Heute mittag sollten Anna und Jens ankommen, vormittags
hatte ich also noch zur freien Verfügung. Dies nutzte ich, um mal ein wenig zu
wandern – Lalibela liegt auf 2600 m, das „Dach von Lalibela“, ein naher
Plateaugipfel und der höchste Berg der näheren Umgebung liegt auf 3500 m. Das
war mein Ziel.
Im Frühtau zu Berge war also die Losung. Sofort umgab mich
eine Traube an jungen Äthiopiern, die mir unbedingt den Weg zeigen wollten, das
Kloster, die tollsten Sehenswürdigkeiten, ob ich wohl eine Pepsi kaufen
möchte?, aber ich konnte glaubhaft versichern, dass ich alleine zurecht käme.
Drei hielten sich hartnäckig und versuchten ein Gespräch anzufangen, bis ich
mich irgendwann umdrehte und sagte, ich wäre sehr gerne ein wenig alleine. Ich
könnte sie zwar nicht daran hindern mit mir hochzulaufen, aber sie sollten
keinerlei Illusionen haben: Ich werde niemandem einen Cent geben.
Schlagartig verschwanden zwei der Jungs, ein
schwarzgebrannter Mann mit Stock und ärmlicher, traditioneller Kleidung blieb
aber. Ich schaute ihn fragend an, da meinte er, er würde da oben unterhalb des
Klosters mit seiner Familie und seinen Tieren leben, er müsste sowieso hoch.
Wir stapften also bergan, einen gemütlichen Pfad hinauf, der
einem eine atemberaubende Sicht auf die umgebende Landschaft gibt. Die Höhe war
noch nicht mal das Problem – viel mehr die Hitze, 29°C sind kein Pappenstiel,
vor allem mit Halbglatze nicht.
Nach etwa 500 Höhenmetern, auf 3100m erreicht man ein
kleines Plateau auf dem Landwirtschaft betrieben wird und, anfangs nicht
sichtbar, eine kleine Schule steht. Hier stehen, praktischerweise, etwa 10
junge Äthiopier rum, die einem die eigenen Dienste anbieten.
Sehr schön auch der häufig anzutreffende „Book-Scam“: Junge
Kerle versammeln sich um einen und erzählen, dass sie einen Bücherclub
gegründet hätten. Nun seien Bücher sehr teuer, vor allem bräuchten sie
Amharisch, Englisch, Biologie und Physik – ob man nicht helfen könne? 300 Birr
reichen schon! Zur Einordnung: 800 Birr Gehalt monatlich zahlt die Regierung
für Sekretärinnen nach 3-jähriger Ausbildung. Um dem ganzen einen offiziellen
Touch zu verleihen, wird einem ein Computerschreiben unter die Nase gehalten,
auf dem schon viele Ferenjis
unterschrieben haben, zusammen mit dem Betrag, den sie gespendet hätten. Wenn
stimmt, was auf dem Zettel steht, ist es ein durchaus einträgliches Geschäft,
von dem mit Sicherheit, waaahnsinnig viele Bücher gekauft wurden.
Ich wollte keine Kette kaufen, nein, Ledermalereien auch
nicht, selbst ein „Sohfttrrink!“ war nicht nach meinem Geschmack.
Mein Begleiter und ich gingen weiterhin schweigsam den Berg
hinauf. Nach einer Weile dreht er sich um und meint: „We make deal!“ Er merkt,
wie skeptisch ich schaue, lacht laut und erklärt sich: „First, we go monastery,
then we go my family drink sheep milk.“
Das hört sich doch schon ganz anders an. Ich habe ihm von
Anfang an gesagt, dass er keine Kohle bekommt und er weiß das ganz genau.
Ich stimme zu und er legt ein Tempo an den Tag, dass ich
mich umschaue. Ich dachte, ich sei halbwegs fit. Wie aber diese Berggämse in
seinen Flip-Flops trittsicherer als ich in meinen steigeisenfesten
Bergstiefelen den Berg hinauffliegt, lehrt mich eines besseren. Bald haben wir
das Kloster erreicht, er breit lächelnd, ich schweißtriefend, verstaubt und die
Lunge herausgekeucht.
Das Kloster liegt sehr friedlich auf 3400m in eine Klippe
überm Plateau gehauen und nur durch eine gewisse Kletterei durch den Fels erreichbar. Es überblickt das ganze Tal auf
atemberaubende Weise während der kontinuierliche Singsang der betenden Mönche
in die Landschaft weht. Sehr friedlich!
Desdale, so heißt mein Begleiter, und ich ruhen uns im
Kloster aus, lauschen den Mönchen, genießen den Ausblick über das Tal. Ein
Adler kreist über uns und rotznäsige Jungs hüten hunderte Meter unter uns eine
Herde Kühe.
Auf dem Abstieg biegen wir kurz nach der Klippenkletterei vom
Weg ab und gehen auf dem Plateau in Richtung eines kleinen Tukul-Dorfs mit etwa
30 – 40 Hütten. Zwischen Gerstenfeldern und durch Eukalyptuswäldern führt mich
Desdale, stellt mich seinen Nachbarn vor und begrüßt zwei seiner drei Kinder
die auf dem Weg in die Hochplateauschule sind.
Relativ nahe am Plateauabbruch erreichen wir seinen Hof: 3
eingezäunte kreisrunde Tukuls mit jeweils ungefähr 20qm Grundfläche,
konstruiert aus Eukalyptusstämmen (ca. 5 – 10 cm. Durchmesser) als
Grundstruktur, mit Lehm und Schlamm verputzt sowie mit einer Art Reet oder
Stroh gedeckt. Eins, das Schlafhaus, ist zweistöckig. Seine Rinder (ein Bulle,
eine Kuh) sowie seine 3 Schafe stehen im Erdgeschoß, die Familie im ersten
Stock: Auf die Art und Weise wirkt die Wärme der Tiere in kalten Nächten (auf
3100 m selbst in Äthiopien keine Seltenheit) als Fußbodenheizung. Kein Strom,
kein fließendes Wasser, lediglich eine Quelle oberhalb des Dorfes.
Seine Frau kommt aus dem Esstukul, lässt mich und Desdale
auf den Stufen des Wohntukuls Platz nehmen und fängt an, das Esstukul
auszufegen.
Ich werde hineingebeten, zuerst kann ich nichts erkennen,
meine Augen müssen sich erst an die vollkommene Dunkelheit gewöhnen. Ich nehme
auf einem Stein um das Feuer in der Mitte der Hütte Platz und sehe, dass gerade
Weizen gekocht wird. Dieser wird dann zusammen mit einer Linsensoße (SCHARF!!!)
gegessen.
Mir wird ein Glas gereicht und mit einer dickflüssigen,
inhomogenen weißen Masse mit vielen Brocken gefüllt. Ich frage Desdale, was das
ist und er schaut erstaunt: Das wär doch die Milch. Ich probiere – mit Milch
hat es nichts mehr zu tun, aber es ist ein Schafsjoghurt. Wenn man sich von der
Idee „Milch ist flüssig!“ verabschiedet hat, ist es nicht nur trinkbar, sondern
auch schmackhaft.
Natürlich muss ich mich kräftig wehren, als Desdale’s Frau
mir zum 3. Mal nachfüllen möchte.
Alsbald hat Desdale Hunger und verlangt nach Injera. Seine Frau schüttet Wasser zum
Händewaschen über unsere Hände. Danach bringt sieeinen großen Plastikteller mit
ausgerolltem Injera hinein, schaufelt
vor Chili rote Linsensoße drauf und stellt ihn zwischen uns.
Es schmeckt unglaublich gut! Nur ist es ein wenig scharf.
Wir sind am Essen, da kommt Desdale’s Kuh zur Tür hinein.
Seine Frau fackelt nicht lange und bindet das Tier in der Hütte fest, wo es
gemütlich wiederkäut.
Nach dem Essen bereitet Desdale’s Frau den Kaffee, eine
Zeremonie wie sie überall in Äthiopien verbreitet ist und sie nach jeder
Mahlzeit mit Gästen stattfindet – von der Kaffeezeremonie bei Amanuel in Addis
berichtete ich in meinem allerersten Post.
Hier wird der Kaffee allerdings gesüßt und leicht gesalzen, was seinen Geschmack nur noch mehr zur Geltung
bringt. Gar nicht so schlecht.
Nach dem dritten Glas fange ich an, mich zu verabschieden,
schließlich kommen mittags Jens und Anna an. Ich mache Bilder, zeige Bilder von
meiner Familie und meinen Freunden auf meiner Kamera und verspreche Desdale die
Bilder seiner Familie zu schicken. Ich bedanke mich sehr herzlich, natürlich
auch finanziell im angemessenen Rahmen und wir verabreden uns für morgen früh
vorm Hotel um das mit den Bildern zu klären.
Habe mich richtig freundlich aufgenommen gefühlt, ohne Hintergedanken und einfach so. Der Mann war bettelarm, konnte weder schreiben noch lesen, nur ein paar Brocken Englisch und hat mich einfach zum Mittagessen eingeladen. Das war etwas wirklich Unvergessliches.
Habe mich richtig freundlich aufgenommen gefühlt, ohne Hintergedanken und einfach so. Der Mann war bettelarm, konnte weder schreiben noch lesen, nur ein paar Brocken Englisch und hat mich einfach zum Mittagessen eingeladen. Das war etwas wirklich Unvergessliches.
Auf dem Rückweg begegnen mir kleine Kinder der frechen
Sorte: „Give me water!“ Ja ok, kein Ding, es ist heiß und ihr seid ohne Wasser
unterwegs. Danach: „Give me money!“ Hab ich nicht, will ich nicht (entspricht
sogar beides der Wahrheit). Danach: „Give me scarf!“ Ne, den mag ich. „Give me
pen!“ Hab ich nicht, will ich nicht. Ich verabschiede mich auch hier.
Mit Jens und Anna fahren wir nachmittags ca. 50 km durch die
wahnsinnige Landschaft in einem 4x4 um zu einem Kloster zu kommen, das in eine
eigens dafür gehauene Höhle gebaut wurde. Die Höhle ist 46m breit, 63m tief, 12m
hoch und beherbergt im hinteren Teil die Skelette von etwa 7000 Mönchen, die im
vergangenen Jahrtausend dort von der Atmosphäre mumifiziert wurden.
Die Kirche besitzt wunderschöne Fresken und ist über 1000
Jahre alt. In Europa, diesem ach so entwickelten Kontinent der Hochkultur, gab
es zur gleichen Zeit nichts Vergleichbares – da bin ich mir ziemlich sicher.
Auf dem Rückweg bleiben wir auf einem Felsvorsprung stehen
und bewundern die vom Himmel fallende Sonne, die sich in den spärlichen
Flußläufen des Hochlands spiegelt.