Freitag, 29. August 2014

Fliegende Drachen, eingesperrte Schildkröten, geröstete Skorpione und Muttermilch

Viel erlebt die letzten Tage:

Mittwoch war ich ziemlich fertig nach dem Sprachunterricht morgens, setzte mich aufs Fahrrad und fuhr in den Ri Tan Park, den "Park des Sonnentempels" im alten Botschaftsviertel, um dort chinesisch zu lernen und ein wenig im Grünen zu sein - das vermisse ich doch ziemlich...
So setzte ich mich in einen Pavillion, Bäume überall drumherum, ein paar Rentner die ziemlich emotional ein Kartenspiel spielten in der Nähe, und wiederholte meine Vokabeln.
Ich bin anscheinend nicht der einzige, der mal ne Pause braucht
Verflucht schwer diese Sprache, aber langsam bekommt man hier und dort ein, zwei Worte mit. Die Sprache öffnet einem das Land, die Kultur und den Zugang zu den Menschen wie ein langsam aufschwingendes Tor - allerdings ein SEHR langsam aufschwingendes Tor, das ein bisschen besser geölt sein könnte. Nun ja, ich bleibe dran.
Auf einem in einem See liegenden Pavillon, spielte wieder eine Gruppe traditionelle chinesische Musik, die durch den Park klang. Um den Park, den man vom Pavllion überblickt, erheben sich die Wolkenkratzer des Central Business District (allgemein CBD genannt) sowie der Wangfujing, der zentralen Fußgänger- und Einkaufszone. Wie Central Park, nur in China und mit Musik...
Musizieren im Pavillon auf dem See

Nach einer Weile kamen ein paar ältere Herren mit länglichen Taschen auf den Pavillon, und packten Drachen aus, die sie nach kurzer Zeit kunstvoll an den Baumwipfeln vorbei steuerten und 200m in den Himmel über Peking hingen. Da im bodennahen Bereich der Wind sehr stark küselt und sich häufig dreht, sind die ersten 20m die schwierigsten. Danach muss man nur aufpassen, dass der Wind nicht nachlässt, sonst geht auf einmal irgendwo ausserhalb des Parks ein Drachen nieder - schnell die Schnur einholen!
...gleich ist er im Baum.
Die Sonne ging unter, ich hab mich wieder auf den Weg gemacht. Um den Park herum ist nicht nur das oben erwähnte Botschaftsviertel, sondern auch das sogenannte Russenviertel. Hier kann man in (riesigen, wie alles hier) Kaufhäusern Pelze kaufen und die Verkäufer in den 24 Stunden offenen Supermärkten begrüßen mich offensichtlich nichtchinesischen Mann auf Russisch. In einem dieser Supermärkte fielen mir die draußen hängenden Anhänger auf, in denen es zappelte:
http://www.cnn.com/2011/WORLD/asiapcf/04/14/china.animal.keyring/
Die sehen nicht ganz so aus wie in dem Artikel (wohl ein anderes Käfig-"Modell"), aber das Prinzip ist natürlich dasselbe. Anscheinend werden die Anhänger nach dem Ableben des Tieres als Snack genutzt - 15s Mikrowelle und los geht's. Mahlzeit!

Tierschutz made in China
Durch den Dreck der Hutongs und Straßenschluchten rollte ich das Rad zur Wangfujing, der größten Einkaufs- und Fußgängerzone Pekings, die parallel zur Nord-Südachse östlich von der Verbotenen Stadt liegt. Ich wollte nicht zu Zara, H&M oder Audemars Piguet (letzteres wirklich nicht im Reisebudget), sondern mir diese Orgie des kommitalistischen Konsums mal genauer anschauen.
Naiv wie ich war, wollte ich langsam durchradeln und wurde sofort von einem SEHR motivierten, sicher 3 Jahre jüngeren Polizisten vom Gefährt geholt. Der hatte irgendwie kein Gefühl für Komfortabstände zu fremden Menschen. Das legte sich, sobald ich mich wieder gesetzeskonform verhielt.
Stellt Euch eine typische Einkaufsstraße in Deutschland vor, beispielsweise die Königsstraße in Stuttgart. Alle Gebäude sind von einem Bauunternehmer relativ einheitlich gebaut, und es ist alles riesig groß - die Schrift, die Straßenbreite, die Läden in den Gebäuden, die Werbebanner. Nach 200 Metern hats gereicht und ich bin umgedreht. Spannend war's wirklich nicht, nur groß.

Die nächste Straße links geht in Richtung Verbotene Stadt - das Osttor steht gegen die untergehende Sonne und die Lampions der Stände unter den Bäumen der "Foodstreet" gehen an, Postkartenkitsch fast schon. Die Foodstreet Einrichtung versammelt Snacks aus allen Provinzen Chinas an genau so vielen Ständen, so dass man sich einmal durch China essen kann - auf 200 Metern Straße in Peking. Es gibt alles was man sich vorstellen kann, und vieles, was nicht so in meinem Vorstellungsbereich lag. Ein wenig Fleisch am Spieß nach Sichuan-Art gewürzt reichte mir vollkommen, während sich amerikanische "Bros" gegenseitig aufschaukelten, den Kakerlaken-Skorpion-Seepferdchen-Spieß zu futtern. Sehr touristisch, aber auf jeden Fall eine Erfahrung.
"Eh! Hallo! You wanna snake? Scorpion!"

Das Doofe ist, dass man sich nicht so gut verstecken kann. Ich bin offensichtlich nicht chinesisch, aller Unkenrufe meiner Schlitzaugen sowie meines mickrigen Bartwuchses zum Trotz.
Das führt dazu, dass man häufig von Leuten angesprochen wird - einerseits von amerikanischen Touristen, die seit 2 Wochen in Peking sind, also doppelt so lang wie ich, und von mir wissen wollen, wo sie hinmüssen und was auf dem Schild da steht. Es sei doch klar, dass ich hier de facto aufgewachsen wäre, ich hätte ja ein Fahrrad. Ziemlich lange Gesichter alles ich mein Unwissen klarstellte...

Andrew Wang sprach mich nach ähnlichem Muster, allerdings mit anderem Zweck an: Wo ich her sei? Daraufhin wechselte er in fließendes Deutsch über und erzählte von seiner letzten Ausstellung traditioneller chinesischer Kunst in Hamburg. Ob er Bilder hätte? Klar, (sowieso generell bei jedem omnipräsentes) Smartphone in der Hand und mir ein Photo von Andrew mit einer deutschen Freundin in der Hamburger Gallerie gezeigt. Naja, irgendein Raum irgendwo halt, nix typisch Hamburgisches zu sehen, wenn ich ehrlich bin.
Seine "Galerie" war in einem Aufgang zu einem Hotel ein wenig zurückgesetzt. Dort hing typische traditionelle chinesische Kunst, die an allen Ecken angeboten wird. Ich musste ihm deutlich klar machen, dass ich kein Bild kaufen wollte (bei einem ging es in 3 Minuten von 750 Kuai auf 50 Kuai, ca. 6 Euro). Nachdem das aus dem Weg war, wollte ich seine Einschätzung über die Einflüsse und die Entwicklung der modernen chinesischen Kunst unterhalten, ein Feld über das ich gar keine Ahnung habe. Das Gespräch war dann relativ schnell vorbei, leider - obwohl er ein gutes Gesicht hatte und ein saunetter Mensch war. Muss halt auch Geld verdienen, der arme Kerl. Im Zweifel war er gar kein Künstler - er zog am Ende eine Businesskarte raus, aber nicht von ihm als Künstler sondern als Tourenanbieter, der Touristen zur Mauer karrt. In dubio pro reo: Ich könnte mir vorstellen, dass es schwer ist, vom Verkauf von 0815-Kunst an Touristen zu leben, so dass ein sicherer Zweitjob nicht nur ein angenehmes Zubrot ist. Andrew könnte also doch Künstler gewesen sein.
Ein ähnliches Muster wiederholte sich eine halbe Stunde später, wobei dieser künstlerisch noch ein wenig mehr drauf hatte. Das demonstrierte er mir, als er in wenigen, breiten Tuschestrichen eine Berglandschaft skizzierte. Das sei ein Geschenk! Wow!
Aber anscheinend erst, wenn ich eines der Bilder (800 Kuai! For you, friend, only 400!) mitgenommen hätte. Auch hier erledigte sich das ansonsten angenehme Gespräch sehr schnell. Wenn man Zeit hat und sich drauf einlässt, sind das sehr freundliche, offene Menschen mit teilweise wirklich lustigem Sinn für Humor, die einem natürlich was verkaufen wollen - aber lange nicht so aggressiv wie beispielsweise in Delhi, Äthiopien oder im Libanon; kann man gut mit umgehen.

Viel erlebt!

Donnerstag startete, wie jeder Wochentag, zu früh. Mein Hotel ist ca. 2-3km nördlich der Verbotenen Stadt, knapp hinter den Drum & Bell Türmen im Stadtteil Gulou. Der "Schulweg" geht zunächst durch die relativ ruhigen Hutongs an alten Fahrrädern, Gerümpelhäufen und an Leinen trocknender Wäsche vorbei, während es aus den Küchen der Häuser verlockend nach Früstücksdumplings duftet. Einige packen ihre Lastenroller mit zu verkaufenden Frühstückssachen voll, die dann vor U-Bahnstationen verkauft werden.

So spannend das ist, schneller unterwegs ist man mit dem Fahrrad auf den fetten Fahrradwegen an der Seite jeder größeren Straße. Aus dem Grund halte ich mich direkt gen Süden, fahre durch meine Lieblingsstraße an der Ostseite der Verbotenen Stadt vorbei bis ich auf den Tian'anmen stoße. Die Chang'an, eine 50m breite insgesamt 10-spurige Straße zieht sich über den Platz insgesamt 30km einmal quer durch die Stadt und stellt die zentrale Ost-West-Achse dar. Die fahre ich bis zum Central Business District runter, wo in den Soho-Türmen die Sprachschule untergebracht ist - eine Fahrstrecke von ca. 10km, knapp unter eine halbe Stunde in der morgendlichen Rush Hour.

Generell macht das Fahrradfahren einen RIESENSPASS! Vor allem das ein- und ausfädeln im zäh dahinfließenden Verkehr, beispielsweise in einem Kreisel, ist genial. Beste Investition, vor allem, wenn ich das Fahrrad mit nach Deutschland zurücknehmen kann. Benno erwähnte was von Platz in einem Container, den er nach Deutschland schickt, weil er ja zurückzieht. Zufällig könnte da vielleicht noch ein klein wenig Platz drin sein, meinte er. Der braucht wirklich ein dickes fettes Dankeschön am Ende..!

In einer Pause fragte Tschien-Lao She (Money Teacher, wie er von seinen Schülern genannt wird) einen seiner indonesischen Sprachschüler: Was hätte er denn zum Frühstück gehabt? "Brot und ein Glas Milch". Kuh-Milch ist dabei "niü nai", was Indonesier nicht gut aussprechen können. Die machen da mal ganz schnell "nü nai" draus - Muttermilch, was Tschien-Lao She zu Stürmen hochtonigen Amüsements veranlasste. Ich fand's ehrlich gesagt auch ziemlich lustig...
Das war übrigens die letzte Stunde mit Tschien-Lao She! Ziemlich schade, er hat mich aus Höflichkeit gleich zu allen möglichen Abendessen eingeladen, worüber ich mich sehr gefreut habe - auch wenn's nicht wirklich ernst gemeint ist

Nachmittags hab ich mich gemütlich auf den Rückweg gemacht und bin über die Hutongstraße Nanluogoxiang nach Hause gefahren. Wirklich eine herrliche Gasse mit Imbissbuden, Klamottenläden und coolen Cafés - voll mit Leben, Tag und Nacht. Kurz umgezogen und dann mit Constantin getroffen, der heute angekommen ist. Zufällig macht er ein Austauschsemester an der Jintiao-Uni; nicht mehr als 2km vom BIT entfernt. Wer ließ es sich nicht nehmen uns einzuladen? Richtig! Und wie immer war es wirklich köstlich und sehr, sehr lustig.

Prallgefüllte Hutong-Gasse bei Nacht
Am Freitag musste ich mal einkaufen gehen - erstens, weil's Spaß macht in den Fake Markets mit den Damen zu zocken und zweitens, weil ich fast nur Winterklamotten dabei habe. Nicht so gut bei 32°, 80% Luftfeuchtigkeit. Celeste begleitete mich netterweise und überzeugte die Damen da sie wahnsinnig gut Chinesisch kann und alle um die Finger gewickelt hat. Sicherlich kamen die letzten 10 Yuan Rabatt vor allem dadurch zustande..

Für heute ist Schluss, Grüße nach De-Guo!

Montag, 25. August 2014

Smogfrei in Peking

Ich war die letzten zwei Tage nicht so viel im Internet aktiv - das Wetter war einfach viel zu gut.

Samstag nach der Messe bin ich, wie beschrieben, die ersten Meter mit dem Fahrrad nach Hause gerollt, und danach ging die Welt unter. Es schüttete wie aus Eimern. Anscheinend sind solche Gewitter nicht ungewöhnlich; 2012 kamen bei den schwersten Regenfällen seit 60 Jahren nach offizieller Meldung 70 Menschen in Peking um. Schätzungen der internationalen Hilfswerke lagen weit drüber. Die Abwasserversorgung wurde mit den 24h andauernden Regenfällen nicht fertig, so dass das Wasser einen halben Meter auf den Straßen stand und vom Airport Expressway (einer Straße, die teils auf Stelzen gebaut ist) ein stetiger Wasserfall herabstürzte - auf voller Länge.

So schlimm war's glücklicherweise nicht, mich hat's auch gar nicht erwischt und das ist gar nicht der Punkt. Viel wichtiger ist, dass am nächsten Morgen (Sonntag) der Himmel komplett blau wie das Meer, die Sonne kräftig schien und die Luft nach rosa Rosen roch - ok, ich übertreibe leicht, aber das Wetter was DAS beherrschende Thema in der Stadt. "Hast Du schon gesehen, man sieht sogar die Berge..!" Wirklich was besonderes, anscheinend.

Smogfreier Blick auf Bei Hai und die Berge (bis 2300m)

Ich habe den Tag genutzt und bin mit Sack und Pack in ein Hutong-Hotel nach Gulou, knapp nördlich der Verbotenen Stadt umgezogen. Coole, nette Gegend mit haufenweise kleinen Gäßchen - aber bei dem Wetter ist Peking fast überall wunderschön. Die ganze Tristesse, die durch den Smog unweigerlich über die Stadt kommen muss, ist mit einem Mal weggeblasen, die Menschen sind gut drauf und laufen mit lächelnden Gesichtern durch die Stadt.

Blau-orange Symphonie - die Verbotene Stadt bei gutem Wetter
Den Abend konnte man einen unglaublichen Sonnenuntergang beobachten, der über Peking niederging, der die Berge von hinten beleuchtete mit den goldgelb leuchtenden Dächern der Verbotenen Stadt im Vordergrund. Dies genoss ich teils vom Pavillon auf dem Kohlehügel hinter der Verbotenen Stadt. Überall im Park hatten sich Gruppen zusammengefunden, die zusammen Musik machten - bourgeoises Liedgut, das unter der Kulturrevolution von Mao strikt verboten war, hab ich mir sagen lassen. Bis zu fünfzig Leute treffen sich mit Akkordeons und chinesischen Geigen und singen mit voller Inbrunst, was sich, während man durch den Bambus- und Eukalyptuswald zum Pavillion hochsteigt, zu einer vielschichtigen Melodie zusammensetzt.

Musizieren im Park - Feierabendvergnügen älterer Chinesen
Montag
Sprachkurs!! Ich hab tatsächlich schon fast alles wieder vergessen, vor allem die mühsam gelernten Vokabeln... Dafür strahlt die Sonne den 2. Tag in Folge. Kein Smog.

Nachmittags nochmal eine Fahrradtour um die verbotene Stadt gemacht. Bin gerade um die Südwestecke gebogen (schon innerhalb des Kanals) und denke mir, wie beeindruckend die Ausmaßen, die schroffe Mauer, die Türme und Pagodendächer sind, die man hin und wieder über der Mauer hervorblitzen sieht, da steht ein Chinese vor einem, der seinen mit Styropor ca. 2m hoch beladenen Elektrotransporthänger auf der Straße abgestellt hat, und einfach so an die Mauer pinkelt. Stärkeren Gegensatz hätte ich mir nicht ausdenken können.

Eckturm der Verbotenen Stadt bei bestem Wetter - ohne pinkelnden Chinesen

Abends traf ich mich mit der örtlichen Rotaract-Gruppe, einem netten Haufen junger Chinesen und Expats. Da ich die Handynummer der Organisatorin falsch eingespeichert habe, habe ich erstmal eine große Gruppe junger Expats angesprochen, die Firmenausflug hatten und vom Alter ins Schema gepasst hätten. Die haben mich angeguckt als sei ich frisch aus der Anstalt, als ich mich da mit Schwung in die Gruppe reinsetzte... :D

Gut Nacht allerseits!

Samstag, 23. August 2014

Peking!!

Der VPN ist installiert! (Astrill, 6$ / Monat wen's interessiert)

Heißt, ich kann was bloggen.
Hier mal so, was die ersten Tage passiert ist, nebst ein paar generellen Eindrücken. Photos kommen, wenn ich die Kamera mal geleert habe..

Angekommen bin ich am Mittwoch.

Der Flug war gut, gemütlich fast. Ein Freund meiner Großeltern holte mich ab und zunächst ging es in ein Hotel um ein wenig zu quatschen, die Lage zu sondieren und einen ersten Kaffee zu trinken (Ortszeit gegen 10 morgens, für mich da noch 4 Uhr nachts). Benno ist ein jemütlischer Rheinländer, der mich erstmal zum Kaffee eingeladen und dann in sein Penthouse verfrachtet hat, wo ich Duschen und ne Stunde schlafen konnte - große Dankbarkeit meinerseits. Danach gings in mein Hostel, einchecken, auf dem Bett die zur Verfügung stehenden Führer durchlesen und irgendwann lostingeln.

Die Stadt ist SO RIESIG, die Entfernungen überall hin sind wahnsinnig. Fast keine Gebäude, die viel älter als 30 Jahre sind, es wechselt sich lediglich zwischen billiger Platte und Hochglanzbusiness ab. Hin und wieder trifft man allerdings noch auf ein Hutong-Viertel (Bungalows im traditionellen Stil, komplett in Grau, mit Innenhöfen, schauderhafter Zustand von allem - Sanitär, Kochen, Isolierung. Als rundumrenovierte Immobilie heute bei den Superreichen allerdings wieder sehr begehrt und unbezahlbar, die parken ihre Luxuslimousinen dann im "4-Harmonien-Hof" genannten Innenhof). Am Abend traf ich Benno und einen Freund wieder, die mich ganz lieb zum Essen eingeladen haben. Lustiger Abend mit sehr gutem Essen!
Nur kurz zu den Sinneseindrücken: War zunächst erschrocken vom Smog - nur um dann zu hören, dass sei noch gar kein Smog. Der unterschwellige, stete Geruch ist original wie damals in Delhi, "akut" wird es ansonsten selten unangenehm, selten zu intensiv. Manchmal fliegt ein wenig köstliche Garküche vermischt mit öffentlichem Klo vorbei - aber das war's dann auch meistens. Krasser Gegensatz teils von Hochhäusern mit blitzenden Glasfassaden und direkt daneben slumähnliche Lebensgemeinschaften und bröckelnde Hutongs. Da drin versteckt teilweise richtig coole Cafés und Geschäfte.

Hutong-Gäßchen südlich von Qianmen


Tags drauf (Donnerstag) ging es das erste Mal in die Sprachschule im sogenannten 9. Soho-Turm in Guomao beim Central Business District. Hier standen noch vor 20 Jahren überall traditionelle Hutongs, mittlerweile ragt Pekings höchster Wolkenkratzer in die Höhe. Auch das berühmte CCTV-Building ist hier, von den Pekingern seiner Form wegen "Boxershorts" genannt, es erinnert sehr den Unterleib von jemandem, der sich zur Verrichtung seiner Geschäfte hingehockt hat. Wem's gefällt..
Kleine Anekdote am Rande: Einer der Pfeiler, in den ein Hotel einziehen sollte, brannte kurz nach der Eröffnung aus, Riesenschock und schlechtes Omen für die weitere Verwendung. Grund dafür war ironischerweise ein illegales Feuerwerk, in Auftrag gegeben von, genau, dem Hausherren CCTV.

Sauschwer ist das Chinesisch und dabei hab ich noch nichtmal wirklich viel mitgenommen.. Mal schauen wie ich mich die nächsten zwei Wochen anstelle.
Völlig fertig bin ich nach Hause gefahren und bin ins Bett gefallen. Wirklich müde, erstmal 1 h geschlafen und eineinhalb Stunden in den Pekingführern geschmökert. Dann eine Möglichkeit zum Essen gesucht (war schon gegen sechs), was gefunden (komplett ohne lateinische Schriftzeichen!), was gegessen und bin zum Kohlehügel gefahren. Sauschöner Hügel über der verbotenen Stadt der aus dem Aushub der Verbotenen Stadt entstand als diese gebaut wurde. Da alles Böse aus dem Norden kam (Mongolen, sibirischer Steppenwind im Winter) wurde der Aushub aus Schutzgründen im Norden der Verbotenen Stadt aufgehäuft, ein Park drumherum angelegt und Pagoden und Tempel gebaut. Vor allem ein unglaublicher Temperaturunterschied zum Rest der Stadt, richtig angenehm! Es ist hier tropisch schwül bei 27 - 30°C, dazu der Smog - schon eher unangehem fürs tägliche Leben. Ständig läuft einem die Suppe runter.. Da oben hat man (neben einem atemberaubenden Ausblick auf die nahegelegenen Seen und den Kaiserpalast) auch eine Vorstellung davon, wie heftig der Smog wirklich ist. Kein Spaß!
Smog überm Kaiserpalast

Wurde von drei Mädels aus Wuhan angeratscht, die gerade Schulferien haben und deshalb in Peking Ferien machen. Die waren auch noch nie da, ziemlich giggelnd, ein wenig schüchtern aber ganz nett. Hatten großes Mitleid, als ich ihnen von den Problemen mit dem Chinesisch erzählt habe. Generell sind die hier ziemlich offen: Eine Gruppe Musiklehrer aus weißnichtwo, die auch grad Ferien machten und in meinem Alter waren, wollten auch quatschen, und natürlich Foto Foto!

Wollte eigentlich schon wieder nach Hause, weil das Wetter zu kippen schien und die roten Lampions, die viel herumhingen, bedrohlich in den Eukalyptusbäumen schwangen, und hab mich durch Hutongs Richtung U-Bahn geschlängelt (die ein viel weniger dichtes Netz hat, als die S-Bahn in München - dementsprechend viel muss man laufen, um wieder zu einer Station zu kommen), da sah ich es verführerisch vom Beihai blinken. Das ist ein Park mit einem See auf dem Gondeln fahren, chinesische mit roten Lampions und hinten hockt ein Mädel in traditionellem chinesischem Kleid und fidelt auf einem traditionellen Instrument. Sehr stimmmungsvoll!
Hou Hai by night
Am Ufer sind Kneipen Ende nie, vor allem mit chinesischer Live-Musik, teils gar nicht übel, nur VIEL zu laut. Man schlendert dran vorbei, ich war wahrscheinlich noch viel zu früh unterwegs da noch niemand saß, aber es war schon brechend voll auf der Straße davor. Auch Stangentanz gibt es, allerdings einigermaßen züchtig bekleidet, so dass der Blick von der Straße in den Laden niemanden schockieren muss. An einem Stand musste ich dann eine Stange mit frisch gebratenem Fleisch unklarer Provenienz probieren - sehr würzig und schmackhaft! Auch gibt es hier Joghurtdrinks in versiegelten Gläsern durch die ein Strohhalm gestoßen wird, alle Welt trinkt das sehr erfrischende Zeug. Ich war begeistert, das werde ich in Deutschland jetzt schon vermissen. Insgesamt ein herrlicher Tag, so allein reisen ist auch mal eine Erfahrung...
KTV (Karaoke) am See

Freitags  habe ich eine Riesentour unternommen: Morgens wie gehabt Sprachkurs, danach mit ein paar anderen Sprachschülern unglaublich gute Burritos gegessen - viel besser als die in München. 2maliger Familienvater und Sprachen-As (Polnisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch) Piotr aus Polen lernt mit Celeste aus Australien (sehr offen und extrovertiert) seit einem dreiviertel Jahr jeden Tag und ist schon echt stark unterwegs. Beneidenswert! Celeste hat sich gleichmal meine Nummer geschnappt und heute Abend wird mit paar Leuten was getrunken.

Noch kurz zum Sprachkurs: Mein Lehrer heißt Tschien, "money" auf chinesisch wie er mir breit grinsend eröffnet und ist ein 33-jähriger, übergewichtiger Kim-il Sung-Clon, der die Chickenburger von McDonalds liebt ("Is sooo delischiss. OOOooh, I like it very much!") und hat mir schon den Weg zu den Fresstempeln dieser Stadt eröffnet. "If you like, we eat dog. wuff wuff! Is sooo delischiss!" Wir werden sehen.

Hernach ging's in die sogenannte Südstadt durch die Hutongs, genauer gesagt in die Liulichang Lu. Ein ganzes Viertel unter Millieu-Schutz- es darf nicht abgerissen und neugebaut werden (ausser man entkernt und lässt die Fassade im Original /erneuert die Fassade, aber "macht sie auf alt"/ reißt alles ab und baut ein neues Haus was im Entfernten daran erinnert was hier mal für ein Schatz stand). Sprich, es ist alles neu, aber auf alt gemacht. Sauschade. Trotzdem, tolle Läden und Kunstausstellung chinesischer Kalligraphiekunst, einen Künstler, der in einem bedeutenden Kunsthaus morgen eine Ausstellung eröffnet, habe ich sogar selber getroffen: Sein Sohn half mir dabei, in einem Kiosk Wasser zu kaufen. Saunett, seine Kunstausstellung in Privatführung bewundert (teils echt gute Sachen), obligatorisches Foto Foto, "chie chie" (Danke) und ab dafür.
Der Künstler und sein Bewunderer (v.l.n.r. natürlich)

Weiter durch die Hutongs gestreift, komplett traditionelles Leben - und hier und da eine total hippe Galerie, ein Hipster-Café oder ein schicker Underground-Klamottenladen. Daneben kleine Musikstudios die moderne Elektromusik produzieren in Nachbarschaft mit einem bröckelnden Hutong und einer 10-köpfigen Familie. Auf der Straße alte hockende Frauen und Rentner, die auf einem Kartontisch mit Tonscherben Schach spielen. Wahnsinnige Gegensätze von modern und alt, die ans Berlin der 90er erinnern. Auf einmal überholt mich ein chinesisches Mädel auf dem Fahrrad, Studentenalter, und fängt an mit mir zu quatschen auf ausnahmsweise richtig gutem Englisch, flirtet sogar (Kompliment für meine Haare!!!! JAWOLLO) , fragt ob ich WeChat (das chinesische WhatsApp) habe und würde gerne noch eine Stunde einen mit mir trinken gehen. Total offen, super nett und nicht unsympathisch. Naja, ein wenig zu offen und ich wäre auch misstrauisch geworden, wenn mich Celeste am morgen nicht gewarnt hätte: Die sogenannten "tea girls" sprechen genau so Typen wie mich (männlicher Ausländer, unerfahren, jung) an, sind turbo offen und wollen einen trinken gehen, wonach man eine Rechnung um ca. 1000 Kuai ( über hundert €) hat, die zu begleichen ist. Nicht mit mir, ich müsste dringend noch ein GEburtstagsgeschenk kaufen, da ein Geburtstag in Deutschland um die Ecke steht und das Ding noch nach Deutschland losmüsste - und ab dafür.

Dann auf die Tschien-men Dajie (Vordere-Tor-Straße) gebogen wo sich eine sehr wütende Frau mit Polizisten stritt und ungelogen 150 Leute drumherumstanden, feixten und Spaß am Spektakel hatten. Die haben Snacks gekauft, sich hingehockt und Wetten abgeschlossen, wie die Sache ausgeht. Die größte und älteste TCM-Apotheke der Welt steht in der Straße, das ist eine richtige Industrie.
Ich wollte noch ins Mausoleum von Mao (der ist auf Eis gelegt und präserviert, ziemlich gruselig). Der "große Steuermann" wird dort inszeniert wie anderswo Gottheiten: Riesenhalle und Riesenstatue auf einem eigenen Riesenplatz zwischen Vorderem Tor und Tian anmen. Ein Muss für alle chinesischen Beijing-Touristen, für mich eher Kuriosum. Wurde nix, da er im Sommer wegen der Hitze nur von 7-11 "rausgelassen" wird - die haben anscheinend Probleme mit der Präservation des Leichnams und deshalb dergestaltene Restriktionen aufgrund der Mittagshitze. Auch gibt es eine Wachskopie, so dass man nie weiß, ob das gerade wirkliches Kommunistenfleisch oder nur fake ist. Die spinnen, die Chinesen...

Kalligraphiewerkstatt

Abendgestaltung ist auch erwähnenswert: Es kamen ein ganzer Haufen Leute, alles irgendwelche Freunde und Freunde von Freunden. Wir tranken was in der sogenannten Sanlitun - nicht weit vom Restaurant, in das Benno mich am allerersten Abend eingeladen hatte.

Zuerst saß dort Chloe aus England, zog schon an einem Mojito (1,50€ pro Stück!! Echt gefährlich) und begrüßte uns freundlich. Ein zwei Mojito später ging es uns allen gut und wir zogen um in den "1st Floor", eine Bar, die, wie der Name sagt, im Erdgeschoss zu finden ist. Denkste. Der Pächter hat alle anderen Stockwerke dazugenommen und seit einer Woche kann man auf allen Stockwerken im 1st Floor feiern. Ein Amerikaner in der Gruppe hatte gegen 12 Geburtstag, das sollte (unter anderem) gefeiert werden. Der Alkohol war billig, das Wetter und die Stimmung gut und alles passte. Ab ins "Mash", zehn Meter weiter (diese Straße ist gestopft voll mit Bars und Clubs, ziemlich eng, wahnsinnig laut und überall Straßenessensstände, die aber nicht mehr ganz so Appetit machen), wo die Musik vor allem laut war. Wirklich, zu Lärm haben Chinesen generell ein anderes Verhältnis, scheint mir...
Und da stand ich nun in einem ohrenbetäubendem Club mit einigen älteren Chinesen die allesamt sehr fokussiert auf westliche Frauen schienen ("notgeil" ist treffender) und deshalb unsere gesamte Gruppe abfüllen wollten. Ein wenig bizarr war das schon..

Wie gesagt, beim Feiern haben die Chinesen haben einen an der Waffel.
Wie die völlig besoffen aus dem Club taumeln, besonders die Frauen.

Schachspielen nach Feierabend
Samstag brauchte ich davon erstmal eine Pause und habe ausgeschlafen. Die Messe in der deutschen Botschaft war dann auch genau das Richtige, um ein wenig zu entspannen und mal Ruhe zu haben, das war die letzten Tage nämlich Mangelware. Danach ging's auf ein Bier zu Benno mit einem ehemaligen Offizier der marokkanischen Armee nebst seiner Freundin, der Chefin der GIZ in China. Sehr interessante Unterhaltung - wär's nicht alles auf Französisch gewesen, da Monsieur le Colonel nur Arabisch und Französisch sprach. Die Unterhaltung fand für mich also eher passiv statt.. In Benno's Wohnung lässt sich in einem weichen Sofa vorzüglich die Pekinger Skyline bewundern - die es in der Form vor 10 Jahren noch überhaupt nicht gab.

Ah, bevor ich's vergesse: Ich bin stolzer Fahrradbesitzer! Nicht irgendeins, es ist ein schnittiges Rennrad (Benno's Kumpel stoß breit feixend auf mein "erstes" Rad in Peking an, Radel klauen ist anscheinend Volkssport. Ein fettes Schloss von Abus wurde vom Händler als Rabatt reingeworfen...) und ich rase seit heute auf dem Pekingpeser durch die Stadt. Richtige Freiheit bei den Distanzen hier. Man merkt beim durch die Stadt fahren aber deutlich, dass Chinesen Westler auf Fahrrädern nicht gewöhnt sind. Der Verkehr folgt typisch asiatischen Regeln: Schrottauto vor Luxusauto vor Mittelklasseauto vor Fahrrad/Motorrad/Rikscha vor Fußgänger. Dabei fahren alle so, dass sie selber nicht zu Schaden kommen - und Ampeln werden sogar eingehalten!

Sonntag habe ich den Großteil damit verbracht, in ein neues Heim umzuziehen, einem gemütlichen Hotel mitten in einem Hutong ganz in der Nähe des anderen Ausgehviertels in Peking. Ich habe auch endlich einen VPN-Server an Land gezogen, den Chinas "Great Firewall" nicht schon beim Download abschießt. Wer plant, nach China zu reisen, sollte das auch unbedingt vorher organisieren; der Uni-VPN den ich schon vorher auf dem Rechner hatte, hatte leider nicht den gewünschten Effekt.
Jetzt geht's raus eine Runde radeln; die Luft ist aufgrund eines gestrigen Gewitters (eher Weltuntergangs) komplett klar - naja, "komplett" klar eben. Deshalb geht's jetzt auch raus und ein wenig Peking erkunden auf dem neuen Rad. Bis bald!