Mittwoch, 19. November 2014

Mami in Peking, prügelnde Polizisten und gefressene Kreditkarten

Moin nach Deutschland!

Bevor ich anfange:
Wer mal nur Bilder sehen möchte, dem sei folgende Seite empfohlen: www.instagram.com/yckmvb

Nach dem der vorige Post den Fokus sehr auf die Politik gelegt hat, geht es jetzt um die wichtigen Dinge im Leben:

Beispielsweise kam Mami an einem schönen Freitag Abend (lediglich 280 Smog) Ende Oktober in Peking an. Sie war auf Geschäfts-Weltreise durch Nordamerika, grad an der US-Ostküste angekommen und musste weiter Richtung Singapur. Dabei stellte sich heraus, dass der Pazifik doch ein wenig größer sei und man aufgrund der Erdkrümmung von LA aus über Alaska und Sibirien quasi über Peking nach Singapur fliegt. Also überlegte sie sich schönerweise eine Woche Ferien in Peking zu machen und mich zu besuchen. So hohen Besuch bekommt man nicht alle Tage, und dementsprechend fein putzte sich Peking heraus: Überall wurden Blumen gepflanzt, Banner aufgehängt, Fabriken durften insgesamt 2 Wochen lang nicht arbeiten um die Verschmutzung auf ein Minimum zu reduzieren, der Airport Expressway in die Stadt war für VIP reserviert, Unis, Schulen und Behörden wurden geschlossen und tausende emsige kleine Chinesen polierten öffentliche Orte und Plätze auf Hochglanz – alles nur, weil Mami auf der Durchreise ist. Sehr passend!

Dieses Bild wurde tatsächlich in Peking gemacht. So schön ist es, wenn Mami kommt!
Das parallel auch noch Obama, Putin und ca. 10 000 weitere politische und wirtschaftliche Würdenträger aus den Pazifik-Anrainerstaaten zum Asian Pacific Economic Cooperation Counsil (APEC) nach Peking gekommen waren, hat mit den Vorbereitungen in Peking selber sicher nichts zu tun.

Mami war trotz 12h Flug und 9 Stunden Zeitverschiebung fit und motiviert, und so kam sofort der erste China-Schock: Airport-Express in die Stadt und von dort aus per Taxi weiter – so mein Plan. Wir stiegen also in Dongzhimen, im Osten der Verbotenen Stadt aus und versuchten in heftigster Rush Hour, ein Taxi zu ergattern. Obwohl Taxis haufenweise vorbeifahren, viele davon leer, haben wir keine Chance, eins zu bekommen; dafür habe ich bisher noch keinen wirklichen Grund gefunden. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass die Kommunikationsprobleme zu groß sind.
Jedenfalls geben wir nach kurzer Zeit unverrichteter Dinge auf und schmeißen uns in die U-Bahn. Mami ist in Peking noch nie U-Bahn gefahren und froh, als wir endlich ankommen. Aber auch hier, in einem ruhigeren Teil der Stadt östlich von der Verbotenen Stadt hatten wir kein Glück. Erst die Hilfe eines Hotelportiers eines Luxushotels verhalf uns zum blau-gelben Taxiglück – in wenigen Minuten waren wir in Mami’s Pekinger Residenz. Hervorragend gelegen (aus dem Hotel gelaufen und nach links geblickt lag dort das Dong’anmen, das Osttor der Verbotenen Stadt) und trotz APEC nicht ausgebucht hatte Mami hier wirklich einen Schnapp gemacht.

Ein kleines abendliches Hüngerchen wurde auf der Food Street gestillt und ich hob ein wenig Kleingeld für Mami ab, wobei ich selbstverständlich eine Quittung verlangte. Das war großes Pech, da mein prekonditioniertes Gehirn den Vorgang „1. Geld abheben, 2. Kreditkarte entnehmen“ nach Entnahme von 1. Geld und 2. der Quittung abgeschlossen hatte, ohne die Kreditkarte eines weiteren Gedankens zu würdigen. 30 Sekunden später hatte der Automat meine Karte gefressen und machte keine Anstalten sie wieder herzugeben. Also begab ich mich in den nächsten Tagen auf das Abenteuer „ deutsche Kreditkarte von chinesischer Bank zurückerobern“.
Anderntags genoss ich ein ausgedehntes, herrliches Frühstück bei Mami im Hotel. Kräfte waren notwendig; wir hatten uns die Verbotene Stadt vorgenommen.
Als wir in der 150 Meter langen Schlange standen um mit 2000 anderen Menschen durch den Sicherheitscheck den Platz des Himmlischen Friedens zu erreichen (der eigentlich Platz des Tores des Himmlischen Friedens heißen sollte, wenn man klugscheißen möchte – was mir natürlich völlig fremd ist) bemerkten wir Tumult auf der Chang’an Avenue, der achtspurigen Straße die Peking 34km lang von Osten nach Westen durchschneidet und die Verbotene Stadt vom Tian’anmen-Platz trennt.

Eine junge Dame, elegant und modern in Trenchcoat, Bleistiftrock und entsprechenden Schuhen angezogen, hatte versucht, den Tian’anmen auf der Chang’an zu überqueren. Einem Polizisten missfiel dies offensichtlich und die Auseinandersetzung eskalierte so schnell und so gründlich, dass wenige Momente später zwei weitere Polizisten hinzugestoßen waren und zu dritt auf die Dame eingeschlagen wurde, die versuchte, sich mehr schlecht als recht mit ihrer Handtasche zu verteidigen. Für mich war es unbegreiflich, dass drei männliche chinesische Polizisten und somit Staatsrepräsentanten eine junge Dame auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit über 2000 direkten und durchaus auch internationalen Zuschauern vermöbeln würden, weil diese so unverschämt ist, den falschen Weg über den Platz zu nehmen. Einblick in einen nervösen Machtapparat...

Der Schönheit der Verbotenen Stadt tat dies jedoch keinen Abbruch: Bei klirrend kaltem Wind und klarer Luft (der Himmel war so blau in diesen Tagen, dass er von Pekingern als #APECblue in sozialen Netzwerken betitelt wurde) wanderten Mami und ich durch die riesige Anlage. Beide waren wir schon mal da gewesen, aber man entdeckt trotz allem jedes Mal etwas Neues: eine mir völlig unbekannte Seitenachse öffnete sich uns, und durch die Residenzgemächer der Kaiserwitwe Cixi schlenderten wir Richtung Ausgang, völlig platt von den Eindrücken dieses großartigen Palastes. Die Verbotene Stadt hat eine besondere Aura: man kommt völlig fertig ob der Eindrücke heraus aber innendrin ist man weitab von allen tagespolitischen Entwicklungen, die draußen so wichtig sind. Es ist auch völlig still und man sieht (außer in den höher gelegenen Teilen) keinerlei andere Häuser außerhalb der Verbotenen Stadt, so dass man mitten in Peking auf einmal mehrere Jahrhunderte in die Vergangenheit reist.

Stärkung tat Not nach mehreren Stunden in der Verbotenen Stadt! Gut, dass gerade eine Elektro-Rikscha vorbeikam und uns höchst komfortabel zur Nanluogoxiang brachte, ein nettes kleines Gässchen, dass vor allem von chinesischen Touristen frequentiert wird. Wir schlenderten hindurch, fanden einen herrlichen kleinen Juwelier, der Schmuckstücke aus 400 Jahre alten Porzellanbruchstücken machte, sowie ein höchst gemütliches Kaffee – treue Leser dieses Blogs wissen, dass ich dort einen Sonntag lang meinen Kater gepflegt habe. Wir wollten aber zu Mr Shi und seinen hervorragenden Dumplings. Mami hatte am Abend zuvor an der Wangfujing Food Street schon einmal Dumplings probiert, wo sie nicht frisch und dazu viel zu fettig sind, und sollte nun positiv überrascht werden.

Hernach wartete, wegen der Messe zu Allerheiligen, ein Taxitrek zur Deutschen Botschaft auf uns. Die Taxifahrerin war besonders goldig: Ich sagte ihr, wo wir hinwollten, sie unterhält sich hochmotiviert mit mir und ich radebreche nach Möglichkeit gegenan – haufenweise völlig unberechtigter Komplimente für mein ach so „exzellentes“ Chinesisch waren das Resultat.
Nach der Messe warteten schon Max, Cristina, Lotte plus Familienanhang, Baibai, Dennis, Kevin und Philipp auf uns; wir wollten zusammen eine Pekingente in der Nähe der Botschaft essen. Da ich (noch) Student bin, genieße ich das Angebot von meinen Eltern, mich und ein paar Freunde zum Abendessen einzuladen, wann immer und wo auch immer sie mich besuchen kommen. Sie lernen so mein Umfeld kennen und meine Freunde lernen meine Mutter oder meinen Vater oder beide kennen. Ich bin jedenfalls immer sehr dankbar dafür!

Nach einem guten Frühstück am nächsten Morgen brachen wir auf zum Lamatempel, den ich schon einmal beschrieben habe. Mami hatte ihn vor 10 Jahren schon besucht, bei mir war das ein wenig kürzer her – beide waren wir wieder beeindruckt von der Ruhe, die der religiöse Komplex ausstrahlt und von der Inbrunst mit der dort der Lama-Buddhismus praktiziert wird – gerade von jungen, modernen und (meine subjektive Annahme) vergleichsweise gut ausgebildeten Chinesen.
Das Hauptgebäude des Lama-Tempels

Junge Pekinesen entzünden ihre Räucherstäbchen

Auch vor dem Hintergrund der politischen Spannungen mit Tibet ist es bemerkenswert, wie wichtig der Lama-Buddhismus im Herzen von China’s Machtapparat für viele Chinesen ist und wie frei hier diese Religiosität gelebt werden darf. Kein Wort allerdings vor, im oder am Tempel über die Existenz irgendeines Dalai Lamas zu irgendeinem Zeitpunkt, das wäre zu viel verlangt.

Mami im Lamatempel
Besuche im nahe gelegenen Konfuziustempel und der alten kaiserlichen Akademie boten sich an, die, anders als der Lamatempel, von Touristen fast vollständig gemieden werden. Vor allem die Akademie ist sehr beeindruckend: Hier thronte der Kaiser zentral in einem Prachtbau und hielt Vorlesungen vor Tausenden nach dem strikten Leistungsprinzip ausgewählten hochtalentierten Studenten aus dem gesamten Kaiserreich, die in die höheren Verwaltungsränge aufsteigen sollten. Da die Stimme des Kaisers dann doch nicht stark genug war, wurde das Gehörte per Mund-zu-Mund-Übertragung an die weiter entfernt sitzenden Studenten weitergegeben. Daher stammt, nehme ich an, das englische Äquivalent zur deutschen „stillen Post“, nämlich das „Chinese Whisper“.
In den Seitengebäuden um den zentralen kaiserlichen Vorlesungssaal herum studierten und lernten die Studenten. Eine Ausstellung demonstrierte eindrucksvoll die Struktur des chinesischen Bildungssystems:
  • Jeder konnte sich auf den Weg durch das vielstufige Prüfungssystem machen, Herkunft spielt nur bei der Stellenvergabe eine (nachrangige) Rolle
  • Gute Resultate bedeuten gute Beamtenstellungen und somit gesellschaftlichen Aufstieg, Ansehen, Macht und Geld – theoretisch erreichbar für jeden, es gilt das Leistungsprinzip
  • die Lernunterlagen waren frei verfügbar, damit war wiederum die Durchlässigkeit des Systems gesichert
  • Die Prüfungen waren extrem kompetitiv: in jeder Stufe wurden maximal 3% zur nächsten Stufe durchgelassen
  • Um die Vergleichbarkeit der Resultate zu sichern waren die Prüfungen seit ca. 1350 im ganzen Kaiserreich standardisiert. Wir haben in Deutschland fast 700 Jahre länger gebraucht um die Vorteile zentral gestellter Prüfungen einzusehen – und sie sind eigentlich immer noch nicht wirklich zentralisiert
  • Die letzte Prüfung fand in einer eigens dafür gebauten Halle in der Verbotenen Stadt statt, die in ihrer Position und Größe der zentralen Thronhalle des Kaisers ebenbürtig ist. Wer hier bestand, gehörte fortan zu den Reichsten und Mächtigsten des Reiches, musste dafür aber auch ca. 10 Prüfungsstufen überstehen

Eine der Stelen die als Vorlage für die Lehrbücher fungierten: sie wurden auf Reispapier durchgepaust und ins ganze Land verschickt


Dieses Prüfungssystem beeinflusst die chinesische Lebenskultur bis heute bis ins Mark: Es zählt nur, wer der Beste/ Erfolgreichste / Reichste / Mächtigste ist, alles andere ist nicht relevant. Auswendiglernen ist bis heute die wichtigste Kernkompetenz im Ausbildungssystem und Generalmethode, um sich alles von Mathematik über Fremdsprachen, Geschichte, Politik und Businesskonzepte reinzubimsen. Expats bei den schon zitierten großen deutschen Automobil- und Pharmakonzernen sagen, dass chinesische und ausländische (also "westliche") Praktikanten in vielen Feldern absolut auf Augenhöhe seien. Jedoch kann es durch die hiesige Ausbildung, der dadurch akquirierten Problemlösungsmethoden und der sehr großen kulturellen Unterschiede vor allem bei Transferleistungen zu Problemen führen. Wenn etwas nicht auswendig gelernt wurde, kann es manchmal schwierig werden, so der Grundtenor – eine Konsequenz ist beispielsweise, dass deutsche Firmen in Peking vermehrt auf deutsche Austauschstudenten in Peking zugehen, um diesen aktiv Praktika anzubieten; die sind ja schon in Peking. Fragt mich bitte nicht wie das mit chinesischem Arbeits- und Einwanderungsrecht vereinbar ist, da diese ja eigentlich nur auf einem Studentenvisum in Peking sind.

Bei älteren, erfahreneren chinesischen Mitarbeitern sei das logischerweise anders, da hier die Berufserfahrung eine wichtige Rolle spielen würde. Die kulturellen Unterschiede sind aber trotzdem markanter als in Richtung Arabien, Nord- oder Südamerika.

Diese kulturellen Unterschiede führen im Alltag zu netten kleinen Anekdoten, die in meinem Umfeld vor allem humoristischen Wert haben: Beispielsweise bat mich ein chinesischer Freund um Hilfe: Ein Kumpel von ihm wolle eine Firma gründen, die Tanzunterricht gibt und professionelle Tänzer miteinander vernetzt, wortwörtlich ins Englische übersetzt sollte sie „Dancing MBA“ heißen. Nun fände er den Klang nicht besonders reizvoll, ob es da nicht noch eine andere Möglichkeit gebe? Ich war überrascht, und fragte, warum der Kumpel „MBA“ gebraucht hätte, wenn es sich dabei doch um den „Master of Business Administration“ handelt, der mit Tanzen ja absolut nichts zu tun hat?

M. (so nennen wir ihn hier mal) war dies wohl bewusst. Er erklärte mir, dass sehr viele Chinesen, gerade in den größeren Städten wissen, dass ein MBA ein hochqualifizierender Abschluss ist – sehr wenige wissen aber, wofür die drei Buchstaben stehen. Es werde quasi als generelles Know-How-Qualitätsmerkmal angesehen, wie etwa „Made in Germany“ als generelles Produktqualitätsmerkmal gilt. Ein MBA sei keinesfalls eine fachspezifische Qualifikation im Wirtschaftsbereich. Das hat mich ein wenig umgehauen, muss ich zugeben.

Ein anderes Beispiel, ganz anderer Kontext: Bei einer der APEC-Zeremonien sitzen China-Chef Xi Jinping und ein anderer wichtiger Mensch zusammen auf dem Podium und schnacken, es ist eisekalt. Auf der anderen Seite von Xi sitzt seine Ehefrau, die ebenfalls friert, neben ihr der starke Mann Russlands. Putin sieht, dass China’s First Lady kalt ist und legt ihr, nach feiner russischer Art, eine Decke über die Schultern – in diesem Video zu sehen. Dieses Video wurde von chinesischen Autoritäten sofort zensiert und war in hiesigen Medien nie zu sehen, da dies einen Gesichtsverlust für Xi Jinping bedeutete, der es offensichtlich versäumt hatte, das Wohl seiner Ehefrau im Blick zu behalten – aus meinem deutschen Blickwinkel heraus absurd.

Solche Sachen können, mit genügend Humor, Zeit und Geduld genommen, das Leben hier sehr spaßig erscheinen lassen. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese Dinge sehr anstrengend werden wenn etwas zeit- oder geldkritisch ist, wie zum Beispiel im geschäftlichen Umfeld.

So, genug des Exkurses. Nach der kaiserlichen Akademie ging es jedenfalls im Geschwindschritt per Taxi nach Haidian, wo ich Mami meine Uni, meine Unterkunft und meine unmittelbare Umgebung zeigte – hier essen wir häufig Streetfood, da ist die nette Dame vom Obststand, hier ist das Cafe wo wir häufig Chinesisch lernen und dergleichen mehr. Was meine Unterkunft angeht habt ihr ja die Details im letzten Post bekommen. Mami’s Kommentar: „Das könnte ich den Eltern eines 14-jährigen Deutschen nicht verkaufen“ – und doch ist es noch so viel besser als die Unterkunft für die Chinesen. Sie musste, als sie ins Gebäude wollte, ihren Pass abgeben und es wurde eine Photokopie von allem möglichen gemacht, was sie an Dokumenten dabei hatte und relevant oder irrelevant ist. Ein kleines Studenten-Abendessen bei meinem Stamm-Streetfood-Mann stärkte mich für die Präsentation, die ich abends noch halten durfte: Um vier ECTS-Punkte an der TUM zu bekommen, sollten wir eine viertelstündige Präsentation halten, die ein derzeitiges / früheres Forschungsprojekt von uns vorstellt. Ich find’s spannend weil man mit ganz unterschiedlichen, teils sehr wenig verwandten Themenkomplexen in Berührung kommt, die von Leuten vorgestellt werden, die sich eingehend damit beschäftigt haben. Andererseits genial, weil ich so neue ECTS-Punkte für bereits erbrachte Leistung bekomme und diese so doppelt vergütet wird. Da bin ich voll für Sustainability und Recycling und so.

Lustig wird es, wenn der auch anwesende arabische Promotionskandidat des BIT eine konzeptionell unausgegorene, statistisch dilletantische und (meiner Meinung nach) nur beschränkt relevante weil wenig Neues zeigende Arbeit in bester 3.Klasse-Referat-Manier präsentiert.
Der lustige Aspekt weicht kollektivem Fremdschämen, als Prof. Meng aufsteht, fragt, ob besagter Promotionsstudent etwa schon veröffentlicht hätte. Sichtlich geschockt da dies der Fall ist, beginnt er nun die Arbeit und vor allem deren Präsentation nach Strich und Faden vor versammelter Mannschaft auseinanderzunehmen; der bedröppelte arme Kerl kommt noch nicht mal mehr zu Wort. Wir haben uns fix aus dem Staub gemacht...

Das war auch gut so, mussten wir doch früh ins Bett um am nächsten Morgen frisch wie ein Gänseblümchen von Hu Xiao abgeholt zu werden, der uns zur nahe gelegenen Mauer bringen sollte. Der Tag war herrlich, die Luft frisch und klar – so macht Peking Spaß! Bitte mehr APEC in Zukunft.
Hu Xiao rauschte los, und zwar so, dass Mami ganz anders wurde. Er hat den chinesischen Verkehr gemeistert und fährt sehr sicher seit über 20 Jahren – aber eben auch sehr aggressiv und schnell. Benno, dem wir diese Wohltat (wieder einmal) zu verdanken hatten, verdrehte nach meiner Schilderung die Augen und meinte, seit acht Jahren versuche er, diese Fahrweise abzuerziehen – ich glaube nicht, dass dies von Erfolg gekrönt war, wir waren jedenfalls verdammt fix dort, wo wir hinwollten.
Die Mauer liegt etwa 300 Höhenmeter über dem Tal und zieht sich immer über die höchsten Punkte über die Hügel, so dass sie gegen den Horizont ein imposantes Bild abgibt, wie sie sich wie ein chinesischer Schlangendrachen durch die Landschaft schlängelt. Ich war vor ein paar Wochen schon mit 350 Austauschstudenten vom BIT hier gewesen (logistische Meisterleistung des International Office, uns in 5 Reisebusse zu bugsieren...) und muss sagen, dass es dieses Mal zum einen bedeutend leerer war (Montag morgens statt Samstag nachmittag) zum anderen nur mit Mami doch noch mal was anderes als mit 350 Austauschstudenten und last but not least auch hier der reduzierte Smog wahnsinnige Auswirkungen auf die Sichtweite hatte. So wirkte die Mauer noch beeindruckender, als es sowieso schon der Fall ist. Bin sehr dankbar, dass ich sie sehen und auf ihr wandern durfte!
Gut zu sehen, wie sich die Mauer über die Hügelketten im Hintergrund schlängelt
Ein Herbst in Peking kann sehr schön sein!

Mutter und Sohn auf der Mauer

Als Dank für seine Dienste brachten wir Hu Xiao ein Snickers mit (Trinkgeld ist absolut unüblich in China, weder in Restaurants, für’s Taxi oder im Hotel wird es gegeben) und das freute den guten Kerl so sehr, dass er (wiederum mit halsbrecherischen Manövern bei unglaublicher Geschwindigkeit) eine Extrarunde um das olympische Gelände drehte, das Mami und ich beide noch nicht gesehen hatten – für mich hatte es sich bisher nicht ergeben und Mami war vor 10 Jahren weit vor den olympischen Spielen in Peking gewesen. Damals standen dort noch überall Hutongs. Heute durften wir nicht besonders nah ran, alles bereitete sich auf die APEC-Konferenz vor, die auf zwischen Aqua-Cube und Bird’s Nest stattfinden sollte. Sichtlich stolz auf die avantgardistische Architektur die China hier produziert hat, wurde wir eine halbe Stunde zwischen den einzelnen Stadien, Pressezentren und ehemaligen Athletenunterkünften hin und her gekurvt, bevor Hu Xiao uns im Central Business Distric (CBD) in Guomao rausschmiss, und der nächste Höhepunkt auf uns wartet.

Mit Max habe ich das schon erkundet, Mami wollte ich es nicht vorenthalten: Ein Tee auf 360 Meter über der Stadt mit tollem Blick die Chang’an-Avenue hinunter Richtung Westen und (bei gutem Wetter, wie heute) sogar die Verbotene Stadt glitzert in der untergehenden Sonne. Wir lassen es uns gutgehen, bestellen einen „Afternoon Tea“ mit einer Etagiere voller Köstlichkeiten und genießen den atemberaubenden Blick auf die langen Unterhosen des berühmten CCTV-Gebäudes (kleine Nebenanekdote: Xi Jinping hasst die Architektur dieses Gebäudes und würde es im Zuge seiner „entarteten Kunst“-Rede nie wieder zu so einer Entgleisung und hemmungslosen Einfluss fremder Kulturen kommen lassen, so Benno). Als wir gehen wollen, quatscht mich eine junge Chinesin an, die UNBEDINGT irgendwann mal einen Kaffee mit mir trinken möchte, und besorgt sich meinen WeChat-Kontakt. Mami ist ein wenig verblüfft, wie unverblümt und offensiv die junge Dame agiert.

 
Blick von unserem Tisch im World Trade Center auf das CCTV-Gebäude

Wir beschließen, dass dies ein gutes Ende des Tages ist und treffen uns am nächsten Morgen, weil ich eine Überraschung für Mami vorbereitet habe: Vor einigen Wochen hatte ich schon das große Glück, mit Philipp einen chinesischen Kochkurs machen zu dürfen, in dem wir in die Wunder der handgezogenen Nudeln eingeweiht wurden. Dieser Kochkurs fand in einem alten, vorsichtig renovierten Hutong statt, es schmeckte unglaublich gut und die Atmosphäre war super – kurz, hier musste ich mit Mami hin. Nachdem nun in Peking aber vor allem die „jiaozi“-genannten Dumplings berühmt sind, hatte ich einen entsprechenden Kurs gebucht und eben dorthin machten wir uns auf den Weg. Mami hat’s geliebt, das Essen war viel zu viel aber sooo gut: die eine Füllung bestand aus Lotuswurzeln, Ingwer, Knoblauch und Schweinefleisch und die andere aus chinesischem Bärlauch, Rührei und Koriander, beide Füllungen noch mit ein paar chinesischen Gewürzen ergänzt. Dazu ein frischer Chinakohlsalat sowie grüner Tee und ein Haufen Grundbedürfnisse waren aufs angenehmste gestillt.

Der Innenhof des Hutongs, in dem wir unseren Kochkurs hatten

Gleich geht's los!

Das war auch gut so, wartete doch sogleich das nächste Abenteuer auf mich: Meine Kreditkarte steckte ja immer noch im Automat / bei der Bank / irgendwo im Orkus fest, und da dieses kleine Stück Plastik mein einziger Schlüssel zu angenehmen Geraschel im Geldbeutel ist, war ich durchaus bereit, ein paar Stunden zu investieren um sie wiederzubekommen. Es ist möglich, aber man muss es wollen. Zunächst ruft man die Hotline an, die auf dem Bankautomaten steht, das geht nur mit chinesischem Handy – diese Hürde hatte ich also schon genommen. Nun musste aber per Nummern drücken der Weg durch ein chaotisch aufgesetztes Dial-Menü gefunden werden, bis man im Unterpunkt „Kreditkarte eines ausländischen Institutes an einem Geldautomaten in einer automatisierten Filiale (ohne Bankberater) verloren wobei eine Quittung vorhanden ist“ angelangt ist. Sodann wird man an eine mehr schlecht als recht Englisch sprechende (immerhin!) Dame weitergeleitet, die einem verkündet, man sei hier leider falsch, aber könne bei Bedarf zur richtigen Stelle weitergeleitet werden. Dort sagt man mir, ich sei zwar richtig, aber hätte ich Chinesisch-sprechende Bekannte? Ich bekäme nämlich eine weitere Nummer, nein, direkte Weiterleitung sei nicht möglich, und dort könnte ich nachfragen wo nun meine Karte sei. Ob ich einen Blick auf meine Quittung werfen könnte? Wenn dort folgender Code gedruckt ist, muss allerdings einer anderen Prozedur gefolgt werden, wait a moment please...

Nachdem ich also mit Hilfe mehrerer Hotelangestellter irgendwann Passierschein A38 eingesammelt hatte und wusste, wo meine Karte ist, saß ich 3 Stunden in einer Bankfiliale um die Ecke und wartete, dass mein Nümmerchen aufgerufen wird. In Deutschland kennt man die Prozedur: Da steht „138“ auf dem Zettel, momentan wird die 101 bedient, jetzt ist 102 dran. Das wäre zu einfach.
In China’s Banken sind vor den Nummern noch Buchstaben, die (so meine auf wackligen Indizien beruhende Theorie) nach Art des Anliegens vergeben werden, weswegen man in der Filiale sitzt. Im Endeffekt hat man also bspw. Nummer X1034, die letzte aufgerufene X-Nummer war X0983, es werden aber ständig nur J- und W-Nummern aufgerufen: J230, W629, etc.; dann auf einmal eine X-Nummer! X-1269 bitte zum Schalter? Hab ich was verpasst? Ne, ich bin nur aus irgendeinem Grund irgendwann später dran, der Himmel weiß warum.
Nein, sicherlich keine völlige Willkür, aber es fühlt sich so an und braucht Stunden.

Mit Benno sind wir an dem Abend gegen sechs verabredet, ich rufe ihn gegen vier an und erkläre, dass ich in einer Bank sitze – „Ah. Ja, vor sieben wird das keinesfalls was; danke, ich weiß Bescheid“. Bei der Allianz machen sie es so, dass ein Fahrer mit der Nummer in der Bank (die angenehmerweise im selben Haus ist) sitzt und dann anruft, wenn die Nummer gleich aufgerufen wird – drei Stunden Arbeitszeitverlust wegen einer kleinen Bankangelegenheit kann sich kein Unternehmen leisten.

Wenig später (ok, das ist relativ zu verstehen) halte ich das Objekt der Begierde in der Hand und wir machen uns auf den Weg zu Benno, der uns zu einem kleinen Sekt eingeladen hat, dem ein sehr nettes Abendessen folgt.

Und das war auch schon Mami’s Zeit in Peking! Fix ging sie vorbei, aber schön war’s und ich hab mich sehr gefreut mein Leben hier jemandem zeigen zu können, der mich so gut kennt.


Nächstes Mal geht’s ins Paradies auf die Phillipinen!

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