Montag, 9. April 2012

Ostermontag oder: Ein Glas Schafsmilch


Heute mittag sollten Anna und Jens ankommen, vormittags hatte ich also noch zur freien Verfügung. Dies nutzte ich, um mal ein wenig zu wandern – Lalibela liegt auf 2600 m, das „Dach von Lalibela“, ein naher Plateaugipfel und der höchste Berg der näheren Umgebung liegt auf 3500 m. Das war mein Ziel.

Im Frühtau zu Berge war also die Losung. Sofort umgab mich eine Traube an jungen Äthiopiern, die mir unbedingt den Weg zeigen wollten, das Kloster, die tollsten Sehenswürdigkeiten, ob ich wohl eine Pepsi kaufen möchte?, aber ich konnte glaubhaft versichern, dass ich alleine zurecht käme. Drei hielten sich hartnäckig und versuchten ein Gespräch anzufangen, bis ich mich irgendwann umdrehte und sagte, ich wäre sehr gerne ein wenig alleine. Ich könnte sie zwar nicht daran hindern mit mir hochzulaufen, aber sie sollten keinerlei Illusionen haben: Ich werde niemandem einen Cent geben.

Schlagartig verschwanden zwei der Jungs, ein schwarzgebrannter Mann mit Stock und ärmlicher, traditioneller Kleidung blieb aber. Ich schaute ihn fragend an, da meinte er, er würde da oben unterhalb des Klosters mit seiner Familie und seinen Tieren leben, er müsste sowieso hoch.

Wir stapften also bergan, einen gemütlichen Pfad hinauf, der einem eine atemberaubende Sicht auf die umgebende Landschaft gibt. Die Höhe war noch nicht mal das Problem – viel mehr die Hitze, 29°C sind kein Pappenstiel, vor allem mit Halbglatze nicht.

Nach etwa 500 Höhenmetern, auf 3100m erreicht man ein kleines Plateau auf dem Landwirtschaft betrieben wird und, anfangs nicht sichtbar, eine kleine Schule steht. Hier stehen, praktischerweise, etwa 10 junge Äthiopier rum, die einem die eigenen Dienste anbieten.
Sehr schön auch der häufig anzutreffende „Book-Scam“: Junge Kerle versammeln sich um einen und erzählen, dass sie einen Bücherclub gegründet hätten. Nun seien Bücher sehr teuer, vor allem bräuchten sie Amharisch, Englisch, Biologie und Physik – ob man nicht helfen könne? 300 Birr reichen schon! Zur Einordnung: 800 Birr Gehalt monatlich zahlt die Regierung für Sekretärinnen nach 3-jähriger Ausbildung. Um dem ganzen einen offiziellen Touch zu verleihen, wird einem ein Computerschreiben unter die Nase gehalten, auf dem schon viele Ferenjis unterschrieben haben, zusammen mit dem Betrag, den sie gespendet hätten. Wenn stimmt, was auf dem Zettel steht, ist es ein durchaus einträgliches Geschäft, von dem mit Sicherheit, waaahnsinnig viele Bücher gekauft wurden.

Ich wollte keine Kette kaufen, nein, Ledermalereien auch nicht, selbst ein „Sohfttrrink!“ war nicht nach meinem Geschmack.

Mein Begleiter und ich gingen weiterhin schweigsam den Berg hinauf. Nach einer Weile dreht er sich um und meint: „We make deal!“ Er merkt, wie skeptisch ich schaue, lacht laut und erklärt sich: „First, we go monastery, then we go my family drink sheep milk.“

Das hört sich doch schon ganz anders an. Ich habe ihm von Anfang an gesagt, dass er keine Kohle bekommt und er weiß das ganz genau.

Ich stimme zu und er legt ein Tempo an den Tag, dass ich mich umschaue. Ich dachte, ich sei halbwegs fit. Wie aber diese Berggämse in seinen Flip-Flops trittsicherer als ich in meinen steigeisenfesten Bergstiefelen den Berg hinauffliegt, lehrt mich eines besseren. Bald haben wir das Kloster erreicht, er breit lächelnd, ich schweißtriefend, verstaubt und die Lunge herausgekeucht.

Das Kloster liegt sehr friedlich auf 3400m in eine Klippe überm Plateau gehauen und nur durch eine gewisse Kletterei durch den Fels erreichbar. Es überblickt das ganze Tal auf atemberaubende Weise während der kontinuierliche Singsang der betenden Mönche in die Landschaft weht. Sehr friedlich!

Desdale, so heißt mein Begleiter, und ich ruhen uns im Kloster aus, lauschen den Mönchen, genießen den Ausblick über das Tal. Ein Adler kreist über uns und rotznäsige Jungs hüten hunderte Meter unter uns eine Herde Kühe.

Auf dem Abstieg biegen wir kurz nach der Klippenkletterei vom Weg ab und gehen auf dem Plateau in Richtung eines kleinen Tukul-Dorfs mit etwa 30 – 40 Hütten. Zwischen Gerstenfeldern und durch Eukalyptuswäldern führt mich Desdale, stellt mich seinen Nachbarn vor und begrüßt zwei seiner drei Kinder die auf dem Weg in die Hochplateauschule sind.
Relativ nahe am Plateauabbruch erreichen wir seinen Hof: 3 eingezäunte kreisrunde Tukuls mit jeweils ungefähr 20qm Grundfläche, konstruiert aus Eukalyptusstämmen (ca. 5 – 10 cm. Durchmesser) als Grundstruktur, mit Lehm und Schlamm verputzt sowie mit einer Art Reet oder Stroh gedeckt. Eins, das Schlafhaus, ist zweistöckig. Seine Rinder (ein Bulle, eine Kuh) sowie seine 3 Schafe stehen im Erdgeschoß, die Familie im ersten Stock: Auf die Art und Weise wirkt die Wärme der Tiere in kalten Nächten (auf 3100 m selbst in Äthiopien keine Seltenheit) als Fußbodenheizung. Kein Strom, kein fließendes Wasser, lediglich eine Quelle oberhalb des Dorfes.

Seine Frau kommt aus dem Esstukul, lässt mich und Desdale auf den Stufen des Wohntukuls Platz nehmen und fängt an, das Esstukul auszufegen.

Ich werde hineingebeten, zuerst kann ich nichts erkennen, meine Augen müssen sich erst an die vollkommene Dunkelheit gewöhnen. Ich nehme auf einem Stein um das Feuer in der Mitte der Hütte Platz und sehe, dass gerade Weizen gekocht wird. Dieser wird dann zusammen mit einer Linsensoße (SCHARF!!!) gegessen.

Mir wird ein Glas gereicht und mit einer dickflüssigen, inhomogenen weißen Masse mit vielen Brocken gefüllt. Ich frage Desdale, was das ist und er schaut erstaunt: Das wär doch die Milch. Ich probiere – mit Milch hat es nichts mehr zu tun, aber es ist ein Schafsjoghurt. Wenn man sich von der Idee „Milch ist flüssig!“ verabschiedet hat, ist es nicht nur trinkbar, sondern auch schmackhaft.
Natürlich muss ich mich kräftig wehren, als Desdale’s Frau mir zum 3. Mal nachfüllen möchte.

Alsbald hat Desdale Hunger und verlangt nach Injera. Seine Frau schüttet Wasser zum Händewaschen über unsere Hände. Danach bringt sieeinen großen Plastikteller mit ausgerolltem Injera hinein, schaufelt vor Chili rote Linsensoße drauf und stellt ihn zwischen uns.

Es schmeckt unglaublich gut! Nur ist es ein wenig scharf.

Wir sind am Essen, da kommt Desdale’s Kuh zur Tür hinein. Seine Frau fackelt nicht lange und bindet das Tier in der Hütte fest, wo es gemütlich wiederkäut.

Nach dem Essen bereitet Desdale’s Frau den Kaffee, eine Zeremonie wie sie überall in Äthiopien verbreitet ist und sie nach jeder Mahlzeit mit Gästen stattfindet – von der Kaffeezeremonie bei Amanuel in Addis berichtete ich in meinem allerersten Post.

Hier wird der Kaffee allerdings gesüßt und leicht gesalzen, was seinen Geschmack nur noch mehr zur Geltung bringt. Gar nicht so schlecht.

Nach dem dritten Glas fange ich an, mich zu verabschieden, schließlich kommen mittags Jens und Anna an. Ich mache Bilder, zeige Bilder von meiner Familie und meinen Freunden auf meiner Kamera und verspreche Desdale die Bilder seiner Familie zu schicken. Ich bedanke mich sehr herzlich, natürlich auch finanziell im angemessenen Rahmen und wir verabreden uns für morgen früh vorm Hotel um das mit den Bildern zu klären.

Habe mich richtig freundlich aufgenommen gefühlt, ohne Hintergedanken und einfach so. Der Mann war bettelarm, konnte weder schreiben noch lesen, nur ein paar Brocken Englisch und hat mich einfach zum Mittagessen eingeladen. Das war etwas wirklich Unvergessliches.




Auf dem Rückweg begegnen mir kleine Kinder der frechen Sorte: „Give me water!“ Ja ok, kein Ding, es ist heiß und ihr seid ohne Wasser unterwegs. Danach: „Give me money!“ Hab ich nicht, will ich nicht (entspricht sogar beides der Wahrheit). Danach: „Give me scarf!“ Ne, den mag ich. „Give me pen!“ Hab ich nicht, will ich nicht. Ich verabschiede mich auch hier.

Mit Jens und Anna fahren wir nachmittags ca. 50 km durch die wahnsinnige Landschaft in einem 4x4 um zu einem Kloster zu kommen, das in eine eigens dafür gehauene Höhle gebaut wurde. Die Höhle ist 46m breit, 63m tief, 12m hoch und beherbergt im hinteren Teil die Skelette von etwa 7000 Mönchen, die im vergangenen Jahrtausend dort von der Atmosphäre mumifiziert wurden.
Die Kirche besitzt wunderschöne Fresken und ist über 1000 Jahre alt. In Europa, diesem ach so entwickelten Kontinent der Hochkultur, gab es zur gleichen Zeit nichts Vergleichbares – da bin ich mir ziemlich sicher.

Auf dem Rückweg bleiben wir auf einem Felsvorsprung stehen und bewundern die vom Himmel fallende Sonne, die sich in den spärlichen Flußläufen des Hochlands spiegelt.

Die Tage vergehen zu schnell, hier!

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