Freitag, 29. August 2014

Fliegende Drachen, eingesperrte Schildkröten, geröstete Skorpione und Muttermilch

Viel erlebt die letzten Tage:

Mittwoch war ich ziemlich fertig nach dem Sprachunterricht morgens, setzte mich aufs Fahrrad und fuhr in den Ri Tan Park, den "Park des Sonnentempels" im alten Botschaftsviertel, um dort chinesisch zu lernen und ein wenig im Grünen zu sein - das vermisse ich doch ziemlich...
So setzte ich mich in einen Pavillion, Bäume überall drumherum, ein paar Rentner die ziemlich emotional ein Kartenspiel spielten in der Nähe, und wiederholte meine Vokabeln.
Ich bin anscheinend nicht der einzige, der mal ne Pause braucht
Verflucht schwer diese Sprache, aber langsam bekommt man hier und dort ein, zwei Worte mit. Die Sprache öffnet einem das Land, die Kultur und den Zugang zu den Menschen wie ein langsam aufschwingendes Tor - allerdings ein SEHR langsam aufschwingendes Tor, das ein bisschen besser geölt sein könnte. Nun ja, ich bleibe dran.
Auf einem in einem See liegenden Pavillon, spielte wieder eine Gruppe traditionelle chinesische Musik, die durch den Park klang. Um den Park, den man vom Pavllion überblickt, erheben sich die Wolkenkratzer des Central Business District (allgemein CBD genannt) sowie der Wangfujing, der zentralen Fußgänger- und Einkaufszone. Wie Central Park, nur in China und mit Musik...
Musizieren im Pavillon auf dem See

Nach einer Weile kamen ein paar ältere Herren mit länglichen Taschen auf den Pavillon, und packten Drachen aus, die sie nach kurzer Zeit kunstvoll an den Baumwipfeln vorbei steuerten und 200m in den Himmel über Peking hingen. Da im bodennahen Bereich der Wind sehr stark küselt und sich häufig dreht, sind die ersten 20m die schwierigsten. Danach muss man nur aufpassen, dass der Wind nicht nachlässt, sonst geht auf einmal irgendwo ausserhalb des Parks ein Drachen nieder - schnell die Schnur einholen!
...gleich ist er im Baum.
Die Sonne ging unter, ich hab mich wieder auf den Weg gemacht. Um den Park herum ist nicht nur das oben erwähnte Botschaftsviertel, sondern auch das sogenannte Russenviertel. Hier kann man in (riesigen, wie alles hier) Kaufhäusern Pelze kaufen und die Verkäufer in den 24 Stunden offenen Supermärkten begrüßen mich offensichtlich nichtchinesischen Mann auf Russisch. In einem dieser Supermärkte fielen mir die draußen hängenden Anhänger auf, in denen es zappelte:
http://www.cnn.com/2011/WORLD/asiapcf/04/14/china.animal.keyring/
Die sehen nicht ganz so aus wie in dem Artikel (wohl ein anderes Käfig-"Modell"), aber das Prinzip ist natürlich dasselbe. Anscheinend werden die Anhänger nach dem Ableben des Tieres als Snack genutzt - 15s Mikrowelle und los geht's. Mahlzeit!

Tierschutz made in China
Durch den Dreck der Hutongs und Straßenschluchten rollte ich das Rad zur Wangfujing, der größten Einkaufs- und Fußgängerzone Pekings, die parallel zur Nord-Südachse östlich von der Verbotenen Stadt liegt. Ich wollte nicht zu Zara, H&M oder Audemars Piguet (letzteres wirklich nicht im Reisebudget), sondern mir diese Orgie des kommitalistischen Konsums mal genauer anschauen.
Naiv wie ich war, wollte ich langsam durchradeln und wurde sofort von einem SEHR motivierten, sicher 3 Jahre jüngeren Polizisten vom Gefährt geholt. Der hatte irgendwie kein Gefühl für Komfortabstände zu fremden Menschen. Das legte sich, sobald ich mich wieder gesetzeskonform verhielt.
Stellt Euch eine typische Einkaufsstraße in Deutschland vor, beispielsweise die Königsstraße in Stuttgart. Alle Gebäude sind von einem Bauunternehmer relativ einheitlich gebaut, und es ist alles riesig groß - die Schrift, die Straßenbreite, die Läden in den Gebäuden, die Werbebanner. Nach 200 Metern hats gereicht und ich bin umgedreht. Spannend war's wirklich nicht, nur groß.

Die nächste Straße links geht in Richtung Verbotene Stadt - das Osttor steht gegen die untergehende Sonne und die Lampions der Stände unter den Bäumen der "Foodstreet" gehen an, Postkartenkitsch fast schon. Die Foodstreet Einrichtung versammelt Snacks aus allen Provinzen Chinas an genau so vielen Ständen, so dass man sich einmal durch China essen kann - auf 200 Metern Straße in Peking. Es gibt alles was man sich vorstellen kann, und vieles, was nicht so in meinem Vorstellungsbereich lag. Ein wenig Fleisch am Spieß nach Sichuan-Art gewürzt reichte mir vollkommen, während sich amerikanische "Bros" gegenseitig aufschaukelten, den Kakerlaken-Skorpion-Seepferdchen-Spieß zu futtern. Sehr touristisch, aber auf jeden Fall eine Erfahrung.
"Eh! Hallo! You wanna snake? Scorpion!"

Das Doofe ist, dass man sich nicht so gut verstecken kann. Ich bin offensichtlich nicht chinesisch, aller Unkenrufe meiner Schlitzaugen sowie meines mickrigen Bartwuchses zum Trotz.
Das führt dazu, dass man häufig von Leuten angesprochen wird - einerseits von amerikanischen Touristen, die seit 2 Wochen in Peking sind, also doppelt so lang wie ich, und von mir wissen wollen, wo sie hinmüssen und was auf dem Schild da steht. Es sei doch klar, dass ich hier de facto aufgewachsen wäre, ich hätte ja ein Fahrrad. Ziemlich lange Gesichter alles ich mein Unwissen klarstellte...

Andrew Wang sprach mich nach ähnlichem Muster, allerdings mit anderem Zweck an: Wo ich her sei? Daraufhin wechselte er in fließendes Deutsch über und erzählte von seiner letzten Ausstellung traditioneller chinesischer Kunst in Hamburg. Ob er Bilder hätte? Klar, (sowieso generell bei jedem omnipräsentes) Smartphone in der Hand und mir ein Photo von Andrew mit einer deutschen Freundin in der Hamburger Gallerie gezeigt. Naja, irgendein Raum irgendwo halt, nix typisch Hamburgisches zu sehen, wenn ich ehrlich bin.
Seine "Galerie" war in einem Aufgang zu einem Hotel ein wenig zurückgesetzt. Dort hing typische traditionelle chinesische Kunst, die an allen Ecken angeboten wird. Ich musste ihm deutlich klar machen, dass ich kein Bild kaufen wollte (bei einem ging es in 3 Minuten von 750 Kuai auf 50 Kuai, ca. 6 Euro). Nachdem das aus dem Weg war, wollte ich seine Einschätzung über die Einflüsse und die Entwicklung der modernen chinesischen Kunst unterhalten, ein Feld über das ich gar keine Ahnung habe. Das Gespräch war dann relativ schnell vorbei, leider - obwohl er ein gutes Gesicht hatte und ein saunetter Mensch war. Muss halt auch Geld verdienen, der arme Kerl. Im Zweifel war er gar kein Künstler - er zog am Ende eine Businesskarte raus, aber nicht von ihm als Künstler sondern als Tourenanbieter, der Touristen zur Mauer karrt. In dubio pro reo: Ich könnte mir vorstellen, dass es schwer ist, vom Verkauf von 0815-Kunst an Touristen zu leben, so dass ein sicherer Zweitjob nicht nur ein angenehmes Zubrot ist. Andrew könnte also doch Künstler gewesen sein.
Ein ähnliches Muster wiederholte sich eine halbe Stunde später, wobei dieser künstlerisch noch ein wenig mehr drauf hatte. Das demonstrierte er mir, als er in wenigen, breiten Tuschestrichen eine Berglandschaft skizzierte. Das sei ein Geschenk! Wow!
Aber anscheinend erst, wenn ich eines der Bilder (800 Kuai! For you, friend, only 400!) mitgenommen hätte. Auch hier erledigte sich das ansonsten angenehme Gespräch sehr schnell. Wenn man Zeit hat und sich drauf einlässt, sind das sehr freundliche, offene Menschen mit teilweise wirklich lustigem Sinn für Humor, die einem natürlich was verkaufen wollen - aber lange nicht so aggressiv wie beispielsweise in Delhi, Äthiopien oder im Libanon; kann man gut mit umgehen.

Viel erlebt!

Donnerstag startete, wie jeder Wochentag, zu früh. Mein Hotel ist ca. 2-3km nördlich der Verbotenen Stadt, knapp hinter den Drum & Bell Türmen im Stadtteil Gulou. Der "Schulweg" geht zunächst durch die relativ ruhigen Hutongs an alten Fahrrädern, Gerümpelhäufen und an Leinen trocknender Wäsche vorbei, während es aus den Küchen der Häuser verlockend nach Früstücksdumplings duftet. Einige packen ihre Lastenroller mit zu verkaufenden Frühstückssachen voll, die dann vor U-Bahnstationen verkauft werden.

So spannend das ist, schneller unterwegs ist man mit dem Fahrrad auf den fetten Fahrradwegen an der Seite jeder größeren Straße. Aus dem Grund halte ich mich direkt gen Süden, fahre durch meine Lieblingsstraße an der Ostseite der Verbotenen Stadt vorbei bis ich auf den Tian'anmen stoße. Die Chang'an, eine 50m breite insgesamt 10-spurige Straße zieht sich über den Platz insgesamt 30km einmal quer durch die Stadt und stellt die zentrale Ost-West-Achse dar. Die fahre ich bis zum Central Business District runter, wo in den Soho-Türmen die Sprachschule untergebracht ist - eine Fahrstrecke von ca. 10km, knapp unter eine halbe Stunde in der morgendlichen Rush Hour.

Generell macht das Fahrradfahren einen RIESENSPASS! Vor allem das ein- und ausfädeln im zäh dahinfließenden Verkehr, beispielsweise in einem Kreisel, ist genial. Beste Investition, vor allem, wenn ich das Fahrrad mit nach Deutschland zurücknehmen kann. Benno erwähnte was von Platz in einem Container, den er nach Deutschland schickt, weil er ja zurückzieht. Zufällig könnte da vielleicht noch ein klein wenig Platz drin sein, meinte er. Der braucht wirklich ein dickes fettes Dankeschön am Ende..!

In einer Pause fragte Tschien-Lao She (Money Teacher, wie er von seinen Schülern genannt wird) einen seiner indonesischen Sprachschüler: Was hätte er denn zum Frühstück gehabt? "Brot und ein Glas Milch". Kuh-Milch ist dabei "niü nai", was Indonesier nicht gut aussprechen können. Die machen da mal ganz schnell "nü nai" draus - Muttermilch, was Tschien-Lao She zu Stürmen hochtonigen Amüsements veranlasste. Ich fand's ehrlich gesagt auch ziemlich lustig...
Das war übrigens die letzte Stunde mit Tschien-Lao She! Ziemlich schade, er hat mich aus Höflichkeit gleich zu allen möglichen Abendessen eingeladen, worüber ich mich sehr gefreut habe - auch wenn's nicht wirklich ernst gemeint ist

Nachmittags hab ich mich gemütlich auf den Rückweg gemacht und bin über die Hutongstraße Nanluogoxiang nach Hause gefahren. Wirklich eine herrliche Gasse mit Imbissbuden, Klamottenläden und coolen Cafés - voll mit Leben, Tag und Nacht. Kurz umgezogen und dann mit Constantin getroffen, der heute angekommen ist. Zufällig macht er ein Austauschsemester an der Jintiao-Uni; nicht mehr als 2km vom BIT entfernt. Wer ließ es sich nicht nehmen uns einzuladen? Richtig! Und wie immer war es wirklich köstlich und sehr, sehr lustig.

Prallgefüllte Hutong-Gasse bei Nacht
Am Freitag musste ich mal einkaufen gehen - erstens, weil's Spaß macht in den Fake Markets mit den Damen zu zocken und zweitens, weil ich fast nur Winterklamotten dabei habe. Nicht so gut bei 32°, 80% Luftfeuchtigkeit. Celeste begleitete mich netterweise und überzeugte die Damen da sie wahnsinnig gut Chinesisch kann und alle um die Finger gewickelt hat. Sicherlich kamen die letzten 10 Yuan Rabatt vor allem dadurch zustande..

Für heute ist Schluss, Grüße nach De-Guo!

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