Samstag, 6. September 2014

Einzug in die Uni und 40 Flaschen Mött

Moin allerseits!

Ich liege gerade auf dem Bett meines neuen Domizils an der Li Gong Dachüe, also an der Uni – weiß getünchte Räume, 4m Deckenhöhe, chinesischer Altbau. Was sich dabei eigentlich ganz ordentlich anhört, ist in höchstem Maße spartanisch: 1 Appartment bestehend aus einem Vorraum, einem Bad und 3 Zimmern a 15qm wird von insgesamt 6 Kerlen bewohnt. AC gibt’s, aber sie geht nicht an. Die Matratzen sehen auf den ersten Blick einladend aus – lang genug, ziemlich breit, ziemlich dick. Wenn man sich drauf setzt, kommt aber die Überraschung: Irgendein Intelligenzbolzen hat die Matratzen als eine Art Sandwich entworfen, so dass jeweils 2 wirklich harte Platten das weiche Innere begrenzen. Es gab weder Decken noch Kissen noch Bettwäsche, wobei Decken momentan noch gar nicht nötig sind. Nachdem ich am Donnerstag also mit dem Fahrrad auf den Campus gefahren bin, war die Beschaffung entsprechender Utensilien die erste Amtshandlung von meinem Zimmerkollegen Max und mir. Dabei kann man nicht einfach zu einer Ausgabestelle gehen und voilá, da hat man sein Zeug. Der Campus des BIT ist wie eine eigene kleine Stadt mit mehreren Supermärkten, „Dinning halls“ [sic!] genannten Mensen in denen man bedient wird, Banken, KTV-Buden (Karaoke), und so viele Menschen wohnen hier auch: Die chinesischen Studenten sind zu sechst auf den Zimmern, auf denen wir zu zweit sind. Ein Appartment wird also von 18 Jungs bewohnt.

Wir also losgestiefelt zu einem der vielen Supermärkte, wo in einem Hinterzimmerchen ein zusätzlicher Krimskramsladen untergebracht ist. Hier kann man von Adiletten (sicher original) über „Versage“ [sic] -T-Shirts (sicher original) und Blumen bis hin zu eben besagter Bettwäsche alles kaufen, und das auf 3qm Ladenfläche. Bzw. fast: Die Bettwäsche inkludiert Kopfkissen- und Deckenbezug, aber noch kein Betttuch. Betttuch? Ne, hätte sie nicht. Sie hat dann nach unserem „Schnittmuster“ aus Stoff, den sie so da hatte (Wahrscheinlich für Gardinen und ähnliches) Bettlaken genäht. Jetzt schläft Max auf einem „Hermes – Paris“-Baumwolllaken (sicher original) und ich auf rosa-violetten Rosen. Passt wunderbar.

Weitere Formalitäten mussten bei der „Verwaltung“ (Summer, ein wahnsinnig nettes Mädel in einem Hinterzimmer irgendwo im Erdgeschoss) erledigt werden, wie die Registrierung, die Bezahlung dieser Registrierung, die Bezahlung des Zimmers für die nächsten 4 Monate (5400 RMB, ziemlich genau 675€, also ca 170€ pro Monat - da kann sich die Maxvorstadt mal ein Beispiel dran nehmen!) und die Auswahl möglicher Kurse, die übrigens nicht vor dem 22.9. losgehen...

Was uns dabei ein voriger Austauschstudent sagte, scheint sich zu bewahrheiten: Es geht hier drunter und drüber, alles ganz entspannt, alles ganz locker und man kann über alles reden und alles regeln – Guang Chi eben.

Mein Rucksack war noch im Hutong in Gulou, der musste abgeholt werden. Die Gelegenheit nutzten wir und drehten noch eine Runde durch meinen alten Kiez; ich fühlte mich erstaunlich zuhause hier. Ein Bierchen im Sonnenuntergang auf einer Dachterrasse über den Hutongs zwischen Trommel- und Glockenturm läutete den Abend ein, Dumplings bei Mr Shi (ein letztes Mal!!) waren mal wieder ein wirklich köstliches Abendessen und danach ging’s zurück ins BIT draußen an der Weigongcun in Haidian. Andere Austauschstudenten waren auch da, die Stimmung war gut, aber da Max noch ein wenig vom Jetlag geplagt wurde, war an diesem Abend relativ schnell Ruhe.

Das sollte sich tagsdrauf, Freitag, gehörig ändern. Aber der Reihe nach:
Max, Tobi (der dritte von den TUM-BWLern am BIT) und ich hatten uns für 9 Uhr verabredet, um die letzten administrativen Dinge zu erledigen und dann zur Verbotenen Stadt aufzubrechen. Das dauert mit der U-Bahn knapp über eine halbe Stunde, und da wir uns einen Wochentag ausgesucht hatten und noch dazu relativ früh unterwegs waren, hielten sich die Menschenmassen im Palast in Grenzen. Nach ein klein wenig Diskussion hatten wir den Ticketverkäufer überzeugt, dass wir wirklich Austauschstudenten seien und deshalb nur 20 Kuai statt 60 zu zahlen hätten. Er sah’s nicht wirklich ein, stimmte aber schlussendlich zu.

Generell kommt man mit ruhiger, charmanter und höflicher aber immer bestimmter Argumentation wirklich weit: Dabei ist ganz egal, ob das nun beim Handeln in einer Silkstreet ist, wo immer noch 10 Kuai mehr herausschlagbar sind, oder bei einem für die Allgemeinheit momentan gesperrten U-Bahn-Ausgang, der aber viel bequemer liegt und man deshalb die Securitydame überzeugt, einen ganz kurz durchzulassen, sieht ja keiner; oder eben bei besagtem reduzierten Preis, auf den wir ohne gültigen chinesischen Studentenausweis eigentlich noch überhaupt keinen Anspruch haben. Sowas macht Spaß!       

Der Eingang zur Verbotenen Stadt, also das Tor des Himmlischen Friedens, ist gar nicht der Eingang, sondern lediglich ein Tor, was einen von vielen Vorplätzen eingrenzt. Schon im Anmarsch auf die Verbotene Stadt werden einem die unglaublichen Dimensionen dieses Palastes bewusst, was sich noch potenziert, wenn man auf den großen Zeremonialplatz tritt, wo früher 20 000 Beamten in einem Farbenrausch ihren Kotau vor dem Kaiser vollzogen haben. Ein Reiseführer meinte dazu, dass angesichts der Dimensionen dieses Platzes und dementsprechend dieser Zeremonien das Ritual perfekt geeignet gewesen sein muss, um beide Parteien – Kaiser und Beamte – von ihrer zentralen Wichtigkeit bezüglich der Beherrschung und Verwaltung der Welt gegenüber dem Himmel zu überzeugen.

Unfassbare Dimensionen - die Halle der Höchsten Harmonie mit dem von Pekingern "Frittierpfanne" getauften Zeremonieplatz davor

Ich kann die Eindrücke leider nur ungenügend wiedergeben – ihr müsst selber hin und es Euch anschauen. Versailles ist Prunk und riesengroß, aber diese perfekte Harmonie, mit der dieser Palast gebaut wurde, hat eine ganz eigene Atmosphäre. Gerade auch in den nördlichen Bauten, also dort, wo der Kaiser und seine Konkubinen wohnten, wird dann die immer noch sehr repräsentative Architektur von kleinen Pavillions und Innenhöfen abgelöst, die fast eine Erholung sind im Gegensatz zu den monumentalen Ausmaßen der südlich gelegenen Zeremonialplätze.
Im Lustgarten der Konkubinen

Danach waren wir alle drei jedenfalls ziemlich im Eimer, man kann das nicht anders sagen. Die Eindrücke sind einfach ein wenig überwältigend.

Was hilft da? Erstmal ein Eis um den Zuckerlevel wieder auf erträgliche Höhen zu bringen (obgleich dies in Peking selten das Problem ist, eigentlich), genügend Wasser trinken, und dann schnellstmöglich eine nette Pinte finden, um den gemütlichen, geruhsamen Abend einzuläuten. Wir wurden in Houhai fündig, einem der „Drei Hinteren Seen“, die malerisch nordöstlich von der Verbotenen Stadt liegen, von Weiden umsäumt sind und wo Dachterassen einen schönen Blick auf die über den Hutongs untergehende Sonne bieten.
Abendliches Hou Hai

Zurück in der Uni trafen wir auf eine Riesencrew deutscher Austauschstudenten, größtenteils Regensburg, München, Darmstadt sowie ein Aachener. Die wollten noch ein gemütliches Bierchen trinken („komm, ne Stunde geht noch. Will auch früh ins Bett), und so machten wir uns auf den Weg. Dabei stellte sich die Regelung der Pforte heraus: Vor 12 muss man draußen sein – sonst kommt man nicht mehr raus, aber man kommt die ganze Nacht rein. In einer Kneipe mit Partymucke schon auf Anschlag gedreht bekam man das Tsingtao (extrem beliebtes hiesiges Bier einer Deutschen während der Kolonialzeit in Qingdao gegründeten Brauerei, die als einzige Brauerei in China nach dem deutschen Reinheitsgebot braut) nur im Fass, aber da wir 15 Mann waren, stellte dies auch kein Problem dar. Wenig später wurden wir von Klaus, der sich als ein ehemaliger Seminarkollege herausstellte, in Taxis verladen und zum „Liv-Club“ geordert.

Das war was.

Liv kommt von „Live in Vacuum“, keine Ahnung auf was sich das beziehen soll. Auf jeden Fall habe ich so einen Laden noch nie gesehen. Man tritt durch einen Seiteneingang und es öffnet sich ein Riesensaal (ca. 60 x 100m) gefüllt vor allem mit dicken weißen und schwarzen Ledersofas, die um große Sofatische gruppiert sind. Die Gruppen an den Rändern sind auf immer höher ansteigenden Plattformen, so dass der Eindruck einer Arena entsteht. Auf den Tischen stehen vielstöckige Etagieren, die in allen Farben und Formen blinken und sich drehen, über 2 Meter hoch sind und gefüllt werden mit kunstvoll aufgeschnittenem Obst, Schnaps irgendeiner teuren Variation und Schampus. Ein bescheidener chinesischer Zeitgenosse hatte sich seine Etagiere ausschließlich mit 40 Flaschen Mött&Schandon bestücken lassen. Ich bewunderte seine Trinkfestigkeit, da er da nur mit drei ziemlich gelangweilt aussehenden, aber dafür umso aufgetakelteren Damen saß, die ein wenig an ihrem Champagner-Glas nippten. Jedenfalls schien das Vergnügen von kurzer Dauer zu sein, der nächste Gast hatte einen Tisch gebucht: Die Etagiere wurde durch eine andere, anders bestückte ersetzt und der arme Kerl musste mitsamt seinen Gespielinnen abziehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Dieses Schauspiel wiederholte sich mehrmals, fast wie ein Kreislauf des Lebens: Chinesen (ausschließlich Chinesen hatten Tische gebucht, Westler oder Schwarze feierten zwar viel ausgelassener, aber auf eher auf der klitzekleinen Tanzfläche vor der riesigen Bühne des DJs) ließen sich zum Beginn ihres Abends an ihren wirklich gut aussehenden Tischen nieder, prosteten sich zu und lehnten mackerhaft in ihren Sofaecken, während die gesamte Gruppierung durch einen hydraulischen Mechanismus um ca. einen Meter angehoben wurde – Sinnbild für die steigende Kraft der Jugend. Auf der Höhe des Lebens thronten sie über den gemeinen Massen, luden gönnerhaft den unten heraufblickenden Pöbel auf das ein oder andere Getränk ein (Priorität dabei eindeutig auf rot- oder blondhaarige, langbeinige und möglichst hellhäutige Mädels) und wurden sich ihrer herausragenden Stellung und ihres Erfolgs wirklich bewusst. Die schöne Phase war, oh Graus, jedoch nur von kurzer Dauer. Allzu früh eilten die dienstfertigen Kellner herbei, und senkten die Plattform herab und mit der Plattform fielen auch die Mundwinkel der gerade noch auftrumpfenden Herren der Schöpfung und der schöne Schein war vorbei.

Zum Rest: Eine unglaubliche Pracht, alles NVV (nur vom Veinsten). Die Musikanlage war der Wahnsinn – das hat wirklich Spaß gemacht, auch wenn man das Gebrüll des Gesprächspartners auf 2cm nicht verstehen konnte: die Musik war gut.

Ich weiß nicht, ob man mir das angemerkt hat, aber so ganz mein Fall war dieser Club nicht.

Wir zogen weiter, aber bei mir war der Ofen ziemlich bald aus. Nachts fährt keine U-Bahn, also kletterte ich nach einer halbstündigen Taxifahrt (ca. 7€) über das Südtor auf den Unicampus und fiel nach einer sehr erfrischenden Dusche todmüde ins Bett – diesmal dank Mückengitter komplett ohne Bettgenossen.


Ein sehr interessanter und aufgrund der Austauschleute auch wirklich lustiger, wenn auch manchmal ziemlich bizarrer Abend!

Der "Shanghai-Bikini" - oft gesehen, stets bewundert

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