Moin allerseits!
Ich liege gerade auf dem Bett meines neuen Domizils an der
Li Gong Dachüe, also an der Uni – weiß getünchte Räume, 4m Deckenhöhe,
chinesischer Altbau. Was sich dabei eigentlich ganz ordentlich anhört, ist in
höchstem Maße spartanisch: 1 Appartment bestehend aus einem Vorraum, einem Bad
und 3 Zimmern a 15qm wird von insgesamt 6 Kerlen bewohnt. AC gibt’s, aber sie
geht nicht an. Die Matratzen sehen auf den ersten Blick einladend aus – lang
genug, ziemlich breit, ziemlich dick. Wenn man sich drauf setzt, kommt aber die
Überraschung: Irgendein Intelligenzbolzen hat die Matratzen als eine Art Sandwich
entworfen, so dass jeweils 2 wirklich harte Platten das weiche Innere
begrenzen. Es gab weder Decken noch Kissen noch Bettwäsche, wobei Decken momentan
noch gar nicht nötig sind. Nachdem ich am Donnerstag also mit dem Fahrrad auf
den Campus gefahren bin, war die Beschaffung entsprechender Utensilien die
erste Amtshandlung von meinem Zimmerkollegen Max und mir. Dabei kann man nicht
einfach zu einer Ausgabestelle gehen und voilá, da hat man sein Zeug. Der
Campus des BIT ist wie eine eigene kleine Stadt mit mehreren Supermärkten,
„Dinning halls“ [sic!] genannten Mensen in denen man bedient wird, Banken, KTV-Buden
(Karaoke), und so viele Menschen wohnen hier auch: Die chinesischen Studenten
sind zu sechst auf den Zimmern, auf denen wir zu zweit sind. Ein Appartment
wird also von 18 Jungs bewohnt.
Wir also losgestiefelt zu einem der vielen Supermärkte, wo
in einem Hinterzimmerchen ein zusätzlicher Krimskramsladen untergebracht ist.
Hier kann man von Adiletten (sicher original) über „Versage“ [sic] -T-Shirts (sicher
original) und Blumen bis hin zu eben besagter Bettwäsche alles kaufen, und das
auf 3qm Ladenfläche. Bzw. fast: Die Bettwäsche inkludiert Kopfkissen- und Deckenbezug,
aber noch kein Betttuch. Betttuch? Ne, hätte sie nicht. Sie hat dann nach
unserem „Schnittmuster“ aus Stoff, den sie so da hatte (Wahrscheinlich für
Gardinen und ähnliches) Bettlaken genäht. Jetzt schläft Max auf einem „Hermes –
Paris“-Baumwolllaken (sicher original) und ich auf rosa-violetten Rosen. Passt
wunderbar.
Weitere Formalitäten mussten bei der „Verwaltung“ (Summer,
ein wahnsinnig nettes Mädel in einem Hinterzimmer irgendwo im Erdgeschoss)
erledigt werden, wie die Registrierung, die Bezahlung dieser Registrierung, die
Bezahlung des Zimmers für die nächsten 4 Monate (5400 RMB, ziemlich genau 675€,
also ca 170€ pro Monat - da kann sich die Maxvorstadt mal ein Beispiel dran
nehmen!) und die Auswahl möglicher Kurse, die übrigens nicht vor dem 22.9.
losgehen...
Was uns dabei ein voriger Austauschstudent sagte, scheint
sich zu bewahrheiten: Es geht hier drunter und drüber, alles ganz entspannt,
alles ganz locker und man kann über alles reden und alles regeln – Guang Chi
eben.
Mein Rucksack war noch im Hutong in Gulou, der musste
abgeholt werden. Die Gelegenheit nutzten wir und drehten noch eine Runde durch
meinen alten Kiez; ich fühlte mich erstaunlich zuhause hier. Ein Bierchen im
Sonnenuntergang auf einer Dachterrasse über den Hutongs zwischen Trommel- und
Glockenturm läutete den Abend ein, Dumplings bei Mr Shi (ein letztes Mal!!)
waren mal wieder ein wirklich köstliches Abendessen und danach ging’s zurück
ins BIT draußen an der Weigongcun in Haidian. Andere Austauschstudenten waren
auch da, die Stimmung war gut, aber da Max noch ein wenig vom Jetlag geplagt
wurde, war an diesem Abend relativ schnell Ruhe.
Das sollte sich tagsdrauf, Freitag, gehörig ändern. Aber der
Reihe nach:
Max, Tobi (der dritte von den TUM-BWLern am BIT) und ich
hatten uns für 9 Uhr verabredet, um die letzten administrativen Dinge zu
erledigen und dann zur Verbotenen Stadt aufzubrechen. Das dauert mit der U-Bahn
knapp über eine halbe Stunde, und da wir uns einen Wochentag ausgesucht hatten
und noch dazu relativ früh unterwegs waren, hielten sich die Menschenmassen im
Palast in Grenzen. Nach ein klein wenig Diskussion hatten wir den Ticketverkäufer
überzeugt, dass wir wirklich Austauschstudenten seien und deshalb nur 20 Kuai
statt 60 zu zahlen hätten. Er sah’s nicht wirklich ein, stimmte aber
schlussendlich zu.
Generell kommt man mit ruhiger, charmanter und höflicher
aber immer bestimmter Argumentation wirklich weit: Dabei ist ganz egal, ob das
nun beim Handeln in einer Silkstreet ist, wo immer noch 10 Kuai mehr
herausschlagbar sind, oder bei einem für die Allgemeinheit momentan gesperrten
U-Bahn-Ausgang, der aber viel bequemer liegt und man deshalb die Securitydame
überzeugt, einen ganz kurz durchzulassen, sieht ja keiner; oder eben bei
besagtem reduzierten Preis, auf den wir ohne gültigen chinesischen
Studentenausweis eigentlich noch überhaupt keinen Anspruch haben. Sowas macht
Spaß!
Der Eingang zur Verbotenen Stadt, also das Tor des
Himmlischen Friedens, ist gar nicht der Eingang, sondern lediglich ein Tor, was
einen von vielen Vorplätzen eingrenzt. Schon im Anmarsch auf die Verbotene
Stadt werden einem die unglaublichen Dimensionen dieses Palastes bewusst, was
sich noch potenziert, wenn man auf den großen Zeremonialplatz tritt, wo früher
20 000 Beamten in einem Farbenrausch ihren Kotau vor dem Kaiser vollzogen
haben. Ein Reiseführer meinte dazu, dass angesichts der Dimensionen dieses
Platzes und dementsprechend dieser Zeremonien das Ritual perfekt geeignet
gewesen sein muss, um beide Parteien – Kaiser und Beamte – von ihrer zentralen
Wichtigkeit bezüglich der Beherrschung und Verwaltung der Welt gegenüber dem
Himmel zu überzeugen.
Unfassbare Dimensionen - die Halle der Höchsten Harmonie mit dem von Pekingern "Frittierpfanne" getauften Zeremonieplatz davor |
Ich kann die Eindrücke leider nur ungenügend wiedergeben –
ihr müsst selber hin und es Euch anschauen. Versailles ist Prunk und
riesengroß, aber diese perfekte Harmonie, mit der dieser Palast gebaut wurde,
hat eine ganz eigene Atmosphäre. Gerade auch in den nördlichen Bauten, also
dort, wo der Kaiser und seine Konkubinen wohnten, wird dann die immer noch sehr
repräsentative Architektur von kleinen Pavillions und Innenhöfen abgelöst, die
fast eine Erholung sind im Gegensatz zu den monumentalen Ausmaßen der südlich
gelegenen Zeremonialplätze.
Danach waren wir alle drei jedenfalls ziemlich im Eimer, man
kann das nicht anders sagen. Die Eindrücke sind einfach ein wenig
überwältigend.
Was hilft da? Erstmal ein Eis um den Zuckerlevel wieder auf
erträgliche Höhen zu bringen (obgleich dies in Peking selten das Problem ist,
eigentlich), genügend Wasser trinken, und dann schnellstmöglich eine nette
Pinte finden, um den gemütlichen, geruhsamen Abend einzuläuten. Wir wurden in
Houhai fündig, einem der „Drei Hinteren Seen“, die malerisch nordöstlich von
der Verbotenen Stadt liegen, von Weiden umsäumt sind und wo Dachterassen einen
schönen Blick auf die über den Hutongs untergehende Sonne bieten.
Abendliches Hou Hai |
Zurück in der Uni trafen wir auf eine Riesencrew deutscher
Austauschstudenten, größtenteils Regensburg, München, Darmstadt sowie ein
Aachener. Die wollten noch ein gemütliches Bierchen trinken („komm, ne Stunde
geht noch. Will auch früh ins Bett), und so machten wir uns auf den Weg. Dabei
stellte sich die Regelung der Pforte heraus: Vor 12 muss man draußen sein –
sonst kommt man nicht mehr raus, aber man kommt die ganze Nacht rein. In einer
Kneipe mit Partymucke schon auf Anschlag gedreht bekam man das Tsingtao (extrem
beliebtes hiesiges Bier einer Deutschen während der Kolonialzeit in Qingdao
gegründeten Brauerei, die als einzige Brauerei in China nach dem deutschen
Reinheitsgebot braut) nur im Fass, aber da wir 15 Mann waren, stellte dies auch
kein Problem dar. Wenig später wurden wir von Klaus, der sich als ein
ehemaliger Seminarkollege herausstellte, in Taxis verladen und zum „Liv-Club“
geordert.
Das war was.
Liv kommt von „Live in Vacuum“, keine Ahnung auf was sich
das beziehen soll. Auf jeden Fall habe ich so einen Laden noch nie gesehen. Man
tritt durch einen Seiteneingang und es öffnet sich ein Riesensaal (ca. 60 x
100m) gefüllt vor allem mit dicken weißen und schwarzen Ledersofas, die um
große Sofatische gruppiert sind. Die Gruppen an den Rändern sind auf immer
höher ansteigenden Plattformen, so dass der Eindruck einer Arena entsteht. Auf
den Tischen stehen vielstöckige Etagieren, die in allen Farben und Formen
blinken und sich drehen, über 2 Meter hoch sind und gefüllt werden mit kunstvoll
aufgeschnittenem Obst, Schnaps irgendeiner teuren Variation und Schampus. Ein
bescheidener chinesischer Zeitgenosse hatte sich seine Etagiere ausschließlich
mit 40 Flaschen Mött&Schandon bestücken lassen. Ich bewunderte seine
Trinkfestigkeit, da er da nur mit drei ziemlich gelangweilt aussehenden, aber
dafür umso aufgetakelteren Damen saß, die ein wenig an ihrem Champagner-Glas
nippten. Jedenfalls schien das Vergnügen von kurzer Dauer zu sein, der nächste
Gast hatte einen Tisch gebucht: Die Etagiere wurde durch eine andere, anders
bestückte ersetzt und der arme Kerl musste mitsamt seinen Gespielinnen abziehen.
Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.
Dieses Schauspiel wiederholte sich mehrmals, fast wie ein
Kreislauf des Lebens: Chinesen (ausschließlich Chinesen hatten Tische gebucht,
Westler oder Schwarze feierten zwar viel ausgelassener, aber auf eher auf der klitzekleinen Tanzfläche vor der riesigen Bühne des DJs) ließen sich zum Beginn ihres
Abends an ihren wirklich gut aussehenden Tischen nieder, prosteten sich zu und
lehnten mackerhaft in ihren Sofaecken, während die gesamte Gruppierung durch
einen hydraulischen Mechanismus um ca. einen Meter angehoben wurde – Sinnbild für die steigende Kraft der Jugend. Auf der Höhe des Lebens thronten sie über den gemeinen Massen, luden
gönnerhaft den unten heraufblickenden Pöbel auf das ein oder andere Getränk ein
(Priorität dabei eindeutig auf rot- oder blondhaarige, langbeinige und
möglichst hellhäutige Mädels) und wurden sich ihrer herausragenden Stellung und
ihres Erfolgs wirklich bewusst. Die schöne Phase war, oh Graus, jedoch nur von
kurzer Dauer. Allzu früh eilten die dienstfertigen Kellner herbei, und senkten
die Plattform herab und mit der Plattform fielen auch die Mundwinkel der gerade
noch auftrumpfenden Herren der Schöpfung und der schöne Schein war vorbei.
Zum Rest: Eine unglaubliche Pracht, alles NVV (nur vom Veinsten).
Die Musikanlage war der Wahnsinn – das hat wirklich Spaß gemacht, auch wenn man
das Gebrüll des Gesprächspartners auf 2cm nicht verstehen konnte: die Musik war
gut.
Ich weiß nicht, ob man mir das angemerkt hat, aber so ganz
mein Fall war dieser Club nicht.
Wir zogen weiter, aber bei mir war der Ofen ziemlich bald aus.
Nachts fährt keine U-Bahn, also kletterte ich nach einer halbstündigen
Taxifahrt (ca. 7€) über das Südtor auf den Unicampus und fiel nach einer sehr
erfrischenden Dusche todmüde ins Bett – diesmal dank Mückengitter komplett ohne
Bettgenossen.
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