisorien, dass sich über zwei der Hügel von Addis zieht und eben nur diesen Markt beherbergt. Dies ist aber nicht irgendein Markt. Der Mercato ist der größte Markt seiner Art in Afrika - und wir haben uns nur einen klitzekleinen Teil angeschaut.
Einfahrt in den Mercato - ein Bruchteil eines Hügels ist zu sehen.


Wir fuhren also los, eine halbe Stunde etwa.

Das Gedränge ist unvorstellbar. Die Gerüche sind vielfältig, und in allen Facetten und Geschmacksrichtungen vorhanden - auch sehr davon abhängig, was gerade verkauft wird. Dies ist nach Vierteln, „Blocks“, unterteilt, so dass man den Unterschied merkt wenn man von einem in den anderen Teil wechselt. Besonders eindrucksvoll sind der Viehmarkt, wo Hähne in Bastkäfigen verkauft werden. Lebende (!) Hühner werden in Fünfer-Bündeln an den Füßen in der Hand gehalten und stückweise verkauft. Von den Gerüchen her wundervoll war das Lederviertel und der Gewürzeblock, wo die kostbarsten Gewürze direkt aus dem Sack verkauft werden.

Alte Marktfrau und die besagten Hähne in Käfigen

Sehr schönes Handwerk kann man erstehen. Traditionell sind die wunderschön geflochtenen Körbe zur Präsentation von Keksen oder zur Schmuckaufbewahrung sowie in größerer Version zur Aufbewahrung von Nahrung. Die typischen Ostafrikanischen Schals kann man erstehen, in der Polyester-Version genauso wie handgewebt aus reiner Baumwolle. Ein Exemplar habe ich mir zugelegt, ich finde es sehr schön!

Generell bin ich, blond, eins neunzig groß und blauäugig, eine Attraktion. Da ich mich entgegen aller Warnungen entschlossen hatte, meine Kamera mitzunehmen, wurde ich sogar noch attraktiver. Dies resultierte in zahlreichen „Ferenji! Ferenji“ - Rufen; gegrüßt wird man ständig, „Hello, how are you, welcome, you! Where from?“. Ich wurde als David Beckham und George W. Bush angesprochen - ist das ein Kompliment?



Trotz der hohen Kommunikations- und Sozialisationsrate der Äthiopier ist es aber nie so gewesen, dass ich mich unwohl fühlte. Sehr froh war ich, mit Annes Kumpel Kerobal unterwegs zusein - er ist hier geboren und aufgewachsen, kennt den Mercato wie seine Westentasche und hat uns die tollsten Sachen gezeigt und erklärt. Er ist wahrscheinlich auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir verhältnismaßig unbehelligt die Atmosphäre aufsaugen konnten. Die Photos erreichen die Wirklichkeit leider nur begrenzt...

Zum Mittagessen ging es in ein Restaurant direkt im Mercato. In Äthiopien herrscht gerade zweimonatige Fastenzeit vor Ostern, so dass nur wenige Christen Fleisch essen. Für uns bestellten also Kerobal und sein Freund, den wir in seinem „Wholesale-Store“ aufgegabelt hatten. Da man, wie gestern bei Amanuel‘s Eltern auch schon, selbstverständlich mit den Fingern ist, gehen alle vorher einmal zum Händewaschen. Dies wäre in Europa, selbst wenn man mit Messer und Gabel isst, sicherlich auch nicht verkehrt!
Auf dem Weg zum Klo kommt man an der Küche vorbei. Da gerade eine Kellnerin herauskam, warf ich einen Blick hinein. Durchaus den Vorstellungen entsprechend.

Das Essen war köstlich! Eine Kombination aus Fisch-, Reis- und Nudelgerichten, jedes einzelne sehr fein gewürzt. Dazu wirklich gutes, ungesalzenes Brot und ein Flasche Wasser - perfekt.

Wir hatten riesigen Spaß, haben uns gegenseitig auf den Arm genommen, über die politische Lage in Ostafrika und im Mittleren Osten diskutiert, uns gegenseitig eingeladen (wobei Einladen bei mir relativ ist, da ich immer noch kein eigenes Geld habe...) und einfach den Tag genossen.
Ich weiß nicht, wie stressig die Arbeit für Project-E in den nächsten Wochen wird. Umso froher bin ich um diese Tage!

Auf dem Weg zurück noch eine Kuriosität: Man kann im Mercato alles kaufen. Wirklich alles. Dies merkten wir, als wir an einer Ladenstraße vorbeikamen, wo in mehreren Läden hintereinander junge kräftige Männer Särge aus besserem Sperrholz zimmerten, diesen mit den furchtbarsten Motivtüchern bespannten und in die Läden zu den anderen 150 Särgen stellten. Ich würde mich ja gerne als Mann mit Unternehmergeist bezeichen. Auf die Geschäftsidee wär ich aber nicht gekommen.
Die Sargnäge
Soweit so gut, mehr gibts morgen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen