Dienstag, 9. September 2014

Hartes Studentenleben und 200 Schultüten

Liebe Leute,


die ersten Tage in der Uni sind vorbei, es hat sich hier mittlerweile eine kleine Community zusammengefunden; das Ganze hat irgendwo die Atmosphäre eines Sommercamps, nur ohne organisierte Aktivitäten. Nachdem alle wach geworden sind (das kann sich durchaus ein wenig ziehen, aber ein gutes Buch und dieses Blog füllen die Zeit recht zuverlässig) wird der Tagesplan, der am Abend vorher locker besprochen wurde, umgesetzt. Zunächst muss allerdings gefrühstückt werden. Das hört sich einfach an, ist aber lange nicht so trivial: Es gibt in China keine dezidiertes Frühstück, es werden Sachen, die auch mittags oder abends gegessen werden (in Peking sind dies beispielsweise große "Baoze" genannte Dumplings oder eine geschmacksfreie Nudelsuppe) zum Frühstück serviert. Da der Aufbruchszeitpunkt schon meist zu fortgeschrittenem Tagesverlauf stattfindet, wird das Frühstück also häufig mit einem Mittagessen verbunden und dadurch zu einem "Brunch chinoise". Das Gute ist, dass es jede Menge günstiger Restaurants in der Nähe gibt, die man durchprobieren kann und die allesamt ausgezeichnetes Essen liefern. Das Schlechte ist, dass es kein Müsli mit Joghurt und Früchten gibt, und wer mich nur ein klein wenig kennt, der weiß, wie hier der stete Tropfen meine ansonsten stählerne Widerstandskraft aushöhlt. Aber ich werde bestehen! Wir haben Porridge für geringes Geld in einem chinesischen Supermarkt gefunden, dazu ein paar günstige Nüsse und getrocknete Früchte, das ganze mit dem gesüßten Joghurt, ein zwei (sauteuren) Früchten und ein wenig Milch unklarer Herkunft/Produktionsqualität vermischt und voilá, DIESES sehr stark vorhandene Heimweh sollte ein klein wenig gelindert sein. So der Plan jedenfalls.
Auf dem "Pekinesenpeser" (Ann Sophie), "Roten Blitz" (Benno), "*!§$*™◊!≥‰  !!!" (irgendein Pekinese) unterwegs auf dem Campus des BIT

Nach erfolgreicher Bewältigung dieser ersten Hürde schwärmen wir aus, und da ich mich bisher eher auf die "zweitrangigen" Winkel und schönen Seiten der Stadt fokussiert habe, können jetzt Verbotene Stadt, Sommerpalast, Himmelstempel und die chinesische Mauer mit den anderen zusammen entdeckt werden.

Max hatte Sonntag Geburtstag, da musste natürlich reingefeiert werden. Diesmal in der Nähe vom Worker's Stadium im "Mix", nachdem wir vorher bei einem IKOM-Kollegen vorbeigeschaut haben, der zufällig auch am BIT ein Austauschsemester macht. Lustiger Zufall!
Musikalisch werden hier die gängigen derzeitigen Hits rauf und runtergespielt - der Vorteil ist, dass man alle Texte kennt, der Nachteil die objektiv nicht immer besonders hohe Qualität der Musik ("I CAME IN LIKE A WREEEEEEEEEEEEEECKING BALL")
Nach der vorherigen Nacht überraschte mich dieser Club nicht mehr durch seinen Luxus (man gewöhnt sich traurig schnell dran), trotz allem ist er doch in vieler Hinsicht anders, mehr, und vor allem teurer als vergleichbare deutsche Etablissiments. War noch nie im P1 in München, aber ein Kommilitone, der häufiger dort und in anderen Läden dieser Preisklasse verkehrt, bestätigte mir diesen Eindruck.

Ähnlich wie in Istanbul kann man, wenn man keine Lust mehr hat, einen kleinen Straßensnack zu sich nehmen bevor man nach Hause geht. In Istanbul sind das fangfrische Miesmuscheln, die vom Verkäufer auf Lebendigkeit überprüft und dann mit Zitronensaft gereicht werden; das Stück ca. 50 Cent. In Peking gibt es Hühnchen-, Rind-, Lamm- oder Tintenfischspieße in scharfer Marinade für ca. 60 Cent. Auch sehr empfehlenswert, da diese gut durchgebraten und dadurch (relativ) unbedenklich für den Verzehr sind. Meine Erfahrungen mit äthiopischen Darmproblemen haben sich hier bisher nicht wiederholt - ermöglicht eine um einiges entspanntere Entdeckung der hiesigen Kultur.

Nach dem Ausschlafen ging es nochmals Richtung Wangfujing und Food Street. Mein Room-Buddy Max ließ es sich an seinem Geburtstag dabei nicht nehmen, absolut alles zu probieren, was hier so angeboten wurde. Seidenraupe, Skorpion (klein und groß), Heuschrecke, Seepferdchen, Kalamari, Schlange, allesamt frisch aus der Friteuse und dank des starken Gewürzes nurmehr ohne starken Eigengeschmack - vielleicht auch besser so. Nur bei den Flughunden passte er, das war doch eine Nummer zu hart und ich kann es ihm nicht verdenken.
Tobi beißt sich durch eine Heuschrecke


Abends war dann dank der doch relativ intensiven Abendgestaltung der letzten zwei Tage bei allen früh Schicht im Schacht. Es ist immer noch zu warm um auch nur entfernt an Bettdecken zu denken, die kommen später wenn die frostigen Nordwinde aus der Mongolei kommen - aber dann mit Macht und unerbittlich!
Interessant war mal wieder die Geschwindigkeit des Wetter- bzw. Smogumschwungs am Abend. Zum Abendessen hatten wir noch Werte weit über der 200-Marke. Nach Richtungswechsel und Auffrischen des Windes fiel dieser innerhalb einer halben Stunde unter 20! Die plötzliche Klarheit der Farben scheint im Vergleich zum vorherigen Erscheinungsbild als ob einem ein Schleier von den Augen fällt, grad der auf einmal strahlend helle Mond und die klaren Kontraste sind beeindruckend und machen gute Laune.

Das gute Wetter wollten wir nutzen! Es hielt herrlicherweise den Montag auch noch anWo besser als im mittlerweile schon wohlbekannten Jin Shang Park, zu dem wir uns durch Hutongs hindurchschlugen. Vorher hatten wir ein Picknick eingekauft und konnten so bestens verproviantiert die atemberaubende Aussicht auf Berge, Verbotene Stadt und insgesamt Peking genießen. Immer wieder schön.

Groß, rote bzw. blonde Haare - unsere Mädels Anna und Lotte sind stets beliebte Fotoobjekte - manchmal zu ihrem Leidwesen. Hier allerdings nicht.. :)
Weiter unten ließen wir uns zwischen ein paar Steinen am Hügel unter Bäumen zu besagtem Picknick nieder und probierten uns durch die sogenannten Moon Cakes durch - ein rundes, ca. 4 cm breites und 3cm hohes Teigteilchen, salzig oder süß gefüllt und für uns ohne chinesische Sprachkenntnisse immer ein Abenteuer. Süß geht meist noch, das sind dann Feigenmassen oder Walnussfüllungen oder ähnliches. "Salzig", bewusst in Anführungsstrichen, ist in der schlimmsten Ausführung einfach ein steinhart gekochtes, furztrockenes Eigelb, dass im hohlen Innenraum des Moon Cakes vor sich hinkullert. Abstrus und nicht besonders schmackhaft.

Der Rest der Gruppe wollte sich das Moon Festival nicht entgehen lassen und fuhr zur Marco-Polo-Brücke, wo man sich ein großes Spektakel mit kleinen chinesischen Heißluftballons, Lampions auf dem See und einem wunderschönen Feuerwerk versprach. Ich war neidisch, hatte ich mich doch mit den Jungs und Mädels von Rotaract verabredet, um die 200 Geschenk-Schultüten für die Stiftung "Migrant Children Foundation" zu packen, die wir dort im Rahmen unserer Vorleseaktion Ende September verteilen wollen. Der Abend im Bookworm war gemütlich und sehr lustig, und schlussendlich waren auch alle 200 Tüten gepackt und fertig. Gilbert, der über 60 Jahre alte Chef von Rotary Shanghai und seines Zeichens Fahrradmaniac, war bisher bei jedem Rotaract Meeting dabei und erzählte uns zu meinem Verblüffen wie sehr sich die Clubszene in Peking in seinen 35 Jahren hier verändert hätte. Ich war einigermaßen überrascht - er schien mir nicht derjenige zu sein, der sich die Nächte in Clubs um die Ohren schlägt. Never judge a book by its cover.

Das Moon Festival entpuppte sich als Enttäuschung, lediglich ein paar Bäume hätten per weihnachtsbaumähnlich geblinkt. Nicht die schlechteste Entscheidung zum Bookworm zu fahren.
Die Rotaract-Crew beim Tütenpacken

Heute dann, also Montag, war auch wiederum gutes Wetter vorhergesagt - nur der Smog schlug wieder zu. Nichtsdestotrotz haben Max und ich uns nach einer kleinen Abstimmungsrunde auf den Weg zum Sommerpalast gemacht, der Sommerresidenz der Kaiserwitwe Cixi, die sich den schon vorhandenen See nochmal hat weiter ausheben lassen von schlappen 100 000 Arbeitern und auch ansonsten nicht gegeizt hat bei der Gestaltung ihres Palastes. Sie nutzte dabei Mittel, die für den Ausbau der chinesischen Marine gedacht waren. Da das offensichtlich nicht ganz zweckentsprechend war baute sie als Ehrerbietung für die Marine auf dem frisch ausgehobenen See ein Schiff aus Marmor. Korrekt. Aus Marmor, unsinkbar (da nicht schwimmfähig) und also die chinesische Marine aufgrund der fehlenden Stärkung nicht im Entferntesten korrekt wiedergebend. Egal, sieht toll aus - und ziemlich bizarr, so eine Art historisches Gegenstück zu den heutigen Auswüchsen chinesischen Großmannsstrebens.
Das Marmorschiff von Kaiserinwitwe Cixi
Man kann dort wunderbar durch die Wandelgänge am Ufer entlang lustwandeln zu einer kleinen Insel hin. Auf der Brücke haben viele Leute Drachen steigen lassen. Eine Leine ging dabei nicht nach oben, sondern abschüssig auf den See zu und verlor sich dann. Der Mann am Steuer schaute jedoch angestrengt steil nach oben. Ein anderer, zahnlos grinsender Chinese älteren Baujahrs zeigte breit feixend auf den Drachen, der in geschätzt 300m Höhe (der Drachenpilot hatte bereits einen halben Kilometer Seil ausgegeben) am Himmel hing und eigentlich nicht mehr sichtbar war. Die Menge um ihn herum sprach Bände - eine solche Höhe war aussergewöhnlich.
Pilot mit Schnur links, irgendein salutierender Chinese rechts neben ihm

Von der Insel hatte man in der langsam tiefer stehenden Sonne einen wunderschönen Blick auf den Sommerpalast am anderen Ufer, mit den kleinen Daus und den großen Drachenbootfähren auf dem See davor. Ein schöner Abschluss eines schönen Tages!

Oh, eins hab ich vergessen. Nina von der Uni Regensburg wurde auf dem Campus von Kevin angesprochen, einem Deutsch-lernenden Chinesen, der bald bei BMW hier in Peking ein Praktikum macht. Mit ihm gingen wir Mittagessen und werden morgen zusammen mit ihm und einem Haufen seiner Freunde ein wenig in den Bergen in der Nähe von Peking wandern gehen. Ich freu mich auf richtige Natur um mich herum!
Wir sind anscheinend nicht die einzigen, die momentan eher ruhig machen...

Gute Nacht an alle! :)

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