Sonntag, 16. November 2014

Studentenunruhen und autoritäre Staatsführung

Hallo Welt!

Hab mich lange nicht gemeldet und bitte um milde Nachsicht - wenn sich hier ein gewisses Alltagsleben etabliert hat, ist es schwierig, für Euch ungewohnte und teilweise auch völlig absurde Eigenheiten des Lebens in China zu beschreiben. Ich passe mich notwendigerweise an und gewöhne mich. Ein Besuch im oder aus dem Ausland kann da helfen, die Alltagsbrille von vernebelnder Gewohnheit zu reinigen und mit neuem, frischen Blick die Welt um einen herum wahrzunehmen. Aber der Reihe nach:

Letzter Stand war, dass Max und ich aus Guilin zurückkamen. Ich muss sagen, dass ich danach ein wenig in ein Loch fiel - zum einen aus gesundheitlichen Gründen (leichte Erkältung) aber auch und vor allem, weil wir danach tagelang Smogwerte hatten, die häufig über der 500 lagen - wenn nicht sogar höher. Das geht auf die Psyche, weil alles mit einem grindigen Grauschleier überzogen ist, als ob das Bild unscharf und kontrastarm sei. Dazu ein gescheiter Husten und ein paar Änderungen unserer Lebensumstände, auf die ich später eingehen werde und fertig ist er, der Chinablues.
Tai Chi im "Morgengrauen" (cp24.com)

Ziemlich bald bekamen wir die Noten unseres geliebten Professeur F. für Luxury Industry Management, der (habe ich das schon erwähnt?) überhaupt kein Professor ist, auch nicht (wie von ihm behauptet) an der ESCP gelehrt hat. Nein, er hat noch nicht mal einen Doktor, sondern taucht lediglich in einer Alumniliste der ESCP an obskurer Stelle auf; Google sei Dank. Was das für ein Licht auf die Uni wirft, die den Kerl angestellt hat, brauch ich jetzt nicht gesondert zu erwähnen.
Wir bekamen die Noten als zusammengeschluderte Excel-Liste, in der alle Noten, nach den einzelnen Bewertungsschemata (mündliche Mitarbeit, Präsentation, Paper, etc) aufgedröselt von ALLEN Austauschstudenten veröffentlicht waren. Das ist in etwa so, als ob der Arbeitgeber die Gehaltsdetails sämtlicher Angestellten veröffentlicht - vollkommene Transparenz, und das in China! Nur leider im falschen Bereich.

Die Austauschstudenten wunderten sich über die nicht nachvollziehbare Notenvergabe und ärgerten sich über die doof gestellten Prüfung und der Art und Weise in welcher die Noten veröffentlicht wurden. Diejenigen, die auch noch Human Resource Management bei besagtem "Professor" schrieben, sind besonders gelackmeiert - großes Gemurre allüberall.

Hinzu kamen folgende Ereignisse:

Schon seit einiger Zeit mussten wir nach 22.00 Uhr durch ein anderes Tor in das Dormitory und beim Wächter einchecken, nach 24.00 Uhr kam man nicht mehr heraus. Wir konnten aber zu jeder Zeit zurückkehren und wurden wieder hineingelassen. Nun wies uns ein kleiner weißer Zettel am Eingang daraufhin, dass "out of concern for your safety, well-being and academic advance" zwischen 24.00 Uhr und 06.00 Uhr morgens der Ein- und Ausgang des Dormitorys komplett gesperrt sei. Wiedersetzung werde folgendermaßen geahndet: "First time offenders" bekämen eine mündliche Verwarnung, das zweite Mal schriftlich, das dritte Mal wird man rausgeschmissen. Von heute auf morgen fühlten wir uns ein wenig wie im Gefängnis, beziehungsweise wenigstens wie kleine Kinder, die man nicht ohne Aufsicht lassen darf. Die Konsequenz war, dass wir beim Feiern erst um sieben Uhr morgens zurückkamen und teilweise noch ein gemütliches Frühstück irgendwo dran hängten.
Besonders zynisch ist, dass die Notausgänge, die "out of concern for your safety" überall groß und grün ausgeschildert sind, felsenfest verschlossen sind und niemand rein oder raus kommt und es keine Feuermelder gibt. Normalerweise hätte ich (in China) auch nichts anderes erwartet, aber wenn mir jemand sagt, dass ich aus Gründen meiner eigenen Sicherheit in meiner Freiheit beschränkt werde, hätte ich gerne zuerst einen Feuermelder und Notausgänge, die sich im Notfall öffnen lassen. Stattdessen haufenweise Überwachungskameras, sogar am Eingang zum Klo - wer will, kann nachverfolgen, wie lang ich gestern auf der Schüssel saß, und das es heute morgen drei Minuten länger gedauert hat.

It's different in China.

Das Corpus Delicti

Dies führte zu großer Unzufriedenheit unter den Austauschstudenten.

Alle waren gekommen und hatten im Voraus bezahlt unter gewissen Annahmen:
 - Zweibettzimmer (ca 15qm) mit Balkon auf dem Campus
 - 6 Leute teilen sich eine Dusche und zwei Klos in "Miniappartments"
 - Strom und Wasserkosten sind im Mietpreis enthalten
 - Freier Ein- und Ausgang zu jeder Zeit

Was wir nun hatten, war
 - Dreibettzimmer (ca 12qm) ohne Balkon, außerhalb des Campus
 - 60 Leute teilen sich fünf Duschen und fünf Klos
 - Strom muss im Prepaid-Verfahren zusätzlich bezahlt werden, gerne mit einem Stromausfall am Wochenende wenn das Geld plötzlich alles ist während man gerade ein Assignment schreiben möchte
 - Duschen können nur mittels Prepaid-Karte betrieben werden
 - Kein Ein- und Ausgang zwischen 24.00 Uhr und 06.00 Uhr

Das sind schon große Unterschiede, die mittels Salamitaktik untergeschoben wurden - zu keiner Zeit gab es einen Mietvertrag. Nicht jeder hat das Privileg, bei seinem Auslandsaufenthalt so angenehm durchfinanziert zu sein wie ich (oder alle anderen Deutschen, in diesem Fall), so dass gerade das sehr auf Kante genähte Budget von ein paar unserer osteuropäischen, arabischen und afrikanischen Kommilitonen nun mehr als gespreizt war. Das Resultat war eine Vollversammlung an einem Sonntagabend, in dem diskutiert wurde, was alles zur derzeitigen Unzufriedenheit beigetragen hatte.
Geändert hat sich natürlich nichts, ändern wird sich genausowenig; dies zu akzeptieren hat aber ein wenig gedauert, vor allem bei mir.

Ein bisschen Feeling von Leipzig 1989 war doch da, aber das ist hier eben China - abweichende Meinungen, Ansichten oder Herangehensweisen interessieren gibt es nicht.

Obwohl ich nur mit Austauschstudenten lebe, habe ich hier kein gemütliches Nest, wie das Expats vom Daimler oder VW haben, die hier einen mit Deutschland absolut vergleichbaren Lebensstandard in einer von ihrer Firma um sie herum errichteten Blase (dem sogenannten "Resort") haben; dazu 15% Gehaltszuschuss wegen der Luftverschmutzung. Wir Austauschstudenten werden von einer staatlichen Uni in einem hochgradig autoritären Staat verwaltet, dessen Regierung momentan das Misstrauen Ausländern, Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gegenüber massiv hochfährt. Das ist sehr lehrreich und vor allem geeignet, die hohe Lebensqualität in freieren Gesellschaften schätzen zu lernen.
Wenn man einmal sensibilisiert ist, nimmt man die Signale um einen herum war: Benno's Pekinger Rotarier, die keine Festland-Chinesen aufnehmen dürfen; Xi Jinping's Rede über die Behandlung der Kultur in China, die das Konzept der entarteten Kunst in China eingeführt; deutsche Automobilhersteller, die für Praktikanten aus Deutschland keine Visa mehr bekommen weil diese dem chinesischen Staat keinen Mehrwert bringen; die "Anti-Korruptionskampagne" der KP, die vor allem der Parteiführung unliebsame Kader mit großer Öffentlichkeitswirkung (jeden Tag gibt es seitenlange Ausführungen in Zeitungen und tränenreiche, reuevolle Beichten der Übeltäter im CCTV) entfernt - dabei sicher auch ein paar korrupte erwischt, das ist nicht auszuschließen. Unsere Erfahrungen in der Uni sind dabei natürlich nur ein kleines Puzzlestück, aber die generellen Entwicklungen zeigen, dass wir "im Trend" liegen. Das ist als Außenstehender interessant, als direkt Betroffener zunächst nur doof, und wird vielleicht irgendwann einmal unerträglich oder gar gefährlich. Momentan ziehe ich große Ruhe und Gelassenheit aus der Gewissheit, ein wunderschönes Weihnachtsfest mit Mami und Daddy in Untereck zu feiern.

Mitten in diese spannende Zeit kommt Mami an, mit der ich ein paar wunderschöne Tage in Peking und Umgebung verbringe. Dazu aber später mehr!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen