Montag, 13. Oktober 2014

Einen Fernsehturmwärter bestechen, den Mond besteigen und Panzerkolonien beobachten


Den Li per Kayak erkunden


Zunächst einmal ein paar Links zu Seiten, wo ihr weniger trockene Kost als bei mir bekommt und mit tollen Bildern der letzten zwei Monate versorgt werdet:

Zum einen ein paar Bilder von Cristina:

Sowie der Blog und ein paar Bilder von Max:


Ping’an hatte uns mit der langen Bahnreise in jedem Fall versöhnt, in Guilin  hatte das Barbecue bei den Wada-Girls (wie sich die Chinesinnen, die das gleichlautende Hostel betreiben,  selber nennen) die vom Wandern ermüdeten Wanderer wieder gestärkt, so dass Max, Cristina und ich voller Vorfreude auf den nächsten Morgen in Yangshuo waren.

Zuerst musste jedoch die Busfahrt überlebt werden. Wir hatten das große Glück, als erste einzusteigen, doch bald füllte sich der Bus bis auf den letzten Plastikhocker, der in den Gang gestellt wurde. Zu Füßen von Cristina und Max wurde auch noch ein Ehepaar gequetscht, die relativ gut Englisch sprachen, und wenn wir nicht zu geschockt vom Fahrtstil des Busfahrers waren, war sogar ein wenig nette Unterhaltung möglich.
Noch Sitz- oder Stehplätze? Nein? Aber die Gepäckablage ist doch noch frei, wo ist das Problem?
Leider nicht so häufig, da es der Fahrer vorzog, seinen vollbesetzten Reisebus auf einer zweispurigen Straße mit ständigem Gegenverkehr unter Nutzung seiner einem Schiffshorn gleichenden Hupe (die war sicher NICHT serienmäßig ab Werk) einem dauerhaften Überholvorgang auszusetzen. Vielleicht fahr ich doch lieber Zug mit Reisschnapps-saufenden Chinesen, deren Zahnhygiene seit den Zeiten Maos nicht mehr stattgefunden hat.

Wir kamen jedenfalls gesund und fast auch munter an, bezogen nach ein wenig Sucherei unser Hostel und planten den Rest des Tages. Da wir so früh in Guilin losgefahren waren, hatten wir die Möglichkeit, nachmittags den Li mittels Kayak zu erkunden, der durch die Karstlandschaft fließt und diese auch größtenteils geformt hat.

Erste Eindrücke von Yangshuo - oben die trubelige Hauptstraße, unten der Li-Fluss vollgestopft mit Bambusfloßen; die ruhigere Stadtseite ist gegenüber

Noch kurz ein paar wichtige Picknickutensilien (Tsingtao!) erstanden, wieder in einen Bus gestiegen und eine halbe Stunde außerhalb der Stadt am Fluss ausgesetzt, wo ein braungebrannter, mittelalter Klischee-Chinese mit Schilfhut, Bambusfloß und den Kayaks auf uns wartete. Auf Schwimmwesten wurde Wert gelegt, der Rest war 2 ½ Stunden großer Spaß: Sportlich forsch voranpaddelnd (am Anfang) oder sich gemütlich vom Fluß stromabwärts treiben lassend (sehr bald danach) glitten wir durch die bizarre Landschaft mit ihren Zuckerhüten-ähnlichen Bergen. Am Flußufer schnorchelten dort lebende Jugendliche nach Krebsen und anderen Köstlichkeiten, Wasserbüffel lagen im flachen Uferwasser um der Hitze des Tages zu entgehen, Reiher jagten nach Fischen und Bauern ernteten den in den tieferen Lagen schon reifen Reis auf den Feldern in Flußnähe. In den Stromschnellen merkten wir bald, dass es leicht ist, Schlagseite zu bekommen – gekentert ist trotzdem niemand.

Bestes Fortbewegungsmittel, vor allem stromabwärts!
 
Geniale Tour!
Der Vorteil dieser Tour war, dass wir in Flußgegenden kamen, die der Großteil der Touristen mit einem Bambusfloß oder einem Dampfer nicht erreichen kann oder will – wir waren angenehm allein und konnten die Landschaft ohne ohrenbetäubenden Motorlärm der Bambusflöße genießen. Als Resultat hatte sich auch unser Bedürfnis nach einem überall angebotenen „river cruise“ auf ein Minimum reduziert. Max veranlasste dies, sein Chinesisch mit den Schleppern zu üben und ihnen halb Chinesisch, halb Englisch zu erklären, was er alles nicht kaufen möchte: „Ni hao! Ni hao ma? Wo bu yau post card, bu yao river cruise, bu yao bamboo raft, bu yao pashmina, bu yao motor cycle, xie xie. Zai jian!“ – „Guten Tag! Wie geht es Dir? Ich möchte keine Postkarte, Flusskreuzfahrt, Bambusfloß, Paschmina oder Motorrad, danke sehr. Auf Wiedersehen!“ worauf hin sich die Schlepper wegschmissen vor Lachen über den merkwürdigen Foreigner, der unheimlicherweise sogar ein paar Wörter Chinesisch kann.


Cristina stellte sich als Schnäppchenjäger und harte Händlerin heraus, die einen eineinhalbstündigen Ausflug durch die Stadt unternahm, um Fahrräder zu finden, die für 10 statt für 20 Yuan zu leihen waren – ich war beeindruckt.

Unser Ziel war der Mondberg, ein Bogen mit ca. 30m Innendurchmesser in einem der Berge in der Nähe von Yangshuo. Am Fuß des Bergs hieß uns nicht nur eine ältere Dame willkommen, die durch ihre Fröhlichkeit, Kontaktfreude und Verkaufsfähigkeit für kalte Getränke sofort auffiel. Wir hatten uns freilich im Vorhinein eingedeckt und leider keinerlei Bedarf, aber das störte keinen großen Geist, - wir könnten ja nach dem Abstieg nochmal vorbeikommen? Gerne durften wir ein Bild machen – und entdeckten beim nachmittäglichen Durchstöbern der einschlägigen sozialen Netzwerke unter dem Hashtag #moonhill vor allem Bilder genau dieser netten Dame.
Der Mondberg
Ein junger Rucksacktourist unklarer Herkunft (Baltikum? Skandinavien? Der Akzent war schwer zu interpretieren) gesellte sich zu uns und gab uns den Tipp, oben knapp unterhalb des Loches ein Schild, dass die Nutzung eines kleinen abzweigenden Pfades untersagte, auf jeden Fall zu ignorieren; es würde sich lohnen.
Gespannt, was uns erwartete, machten wir uns auf den Weg und hatten auch bald die 300 Höhenmeter bis zum Bogen überwunden, Ein perfekter Halbkreis hat sich hier gebildet, Bohrhaken und auf Redundanz konstruierte Seilumleitungen deuten darauf hin, dass dieser Teil des Bergs auch zum Klettern genutzt wird. Cristina und ich bekamen sofort Lust, sie hatte sogar ihre Kletterschuhe dabei, aber ohne Seil und Sicherungsausrüstung war es natürlich völlig unmöglich. Wir genossen den Ausblick und fanden nach kurzem Suchen auch den erwähnten Pfad, auf den man erst durch das auffällig gestaltete Verbotsschild wirklich aufmerksam wurde.

Der Bogen
Der war weder freigeschnitten noch für Europäer gemacht. Wie die Minenarbeiter duckten wir uns durch den grünen Tunnel und arbeiteten uns ca. 50 Höhenmeter durch Gestrüpp nach oben, bis wir ins Freie kamen und merkten – wir sind AUF dem Bogen. Hier war der Ausblick atemberaubend, niemand war mit uns hier und wir genossen die Ruhe, die Sonne und unser Picknick.
Blick vom Mondberg

Ein Franzose gab uns  auf dem Gipfel den Tipp, über das Flusstal des Yulong zurück nach Yangshuo zu fahren, das sei einerseits landschaftlich wunderschön und zweitens ein wenig abgeschiedener.
Das wollten wir auch; dann merkte Max aber, dass sein Vorderrad nicht mehr an seinem Fahrrad festgeschraubt war und irgendwie hatten wir einen Abzweig des Landsträßchens verpasst. Schwuppdiwupp hatten wir uns völlig verfahren und sitzen irgendwo am Land in einem kleinen Dörfchen, der Mechaniker der Dorfkneipe reparierte rührenderweise Maxens Fahrrad, wir hatten als Dankeschön dort drei kühle Bier gekauft und sahen der Sonne zu, wie sie immer weiter hinter den Karstbergen versank und sich im Wasser spiegelte.

Abendstimmung am Yulong
Trotz unserer chinesischen Sprachkenntnisse sowie dank der Ortskenntnis der Landbevölkerung waren wir tatsächlich relativ bald wieder auf dem richtigen Weg.
Unsere Jugendherberge hatte uns den Weg zum Fernsehturm genannt, der auf einem Karstberg mitten in Guilin steht – anscheinend einer der schönsten Orte für den Sonnenuntergang. Für unseren letzten Abend sollte dies einen angemessenen Abschluss darstellen.

Wir stiegen 350 Höhenmeter einen Bergpfad hinauf und wurden vom Fernsehstationswärter begrüßt, den wir mit 5 Yuan bestachen, uns in die Station und damit auf den Gipfel zu lassen. Dies sei üblich, so hatte uns die Jugendherberge informiert. Wir wurden durch den Natodraht gelassen und hatten einen phänomenalen Ausblick.
Xing Lintao, oberster Fernsehantennenwärter des CCTV Yangshuo
Sonnenuntergang über Guangxi
Ein köstliches Abendessen  und eine Partie chinesisches Schach (Max hatte ein Spiel gekauft; es erweitert herkömmliches Schach um einen Grenzfluss, eine Leibwache des Königs die ihm nicht von der Seite weichen darf, sowie um Kanonen – sehr spannend) in der wirklich gemütlichen Jugendherberge beschlossen den Abend. Max war wahnsinnig motiviert noch weiter zu spielen, ich war von Sonne, Wind und Radlerei wahnsinnig motiviert ins Bett zu gehen.
Chinesisches Schach
Damit neigte sich unsere Zeit in Yangshuo auch schon dem Ende zu, und ein weiteres Mal bereiteten wir uns auf 27 Stunden Zugfahrt vor. Wie funktioniert das generell? Ist doch klar, gehst zum Bahnhof, steigst in den Zug ein und ab dafür.
Den Wasserbüffeln ist's zu warm
Nicht ganz: Zugfahren ähnelt, allem Chaos während der Fahrt zum Trotz, im Vorhinein eher einem Inlandsflug, umso mehr, wenn Distanzen wie die zwischen Guilin und Beijing zurückgelegt werden sollen.

Zuerst einmal gingen wir zu einem Supermarkt und deckten uns mit den nötigen Utensilien für über einen gesamten Tag ein. Dies sieht für uns drei, Cristina, Max und ich jeweils sehr unterschiedlich aus:


Cristina ist sehr gesund unterwegs:
  •       Ein paar Früchte wie frische Mandarinen
  •       Gemüse, dass sie am Heißwasserspender im Zug wäscht
  •       1,5l Wasser
  •       ein wenig Tee
  •       1 Packung getrocknete Bananenchips
  •       1 Packung Kekse aus gestampftem Sesam und Honig

Max nimmt das Ganze pragmatisch:
  •       Kurz vorm Zug gibt’s zwei gegrillte Hähnchenschenkel von einem Straßenstand. Die werden allerdings sofort verzehrt.
  •       1 Packung chinesischer Madeleines,
  •       Ein paar Packungen Peanuts
  •       6 kleine Bier, also 1,8l (vulgo „Schlafmittel“)
  •       3l Trinkwasser

Meine Präferenz liegt klar auf Masse:
  •       3x chinesische Fertignudeln, die mit chinesischem Hühnerbrühekonzentrat versetzt sind und durch den Heißwasserspender im Zug zum Leben erweckt werden
  •       3 Packungen Oreos
  •       2 Packungen von Cristina’s Bananenchips
  •       2 Packungen Sesamkekse, die Cristina entdeckt hatte
  •       2 Packungen von Max’ chinesischen Madeleines
  •       6 kleine Bier
  •       3l Trinkwasser

Alle waren auf ihre Art zufrieden und es wurde (bis auf eine Oreopackung) alles restlos vertilgt.

Sodann macht man sich auf den Weg zum Bahnhof, wo eine erste Ticketkontrolle erfolgt. Man kommt gar nicht in den Bahnhof hinein, wenn man kein Ticket hat. Danach erfolgt eine Sicherheitskontrolle, die Taschen werden alle geröngt und man läuft durch einen Metalldetektor (übrigens auch beim Betreten der U-Bahnschächte). Das Ergebnis dieser „Sicherheitsprüfung“ ist aber völlig irrelevant; der Detektor jault auf wie ein amerikanisches Polizeiauto, die Security-Damen gucken trotzdem lieber chinesische Soaps auf ihren Huaweis.

Angekommen im Bahnhof, sucht der erfahrene europäische Reisende zunächst nach seinem Gleis. So wird das in China allerdings nichts: Da steht dann auf der Anzeigentafel:

K21 **à**  **6 **1   **07:55 

wobei * für ein chinesisches Schriftzeichen steht. Mittlerweile erkenne ich ein paar, mein Wortschatz umfängt vielleicht 20-30 Stück – aber das ist im Leben nicht ausreichend. Nach ein paar Zugreisen weiß ich nun, wie die Tafel zu entziffern ist: Dort findet man den Zug K21 von AàB (in diesem Fall BeijingàGuilin), der um 19:55 (ok, das ist noch einfach) von Gleis 1, Warteraum 6 abfährt.
Man muss also zum Warteraum 6 gehen, dort warten ALLE Passagiere, die auf diesen Zug möchten, wobei warten wiederum jeglichen chinesischen Aggregatszustand annehmen kann: Wach, dämmernd, schlafend, hackedicht besoffen, sitzen, stehend, hockend – ihr kennt das Spiel mittlerweile. Ca. 20 Minuten vor Abfahrt wird die gesamte Meute gemeinsam aufs Gleis gelassen.

Dies ist ein wenig bizarr – aus der lärmenden, chaotischen Umgebung des Bahnhofvorplatzes und des Warteraums (in Beijing gerne mal ca. 3000 Leute gleichzeitig) in den menschenleeren Bahnhof entlassen, einzige Wegmöglichkeiten sind Notausgänge und die Zugänge zu Gleis 1. Aus der lethargischen, muffelnden Masse werden hektische, vom schnellen Gehen fast ins Rennen wechselnde Menschen – vor allem die, die nur einen Stehplatz haben und sich noch eine Chance auf einen Sitzplatz ausrechnen. Hernach folgt der Kampf um Platz in den Gepäckfächern, der „Einzug“ in die Schlafquartiere  - und dann beginnt auch schon das Verkaufstheater.



Immer lustig, immer was los!


Gemütlicher Bummelzug von Süd- nach Nordchina
27 Stunden, 2200km, ein Buch, einige Schachspiele (erschwert durch erzwungene Komplettverdunkelung um 22:00 Uhr Punkt), ein Panzertransport (siehe dieses Photo von Max http://instagram.com/p/t4SE2hEi3P/?modal=true ), viele Unterhaltungen mit den chinesischen Mitpassagieren sowie einer Menge Essens später kommen wir in Peking an.

Schon bei der Einfahrt schwant uns Böses, aber wir hoffen noch auf einfach dicken Nebel, der sich wie eine milchgläserne Kugel um die Straßenlampen gelegt hat. Pech gehabt sagt der Blick auf die Smogmessung, wir haben einen pm2,5-Wert von knapp unter 500 – den schlimmsten Wert seit 6 Monaten.



„Willkommen zurück!“ auf pekinesisch.




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