Sonntag, 23. November 2014

Sternschnuppen über der Südsee, korrupte Polizei und Dschungelraserei


Kaum saß Mami im Flieger, gingen schon die Vorbereitungen für den nächsten Trip los. Cristina, Max und ich flogen spontan auf die Philippinen. Wie kam denn das?

Mein Schulweg war ja auch schön damals...


Wegen APEC wurden unter anderem alle staatlichen Institutionen in Peking geschlossen – wir hatten 10 Tage einfach Ferien. Die müssen genutzt werden!

Nun, ursprünglich hatten ein paar unserer Kommilitonen, inklusive mir, eine Reise nach Nordkorea gebucht. Ja wirklich, wir wollten nach Nordkorea, unsere Visumanträge waren schon bewilligt, die vom nordkoreanischen Staat zertifizierte Reiseagentur hatte Zugtickets, Überlandbusse und Unterkünfte und außerhalb Pyongyangs gebucht und wir hatten entsprechende Anzahlungen geleistet. Wir waren wirklich auf dem Weg nach Nordkorea und hätten dort einen Blick in eines der isoliertesten Länder dieser Erde werfen können – und vielleicht, auf den Fahrten durch das Land und zwischen den choreographierten Besichtigungstouren vorbildlicher staatlicher Einrichtungen, ein wenig hinter die Kulissen der gigantischen Propagandamaschine blicken können. Ich war wahnsinnig gespannt, weil es in dem Sinne keine schöne Reise werden würde – aber eine einmalige und mit großer Sicherheit sehr spannende.

Der gute Kim bekam jedoch ein wenig Schiss, da Ebola um die Welt geistert und er (wahrscheinlich ziemlich zu Recht) gehörig Respekt vor den Konsequenzen für sein „Gesundheitssystem“ und den Folgen für sein Volk hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass nichts und niemand dort ausgebildet oder ausgerüstet ist, mit einem Ebola-Ausbruch fertig zu werden. Sprich, eine Woche vor Abflug wurde die Grenze für Touristen einfach geschlossen, und wir hatten keinen Alternativplan. Ich fand es einfach sehr schade – da ging eine Chance dahin, von der ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt noch einmal bekommen würde.

Für alle, die Bedenken ob der Reisesicherheit ausländischer Touristen in Nordkorea haben, sei diese Seite des Auswärtigen Amtes empfohlen.

Der Blues griff um sich, und rein aus Neugierde suchte ich auf einem Flugvergleichsportal im Internet, wohin denn im gesuchten Zeitrahmen der billigste Direktflug von Peking aus ins Ausland gehen würde. Siehe da, eindeutig Manila, Hauptstadt der Philippinen – für 315€ einmal Südsee und zurück, und sogar zu halbwegs angenehmen Flugzeiten. Innerhalb einer halben Stunde hatten sich Max, Cristina und ich per WeChat (der chinesischen Alternative zu WhatsApp) koordiniert und der Flug war gebucht. Danach habe ich mal wieder das Auswärtige Amt konsultiert, ein wenig gegoogelt und ein paar Freunde und Bekannte angeschrieben, die dort mal gelebt haben. Neben dem hässlichen, dreckigen und nicht ungefährlichem Moloch Manila, sowie einiger zu meidender Inselgruppen, die Schwierigkeiten mit fundamentalen Islamisten haben, werden das Land und seine Menschen weithin als unglaublich gastfreundlich beschrieben. Zudem sei die Natur atemberaubend.

Cristina hatte ein paar gute Freunde, die derzeit ihr Austauschsemester in Manila machen: Tamara und Juan statteten uns aus mit einer Beschreibung wie wir sie in Manila finden würden und kümmerten sich fortan rührend um uns – von der Abholung, über die Unterbringung, Verpflegung, Betreuung sowie sachdienliche Reisetipps, für alles war gesorgt. Selten so herzliche Gastgeber erlebt, die einen mit unglaublich weit geöffneten Armen in ihr tägliches Leben aufnahmen!

Die Ankunft in Manila war allerdings ein echtes Abenteuer – jedenfalls fühlte es sich in dem Moment so an.

Nach knapp 5 Stunden Flug purzelten wir aus der Maschine, und statt 3°C in Peking fanden wir uns auf einmal 27°C und relativ hoher Luftfeuchte ausgesetzt – und das um halb eins in der Nacht. Der Flughafen selber ist eine Peinlichkeit für einen internationalen Hauptstadtflughafen, selbst das wirklich unterentwickelte Äthiopien hat in Addis eindeutig mehr zu bieten. Bei der Einreise bekommt man ohne viel Probleme einen Touristenstempel in den Pass geknallt und voilá, willkommen auf den Philippinen!

Erste Amtshandlung: Pesos abheben. Wir waren mit unseren DKB-Kreditkarten ausgestattet und wussten, dass man damit überall auf der Welt kostenlos Geld abheben kann. Doof nur, dass beim Ausgang vom Terminal von den fünf vorhandenen Geldautomaten vier gerade „Maintenance“ haben und also ausfallen. Vor dem einzig funktionierenden Automaten bildet sich nachvollziehbarerweise eine lange Schlange; der Gedanke, dass vielleicht nicht mehr genügend Geld im ATM sein könnte um uns die Taxifahrt ins Bett zu finanzieren, setzte sich unangenehm im Hinterkopf fest.

Da steht, als ob er das gerochen hätte, ein smart gekleideter Polizist/Sicherheitsmann neben uns, begrüßt uns und heißt uns auf den Philippinen willkommen. Wir sähen so aus, als bräuchten wir Pesos – er könnte uns einen guten Kurs geben, das wäre kein Problem! Dollars, Euro, Schweizer Franken, Pfund?
Ich brauche einen Moment um das zu begreifen: wir sind gerade seit nicht ganz zwanzig Minuten auf den Philippinen, und der erste Pinoy („Philippino“ in der hiesigen Landessprache Taglisch, einer Mischung aus indigenen Sprachen und der Sprache der ehemaligen spanischen Kolonialherren) mit dem ich seit Einreise Kontakt habe, ist ein korrupter Polizist, der mir Geld auf dem Schwarzmarkt andrehen will. Na Prost Mahlzeit.
Zusammen mit der fortgeschrittenen Uhrzeit trug dies nicht wirklich zu unserem subjektiven Sicherheitsgefühl bei, aber siehe da, wenigstens gab es einen offiziellen Taxistand, an dem man sich ein vertrauenswürdiges, legal zertifiziertes Taxi nehmen würde. Er wusste auch Bescheid wo wir hinwollten, Rucksäcke hinten reingeschmissen und los ging’s.

Der Kerl war unfassbar. Mit einem Fahrstil wie aus einem Computerspiel gab er uns geschätzte Ankunftszeiten zwischen einer halben Stunde und 2 ½ Stunden – und das wechselte gerne mal innerhalb von 10 Minuten. „Traffic jam, sir, Manila is world capital of traffic jam!“ – er rast nichtsdestotrotz mit 130 innerorts die Stadtautobahn entlang. Irgendwann merken wir, dass er beim Überholen von Lastwagen merkwürdig lange zögert und sehr nervös ist. Auch nutzt er die Lichthupe selbst wenn gar keine anderen Autos vor ihm zu sehen sind. Darauf angesprochen meint er trocken, wir würden auch mit aufgeblendetem Licht fahren, wenn wir, wie er, nur 30 Meter weit sehen könnten. Wir haben dann seine allgemeine Fahrtüchtigkeit nicht weiter hinterfragt.
20 Jahre hatte er als Soldat bei den Marines am Flughafen gearbeitet, jetzt war Taxifahren dran – aber nur die Flughafenfahrten, alles andere sei nachts zu gefährlich in Manila. Ausserdem sei seine Frau furchtbar, und Taxifahren böte die Möglichkeit, so wenig Zeit wie möglich zuhause zu verbringen. „My wife, Ma’am, always nag nag nag! Nag nag nag! Is hell at home! This is my last drive today Ma’am, then I go to ladyhouse and see my girlfriend. Only sixteen years old, sir, delicious! Mmmh, no nagging, never.“ Es folgte eine vorstellbar dreckige, selbstzufriedene Lache und wir lachten nervös mit.
Später hörten wir, dass aufgrund des fundamentalistischen Christentums Scheidungen verpönt sind und nicht stattfinden, so dass unglückliche Paare andere Arrangements finden (müssen) – die Gott sei Dank nicht immer Minderjährige einschließen, wie in diesem Fall.

Tamara und Juan holten uns mit ein paar gemieteten Motordreirädern ab, die mit uns ca. 5 Minuten durch ein Wohngebiet heizten bevor wir vor den Toren ihrer Gated Community standen, in der sie mit ein paar anderen Austauschstudenten ein Haus gemietet hatten. Auf meine Frage, warum wir den kurzen Weg nicht gelaufen wären, meinte Juan, das müsse hier um diese Uhrzeit nicht unbedingt sein. Manila ist in Punkto Sicherheit auf jeden Fall auf einem ganz anderem Niveau als Peking, so mein subjektiver Eindruck.

Wir kamen in der Nacht von Freitag auf Samstag an und hatten unsere Weiterreise für Sonntagmorgen geplant. Von verschiedenen Seiten hatte ich gehört, dass Manila wenig von touristischem Wert zu bieten hat. Das kann ich hiermit voll und ganz bestätigen. Vor allem war es ein sehr interessanter Kontrast zu Peking: Für eine Metropolregion mit ca. 13 Millionen Einwohnern existieren zwei U-Bahnlinien, die kreuzweise durch die Stadt ziehen. Sie wurden allerdings so gebaut, dass es nicht möglich ist, in einer Station von der einen in die andere Station umzusteigen. Taxis sind (für Europäer) wahnsinnig günstig, man benötigt sie aber weniger als Fortbewegungsmittel, vielmehr sind sie ein langsam rollendes Sofa im Dauerverkehrsinfarkt, auf den sich unser Taxifahrerfreund vom Abend davor bezogen hatte. Für eine Distanz von 10 Kilometern kann man gut und gerne 3 – 4 Stunden brauchen, wenn man ein wenig Pech hat. Die berechtigte Frage ist, weshalb man dann nicht einfach läuft. Wie schon beschrieben ist dies aus Sicherheitsgründen nicht immer zu empfehlen. Juan meinte zudem, nachts unterwegs zu sein, sei teilweise sicherer als tagsüber, da es nachts schwieriger ist, weiße und somit reiche Menschen von Pinoys zu unterscheiden. Mein natürlich sehr unfairer, weil sehr kurzer Eindruck ist, dass Manilesen vor allem auf Malls stehen, riesige, dekadente Malls, die an allen Ecken und Ende aus dem Boden schießen. Zudem klagten unsere Gastgeber über die schlechte Luft, was (obwohl sie nicht an das Pekinger Niveau heranreicht) für eine Stadt, die auf einer Insel und direkt am Meer liegt, doch bemerkenswert ist.
Interessant war weiterhin, die häufig irgendwo angeschlagenen Lippenbekenntnisse der Regierung zu lesen, die zu mehr Härte gegenüber Drogenanbau, -handel und –konsum mahnte. Gerade der Kontrast zu Schilderungen von Juan war niedlich: er berichtete, dass nur ca. 2 Autostunden ausserhalb von Manila Marijuana angebaut werde wie andernorts Kohlköpfe.

Es war schade, die beiden zu verlassen, aber alle drei waren wir froh, Manila hinter uns zu lassen und Sonntag morgen in den Flieger nach Puerto Princesa, der Hauptstadt der Insel Palawan zu steigen. Ich hatte mir in meiner romantischen Fantasie eingebildet, wir würden in eine kleine Propellermaschine mit wenigen Sitzen steigen und rumpeldipumpel über die Piste sausen.
Nix da, die Reisezeit beträgt ca. 1 Stunden in einem Standard-Airbus – mir war nicht klar, dass wir noch einmal so weit weiterreisen würden.
Puerto Princesa selbst ist ein klitzekleiner Flughafen, dessen Landebahn fast im Meer mündet. Man sieht das Meer auf jeden Fall glitzern, wenn man aus dem Flugzeug steigt.
 
Flugzeugtür auf, da ist das Meer - willkommen auf Palawan!
Draußen warten die unvermeidbaren Horden an Schleppern, aber ausgestattet mit Insidertips von Tamara und Juan zogen wir zielstrebig vorbei und mieteten uns in zweiter Reihe ein Motordreirad (lustige Konstruktionen aus einem normalen Motorrad mit einem auf einem dritten Rad gestütztem Aufsatz, in dem wahlweise aller möglicher Krempel oder eine 7-köpfige Familie transportiert werden), der uns in die Stadt brachte.
 
Alles klar? Das Fortbewegungsmittel der Wahl
Unser loser Plan war es, direkt in das kleine Dörfchen El Nido im Norden der Insel weiterzufahren, aber das wollten wir noch von Puerto Princesa abhängig machen. Wir ließen uns also von dem Motorradfahrer ein nettes Restaurant am Strand von Puerto Princesa zeigen, wo es besten Fisch zur Auswahl gab. Man sucht ihn sich einfach aus, er wird auf den Grill geschmissen, dazu gibt es Reis satt sowie eine Soße die nur und ausschließlich aus Sojasauce, Kalamansi (einer Art Minilimone, groß wie etwa eine Cocktailtomate, sehr erfrischend) und Chili besteht und alles wird auf Bananenblättern direkt am Meer serviert – eine frisch aufgeschlagene Kokosnuss noch dazu, je nach Belieben. Eine hervorragende Stärkung nach den Strapazen der Reise!
 
Mittagessen am Meer

Einfach und unglaublich gut. Die kleinen grünen Kugeln sind die Kalamansi

Hernach kam die Höllenfahrt nach El Nido. Wir wurden mit acht anderen in eine kleine Toyota-Sardinenbüchse gestopft und rasten gegen sieben Uhr abends in völliger Dunkelheit aus der Stadt raus. Das erinnerte ein wenig an die Fahrt durch Äthiopien, nur waren diesmal nicht so viele Leute im Wagen. Dafür interessierte den Fahrer nicht die Bohne, dass die Federung des Wagens nicht mehr existierte, dutzende streunende Hunde nur knapp einem schrecklichen Tod durch Überfahren entkamen und zwischendurch die Straße aufgehört und durch Schotterpiste beziehungsweise Baustelle ersetzt worden war – anscheinend bedurften weder Geschwindigkeit noch Fahrweise einer Anpassung. Wir pesten durch den Dschungel, hin und wieder passierten wir einen Checkpoint der Marines. Etwa alle eineinhalb Stunden machten wir kurz Rast an kleinen mit Bananenblättern gedeckten Bambushütten, in denen geschäftstüchtige Damen den Reisenden ein Abendessen anboten. Höllisch unbequem, weil an die Platzbedürfnisse des durchschnittlichen Pinoy angepasst, versuchten wir ein wenig zu schlafen und hofften, bald anzukommen. Die Hoffnung zerstörte sich recht bald: wir fragten nach jeder Pause, wie lange es noch in etwa sei – die Antwort war jedes Mal „4 ½ Stunden“.

Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wir gegen eins, halb zwei Uhr nachts irgendwo im Dörfchen El Nido mit seinen geschätzten 2000 Einwohnern, aber ohne im Voraus ein Bett gebucht zu haben. Unser Plan war zwischendurch, den Tipps von Tamara und Juan folgend, die erste Nacht am Strand zu übernachten und sich dann vor Ort eine schöne Unterkunft für die darauffolgenden Tage zu suchen. Wir verwarfen dies jedoch bald, da weder Cris noch Max für eine solche Nacht ausgerüstet waren und zum anderen uns nicht klar war, wie harmlos die überall herumstreunenden Hunde wirklich waren, die natürlich auch den nächtlichen Strand bevölkerten. Von einem französischem Freund unserer malinesischen Wohltäter hatten wir die Adresse eines günstigen Hostels direkt am Strand bekommen, das wir daraufhin ansteuerten. Eine verschlafene junge Pinoy checkte uns ein, zehn Minuten später waren unsere Sachen verstaut und wir auf dem Weg zum Strand – einmal baden musste noch sein.

Es war zwei Uhr nachts, wir waren mutterseelenallein am Ende der Welt irgendwo in der Südsee, das Wasser war um die 30°C warm, über uns funkelten die Sterne, die Klänge der einzigen Reggaebar im Dorf, die verzweifelt versuchte Partystimmung aufkommen zu lassen, schwebten über das Wasser zu uns herüber und wenn man sich zwischen den Auslegerbooten auf dem Rücken treiben ließ konnte man hin und wieder eine Sternschnuppe erwischen.

Wir waren angekommen.


Der Strand von El Nido aus unserem Hotel gesehen

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